Europa im Stresstest: Wie viel Solidarität können wir uns noch leisten?

Moderation: Dieter Kassel · 07.07.2012
Langsam wird es eng unter dem EU-Rettungsschirm: Bereits fünf der 17 Euroländer haben Hilfsbedarf angemeldet. Mit jedem schwächelnden Land wachsen die Sorgen, ob Europa diesen Stresstest bestehen kann. Wie viel Solidarität können wir uns noch leisten? Und: Wollen wir mehr oder weniger Europa?
"Wir kommen in eine Sackgasse, wenn wir eine Eurorettung um jeden Preis versuchen", warnt Markus C. Kerber. Der Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin initiierte bereits mehrere Klagen, unter anderem gegen die Europäische Zentralbank (EZB), den Euro- Stabilisierungsmechanismus (ESM) und die Kredite für Griechenland.

"Ich habe die Griechenlandpolitik der Bundesregierung und der Europäischen Kommission immer für völlig irrig gehalten, weil ein Land wie Griechenland nie in die Europäische Währungsunion hätte aufgenommen werden müssen."

Griechenland hätte längst den Euroraum verlassen müssen. "Wir werden anhand von Griechenland sehen, dass Griechenland nicht nur der Profiteur ist, sondern der Auslöser des größten monetären Betrugs, den wir in der europäischen Geschichte je gesehen haben."

Der streitbare Hochschullehrer leitet den interdisziplinären Think Tank "Europolis", der Anstöße für eine neue Europapolitik geben will. "Der Fiskalpakt hat vielleicht Bundeskanzlerin Merkel kurzfristig gerettet, wird aber keinesfalls die Eurozone mittelfristig stabilisieren."

"Im Augenblick zahlen wir ja nicht, wir garantieren, wir bürgen – auch mit dem Ziel, dass die Zahlungen nicht in dem Maße fällig werden", "entgegnet Eckart Stratenschulte, der Politikwissenschaftler leitet die Europäische Akademie Berlin.

""Und wir zahlen, um wieder Ruhe in die Märkte zu bringen."

Seine Überzeugung: "Im Kern ist die Eurokrise eine Vertrauenskrise. Der Euroraum ist weniger verschuldet als die USA, weit weniger als Japan. Wir müssen Vertrauen herstellen."

Dies müsse auch mit Einschränkungen einhergehen, mit Kontrollen und Druck, so, wie ihn die Troika in Griechenland exerziere.

"Aber dies ist nur durchzusetzen im Zusammenhang mit Solidarität. Solidarität und Reformen sind ein Zweiklang. Es gibt kein Verharren im Status quo, es geht um mehr Europa oder weniger Europa. Weniger Europa kann man machen, aber das hieße, wir kehren zurück zu den Nationalstaaten. Aber dadurch wird es uns wirtschaftlich schlechter gehen. Wir können auch sagen, wir zahlen nicht oder wir beteiligen uns nicht am ESM. Aber auch das wird kosten."

Europa im Stresstest: Wie viel Solidarität können wir uns noch leisten?

Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Prof. Dr. Markus C. Kerber und Prof. Dr. Eckart Stratenschulte. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Informationen im Internet:
Über Prof. Dr. Markus C Kerber
Über die Europäische Akademie Berlin
Prof. Dr. Eckart D. Stratenschulte, Leiter der die Europäischen Akademie Berlin und Prof. Dr. Markus C. Kerber, Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin
Unterschiedlicher Meinung: Prof. Dr. Eckart D. Stratenschulte (li.) und Prof. Dr. Markus C. Kerber.© Deutschlandradio / Europäische Akademie Berlin / Europolis - Kerber