EU-Kulturhauptstadt Valletta

Die andere Seite der Steueroase

Malta: Blick auf die Hauptstadt Valletta mit der St. Paul's Kathedrale (Aufnahme vom 27.3.2004).
Blick auf Maltas Hauptstadt Valletta mit der St. Paul's Kathedrale. © dpa / Lehtikuva Wennström
Von Tassilo Forchheimer und Jan-Christoph Kitzler · 03.01.2018
Schaufenster für Europa mit nicht mal 6000 Einwohnern: Valletta ist in diesem Jahr neben dem friesischen Leeuwarden Kulturhauptstadt der EU. Die Malteser hoffen so auch ihren Ruf als Steuerparadies zu verlieren. Kulturelle Schätze gibt es genug.
Malta ist mit 316 Quadratkilometern und rund 430.000 Einwohner das kleinste Land in der Europäischen Union. Allein die Stadt Bremen ist schon größer als die gesamte Republik Malta. Gelegen zwischen Sizilien und Libyen machte der Inselstaat jahrelang kaum von sich reden. Das hat sich geändert. Spätestens seit dem Mord an der regierungskritischen Journalistin und Bloggerin Daphne Caruana Galizia im Oktober 2017. Das Land steht auch als Steuerparadies am Pranger. Und seit der Veröffentlichung der "Panama-Papers" liegen Korruptionsvorwürfe in der Luft.
Umso willkommener dürfte der Regierung sein, dass die Hauptstadt des Landes in den kommenden Monaten viele positive Schlagzeilen produzieren wird – als Europäische Kulturhauptstadt.
Zehn Jahre habe das ganze Land auf diesen Moment hingearbeitet, sagt Alexiei Dingli, Informatik-Professor und Bürgermeister von Valletta.
"Diese Kulturhauptstadt ist anders als andere Kulturhauptstädte. Es geht nicht nur um Valletta, sondern um ganz Malta und auch um Gozo. Es ist eine Chance für die gesamte Insel zu zeigen, was wir haben und – noch wichtiger – wohin wir gehen."
Malta ist eine selbstbewusste Insel-Republik, die von so vielen unterschiedlichen Kulturen geprägt wurde, dass Ausländer leicht den Überblick verlieren.
Eine Straße in Valletta - links und rechts parken Autos.
Eine Straße in Valletta.© Jan-Christoph-Kitzler

Bis 1964 Kolonie des Vereinigten Königreichs

Die Autos fahren auf der linken Seite. Malta war schließlich bis 1964 britische Kolonie. Im Radio erklingt ein Mischmasch aus Englisch, Arabisch und Italienisch. Und die Namen der Menschen in diesem Land scheinen fast willkürlich zusammengewürfelt, erzählt Luisana D’Amato, Kuratorin des größten Museums auf Malta.
"Es gibt semitische Nachnamen, es gibt italienische, französische, griechische und englische. Auch nicht-europäische – wie aus Nordafrika. Wir haben z. B. den Namen Said, das ist ägyptisch, eben wie Port Said."
Malta liegt auf dem Schnittpunkt der wichtigsten Seewege durch das Mittelmeer und war deshalb über Jahrtausende hart umkämpft und fremd beherrscht. Ein karges Stück Land mit glücklichen Einwohnern, so scheint es.
Einer von ihnen ist Alfredo Micaleff, seit seinem zehnten Lebensjahr fährt der alte Fischer täglich aufs Meer hinaus. Oft nehme er Touristen mit, sagt er, und alle seien sie begeistert von Malta.
"Sie sagen mir, dass sie gerne auf dieser Insel leben würden, weil wir hier alles haben. Und ich kann ihnen nur Recht geben, vor allem jetzt, wo Joseph Muscat unser Premierminister ist. Er hat uns alles gegeben."

Maltesischer Fischer Alfredo Micaleff - sitzt gebräunt mit Hemd im Motorboot.
Maltesischer Fischer Alfredo Micaleff.© Jan-Christoph Kitzler

Maltas "Tempel-Periode" war eine der glanzvollsten

Nicht ganz. Joseph Muscat, der junge Ministerpräsident, wird von seinen Anhängern zwar fast wie der Messias verehrt, aber er kann nichts für das vielleicht wichtigste historische Erbe seines Landes: die Megalith-Tempel, die es an vielen Ecken auf den Inseln Maltas gibt:
"Abgesehen von der Periode der Malteser-Ritter war die Zeit der Tempel eine der glanzvollsten der maltesischen Geschichte. Wir nennen sie die Tempel-Periode. Es gibt etwa 25 Tempelanlagen, über ganz Malta verteilt. Einige umfassen gleich drei, vier Gebäudeteile. Gemäuer aus sehr großen Steinen: megalithische Tempel. Abgeleitet von mega, also groß und lithos gleich Stein."
Es sind die ältesten, freistehenden Sakralbauten des Mittelmeerraums. Manche der Tempelanlagen sind älter als die ältesten ägyptischen Pyramiden. Anthony Bonnano, Professor an der Universität von Malta, ist eigentlich ein klassischer Archäologe, aber auf Malta kommt man um die Megalith-Kultur nicht herum. In Ħaġar Qim kann man einen besonders eindrucksvollen Bau besichtigen - 4500 bis 5500 Jahre alt.
Eingang zu Maltas Megalithtempel von Ħaġar Qim - ein Durchgang unter großen Felsblocken.
Eingang zu Maltas Megalithtempel von Ħaġar Qim.© Jan-Christoph Kitzler
Jetzt wird die Anlage mit einem geschwungenen Zeltdacht vor Wind und Wetter geschützt. Die großen Brocken aus grobem Kalkstein sind immer wieder in Halbkreisen zusammengefügt – das sorgt bis heute für Stabilität. Der größte Steinbrocken soll um die 20 Tonnen wiegen. Wie haben es die Menschen damals geschafft, ein solches Gewicht an die richtige Stelle zu bugsieren?
"Wir wissen nicht genau, wie sie das gemacht haben, aber: Viele starke Menschen mussten organisiert zusammenarbeiten, die von einer Elitegruppe angeleitet wurden. Es gab eine Art Standardbauplan."
Der Megalithtempel Ħaġar Qim von innen zeigt große Felsen zu einem Halbkreis zusammengeschoben.
Der Megalithtempel Ħaġar Qim von innen.© Jan-Christoph Kitzler

Erbauer waren Riesen oder Phönizier?

Aber noch immer sind viele Fragen offen: Wurden in den Tempeln Vorfahren verehrt oder Gottheiten? Lange hat man zum Beispiel geglaubt, dass nur Riesen solche Anlagen haben bauen können. Das habe zum kulturellen Gedächtnis der Insel gehört, erzählt Nicholas Vella, auch er ist Archäologieprofessor:
"Sie sind schon lange bekannt - als ein fester Bestandteil der Landschaft. Auch Ortsnamen wir Ġgantija auf Gozo, wo es einen Tempelkomplex gibt, deutet auf die Existenz von Riesen hin. Abela schreibt 1647 in seiner Geschichte Maltas, dass er in seiner Sammlung, einer Art Wunderkammer, Beweise für die Existenz von Riesen im maltesischen Altertum hat."
Dann hatte man die Theorie, die gewaltigen Anlagen könnten ein Erbe der Phönizier sein, die Jahrhunderte vor Christi Geburt eine wichtige Seemacht im Mittelmeer waren. Aber für die Megalith-Tempel von Malta sind die Phoenizier einfach zu jung. Noch immer sind nicht alle Geheimnisse gelüftet, aber viel deutet darauf hin, dass die Tempel-Erbauer von Malta vor allem ganz besondere Menschen waren:
"Die Tempelkultur entsteht nicht aus dem Nichts. Malta und auch Gozo waren schon 2000 Jahre vorher besiedelt. Es gab eine Bauerngesellschaft auf den maltesischen Inseln schon lange, bevor diese Tempel entstanden sind. Das ist überraschend, weil es auf Sizilien, der Nachbarinsel, wo die ersten Bauern herkamen, nichts dergleichen gibt. Vermutlich haben also die Tempel-Erbauer etwas nur für diese Insel kreiert. Nirgendwo gibt es etwas Vergleichbares."
Der Megalithtempel von Ħaġar Qim mit großen Steinblöcken wird mit einer Plane geschützt.
Der Megalithtempel von Ħaġar Qim geschützt von einer Plane.© Jan-Christoph Kitzler
Die Tempel haben die Jahrtausende überdauert – und weil in ihnen auch Skulpturen und allerlei Ornamente gefunden wurden, sind sie der Stolz Maltas. Seit 1992 gehören die Tempel zum UNESCO-Weltkulturerbe - und mussten auch schon für ganz profane politische Zwecke herhalten. Nicholas Vella:
"Es ist seltsam: Als Malta der Europäischen Union beitreten wollte, schickte die Regierung eine Reihe von Ausstellungen ins Ausland, um unseren Nachbarn die maltesische Geschichte bekannt zu machen. Ein großer Teil bezog sich auf das urgeschichtliche Erbe Maltas. Das ist einzigartig, ein echter Beitrag zur Europäischen Geschichte!"

"Schlafende Lady" ist Maltas größter Kunstschatz

Aus einer dieser uralten Sakralanlagen stammt auch die bekannteste Malteserin, die sogenannte "schlafende Lady", eine 12 Zentimeter lange Stein-Skulptur, die gut in ein Museum für moderne Kunst passen würde.
"Sie ist etwa 5000 Jahre alt. Die 'Sleeping Lady' ist eine Frau, die auf einer Art Couch liegt. Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass die Couch unter dem Gewicht der Frau nachgibt. Sie kann man nicht unbedingt als schlank bezeichnen."
Sagt Sharon Sultana, Chef-Kuratorin des maltesischen Nationalmuseums für Archäologie, mitten in Valletta gelegen, in einem prächtigen Bau, der von den Malteser-Rittern errichtet worden ist, wie so vieles hier.
Sharon Sultana, Kuratorin des Nationalmuseums für Archäologie, steht im Eingangsbereich in weißem Hemd und strahlt.
Sharon Sultana, Kuratorin des Nationalmuseums für Archäologie© Tassilo Forchheimer
Paläste, Theater, Befestigungsanlagen – fast alle Gebäude in dieser Stadt sind aus einem ganz speziellen Kalksandstein gebaut. Ockergelb und rau wie Schleifpapier, so wie fast die ganze Insel.
"So wie ihre Vorgänger die Tempel errichteten, haben auch die Ritter mit dem heimischen Stein gebaut. Sie haben mit ihm die großen Befestigungsanlagen errichtetet, die Valletta noch heute umgeben – als Schutz vor dem Osmanischen Reich. Valletta diente lange als Bollwerk gegen die Truppen des Sultans. Auf Malta wurden entscheidende Schlachten geschlagen gegen den Vormarsch der Osmanen, die Europa gern vom Bosporus aus regiert hätten."

Malta ist seit dem Mittelalter eine Festung im Mittelmeer

Das markanteste Bauwerk aus jener Zeit ist das Fort Sant’Elmo, das 1552 vom Johanniter-Orden noch vor der Entstehung von Valletta auf der Halbinsel Scriberras erbaut wurde. Luisana D’Amato ist die Kuratorin der riesigen Festungsanlage.
"Sciberras ist eine Halbinsel, die auf drei Seiten von Wasser umgeben ist. Hinter diesem Fort liegt heute die Stadt Valletta. Das Fort ist der höchste Punkt der Halbinsel. Ähnlich hohe gelegen ist die Stelle, wo inzwischen der Großmeisterpalast steht, am Saint George Square. Die war ein strategischer Schwachpunkt, den die Osmanen 1565 bei der Belagerung der Festung ausgenutzt haben. Sie haben das Fort damals von dort angegriffen, wo heute das Stadtzentrum von Valletta liegt."
Valletta mit kleinen Gassen und Häusern bis zum Wasser, wo sich das Fort Sant’Elmo befindet.
Valletta mit Blick auf Fort Sant’Elmo (rechts).© Jan-Christoph Kitzler
Die Osmanen mussten große Verluste hinnehmen, rund 24.000 Angreifer starben während der Kämpfe, aber sie konnten den Vorgängerbau der heutigen Festung tatsächlich erobern. Nur durch List und Tücke gelang es den Maltesern schließlich, die Türken wieder von der Insel zu vertreiben. Eine solche Beinahe-Niederlage sollte sich nie wiederholen, deshalb wurde Malta in den Jahren nach 1565 zur stärksten Festung im gesamten Mittelmeerraum ausgebaut. Unter anderem durch die neue Hauptstadt Valletta, deren Straßennetz gitterartig angelegt ist.
"Das ist militärisch klug. Wenn es der Feind schafft, das Fort zu erobern, kannst Du immer noch den Eingang zur Stadt blockieren und den Feind damit stoppen. Dann kannst Du dich Block für Block zurückziehen oder sogar wieder Gebiet zurückgewinnen. Jedenfalls verliert man nie gleich die ganze Stadt."
Erklärt Kuratorin Luisana D’Amato. Ihre Festung beherbergt heute das maltesische Kriegsmuseum – eine sehenswerte Ausstellung zur Geschichte des Landes.

Ritter des Malteser-Ordens bereicherten die Insel

Das Besondere an Malta ist, dass das militärisch Notwendige ein kulturell anspruchsvolles Gesicht bekommen hat. Die Johanniter, auch Malteser-Ritter genannt, haben aus Valletta eine wahrhaft prächtige Stadt gemacht, meint Luisana D’Amato. Einer der Gründe hierfür war die Struktur des Malteser-Ordens mit seinen verschiedenen Sprachgruppen, die sich in Valletta eine Art Architektur-Wettkampf lieferten.
"Ich glaube nicht, dass sie irgendwelche Geldsorgen hatten. Die Sprachgruppen konkurrierten miteinander, und alle wollten unbedingt etwas historisch Bedeutsames hinterlassen. Ein Großmeister baute ein Theater, ein anderer die Befestigung rund um die Insel. Es gab fast jedes Jahr ein großes Projekt."
Und so werden auch amtlich geprüfte und an der Universität ausgebildete Tourist-Guides wie Audrey Marie Bartolo nicht müde, die Leistung des Malteser-Ordens zu loben, der 1798 von Napoleon aus Malta vertrieben wurde, was ganz einfach war. Die Ritter leisteten keine Gegenwehr, weil sie nach den Ordensregeln nicht gegen andere Christen kämpfen durften.
"Es ist den Rittern zu verdanken, dass unsere Geschichte so stark bereichert wurde. Die Ritter brachten den Barock nach Malta. Sie waren die Söhne katholischer Adelsfamilien, die Crème de la Crème, die Söhne der wichtigsten Familien im Europa jener Zeit."

"Valletta als Vorgänger der EU"

Multinational und auf kulturell höchstem Niveau. Was damals auf Malta geschehen sei, könne ausstrahlen auf das heutige Europa, meint Vallettas Bürgermeister Alexiei Dingli.
"Ich sage gern, dass Valletta so eine Art Vorgänger der Europäischen Union war - vor 450 Jahren schon. In Malta haben wir dieses Modell schon lange, dass unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Kulturen mit unterschiedlichen Religionen zusammen leben, arbeiten und etwas Produktives leisten. Das ist nicht nur für Malta sehr wichtig, sondern für ganz Europa."

Caravaggio tauchte auf Malta unter

Für einen gewissen Michelangelo Merisi da Caravaggio war Malta im Sommer 1607 die letzte Hoffnung. Fast ein Jahr war er damals schon auf der Flucht. Caravaggio, so nennt man ihn heute, war nicht nur der Kunst-Superstar seiner Zeit – er hatte in Rom, wo er seit 1592 gelebt hatte, auch richtigen Ärger.
Nach dem Tod Ranuccio Tomassonis, eines in Rom stadtbekannten Raufbolds, in einem Handgemenge wurde er für schuldig erklärt. Und obwohl Caravaggio mächtige Gönner hatte, auch für die Familie des Papstes malte, musste er untertauchen. Ausgerechnet auf Malta, einer durch und durch militärischen Republik, hoffte der Künstler auf seine letzte Chance. Der Kunsthistoriker Keith Sciberras:
"In Malta gab es ein humanistisches Klima. Der Großmeister des Ordens und sein Umfeld hatten einen Sinn für Kunst. Und entgegen aller Gesetze, baten sie den Papst um Gnade für Caravaggio, dabei hatten seine weltlichen Behörden ihn verfolgt. Sie wollten ihn zum Malteserritter machen, wegen seiner künstlerischen Fähigkeiten. Das war viel mehr, als Caravaggio erwarten durfte. Und daran sieht man, dass Malta eine Kulturhauptstadt nicht nur 2018 ist, sondern auch schon 1608 war."
Kunsthistoriker Keith Sciberras trägt blaues Hemd und dunkle Jacke in einem Café.
Kunsthistoriker Keith Sciberras ist auf Caravaggio spezialisiert.© Jan-Christoph Kitzler
Die Kathedrale in Valletta ist eine einzige Verherrlichung des Malteser-Ordens. Die meisten Seitenkapellen dieses prachtstrotzenden, goldenen Kirchenraums wurden von den Landsmannschaften des Ordens gesponsert.
Im Oratorium hängen die beiden Gemälde, die nach den 15 Monaten, die Caravaggio auf der Insel war, hiergeblieben sind. Die gigantische Enthauptung Johannes des Täufers füllt die Stirnseite des Raums gut aus. Die Szene ist das größte Bild, das Caravaggio gemalt hat. Gegenüber sieht man, deutlich kleiner, dem Heiligen Hieronymus beim Schreiben zu.
Sciberras ist der führende Caravaggio-Experte in Malta. Immer wieder muss er den unglaublichen Caravaggio und seine Werke erklären.
"Eine unglaubliche Geschichte, weniger als zwei Jahre, nachdem er Ranuccio Tomassoni in Rom ermordet hatte, wurde Caravaggio Malteserritter. Das konnte man nicht erwarten. Aber vier Wochen später hat er alles wieder zunichte gemacht. Er war in diese Schlägerei verwickelt. Ein Graf wurde angeschossen und verwundet. Caravaggio wurde festgenommen, ins Gefängnis gebracht. Von dort konnte er fliehen, aber er wurde aus dem Orden ausgeschlossen."
Malta hat durch Caravaggio Kunstgeschichte geschrieben. Obwohl der Künstler schließlich wieder auf der Flucht war – und nicht mehr viel Zeit verging bis zu seinem Tod am 18. Juli 1610 in Porto Ercole.

Kunst-Krimi auf Malta mit Caravaggio-Bild

Die beiden berühmten Caravaggio-Bilder haben auf Malta auch eine Art Krimi-Geschichte hinter sich. Die Leinwand der Enthauptung Johannes des Täufers wurde vor Jahren von einem Wahnsinnigen aufgeschlitzt.
Und der Heilige Hieronymus war ein paar Jahre verschollen. Ende 1984 hatten drei Männer das Bild aus einem Museum gestohlen. Zwei Jahre später nahmen sie Kontakt mit Marius Zerafa auf, indem sie ihm einen ominösen Umschlag schickten. Der Dominikaner-Pater war damals Museumsdirektor.
"Im Umschlag war ein Polaroid-Bild. Da sah man das herausgeschnittene Bild mit einer Kaffeekanne darauf. Es gab auch eine Kassette, und was da zu hören war, war ziemlich erschreckend. Da hieß es: Wir haben den Caravaggio, wir haben versucht, ihn in Europa zu verkaufen. Jetzt geht er nach Amerika. Aber wenn Du Interesse hast: Wir fordern eine halbe Million Maltesische Pfund. Aber wenn du das der Polizei oder der Presse erzählst, dann werden wird es zerstören. Das war ziemlich einschüchternd."
Kunsthistoriker Marius Zerafa erzählt in einem Café. Seine Haare sind grau, er trägt eine große Brille.
Kunsthistoriker Marius Zerafa erzählt in einem Café.© Jan-Christoph Kitzler
Heutzutage drohen Entführer manchmal damit, Körperteile ihres Opfers zu schicken. Die Caravaggio-Entführer machten ernst damit. Zerafa erinnert sich mit Grauen.
"Sie haben angefangen, mir Stücke von dem Gemälde zu schicken. Fünf insgesamt, nur um zu zeigen, dass sie es hatten und uns Druck zu machen. Hier, das ist ein Stück, wir mussten die Stücke vor Gericht präsentieren, das habe ich als Souvenir behalten. Als ich das bekommen habe, ging ich zum Minister und sagte ihm: Ich schwöre, dass das unser Caravaggio ist, denn das Bild war ja in den 50er-Jahren mal in Rom restauriert worden – und da hatten sie ein ganz besonderes Material benutzt."
Den Heiligen Hieronymus haben sie dann irgendwann wiederbekommen.
"Als sie das Bild hatten, gaben sie mir Bescheid. Ich ging zum Polizeipräsidium, und als ich das Bild dort sah, in einer Lederrolle, bin ich quasi ohnmächtig geworden. Das war der großartigste Tag meines Lebens."

Valletta feiert häufig und immer mit Feuerwerk

Vor dem Hintergrund seiner bewegten Geschichte hat sich Valletta als Kulturhauptstadt ein eher schlichtes Motto gegeben. Es lautet ganz einfach "Festa", was nicht als Phantasielosigkeit gedeutet werden sollte. Tatsächlich gehöre das Feste-Feiern zur Identität der Menschen, sagt der Journalist Charles Coleiro.
"Es gibt jeden Tag ein Fest. Von Anfang Juni bis September. Dann sehen sie laute bunte Dörfer mit Feuerwerk, Musikgruppen, geschmückten Kirchen. Das ist Pflicht. Menschen, die Malta besuchen, müssen unbedingt eine maltesische Festa gesehen haben!"
Gesehen und gehört: Nach Einbruch der Dunkelheit lassen es die Malteser gerne krachen – mit bombastischen Feuerwerken, die in kleinen Manufakturen abseits der Ortschaften unter Lebensgefahr hergestellt werden. In keinem anderen Land der Erde gibt es so viele Feuerwerksfabriken pro Quadratkilometer wie auf Malta. Wann immer rote Fahnen wehen, sollte man lieber Abstand halten. Erst recht, wenn laute Klopfgeräusche zu hören sind.
Mit urtümlich wirkenden Maschinen wird in dunklen Räumen das Schwarzpulver so lange gestampft, bis es ganz leicht zündet. Anschließend wird es mit anderen chemischen Substanzen in aufwendig gewickelte Behälter und sogar in mechanische Konstruktionen gefüllt. Kein Fest ohne Feuerwerk, sagen die Menschen hier.
"Ein Fest ohne Feuerwerk ist kein richtiges Spektakel. Wir haben hier einen richtigen Wettbewerb zwischen den Dörfern. Je größer ein Feuerwerk, desto höher das Ansehen. Das ist pure Unterhaltung, ohne dass man etwas bezahlen muss."
Das nötige Know-How wird seit Jahrhunderten von Generation zu Generation weitergegeben. Auch diese Tradition geht auf die Malteser-Ritter zurück. Schon im 16. Jahrhundert waren Feuerwerke Teil liturgischer Feierlichkeiten, zum einen um die Eliten zu unterhalten, zum anderen um das Volk zu beeindrucken. Das Pulver stammte ursprünglich aus den Waffenkammern der Ritter. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert kam der Einfluss italienischer und englischer Feuermeister dazu.
Mit den Fähigkeiten der lokalen Handwerker hat sich daraus die spezielle maltesische Feuerwerkskultur entwickelt. Godfrey Farrugia ist amtlich geprüfter Feuerwerker und war früher kurioserweise Gesundheitsminister.
"Wir sind weltweit führend in diesem Sektor. Das einzige Land mit ähnlichen Produkten ist Mexiko. Die mechanischen Katherinen-Räder und deren spezielle Technologie machen uns zu einem Spitzenreiter in dieser Branche und begeistern Liebhaber in aller Welt für die maltesische Pyrotechnik."
Feuerwerkstechnik, die es in sich hat. Rotierende Kegel, die psychedelischen Effekte erzeugen, Raketen, Pfeifen, schwebende Scheiben, bengalische Lichter, Rauchkanonen, Lichtblitze und Böller. Zusammenkomponiert in aufwendigen, teilweise computergesteuerten Choreografien. Viele chinesische Feuerwerke sind dagegen eher bescheidene Veranstaltungen.
Die Malteser lieben es laut und groß. Die Feuerwerke werden meist weit entfernt von Wohnhäusern auf freiem Feld gezündet. Alles andere wäre viel zu gefährlich. Das Spiel mit dem Feuer sei in Malta ein Freizeitvergnügen, erzählt Charles, dessen Hände so aussehen, als hätten sie dauerhaft die Farbe des Schwarzpulvers angenommen. Profit werde mit den Feuerwerken nicht gemacht.

Maltesisch entstand als arabischer Dialekt

Maltas nationale Identität wird sicher von der Insellage mitten im Mittelmeer begünstigt. Aber auch von der Sprache, die Malti genannt wird. Was für eine Sprache ist das? Immerhin offizielle Sprache des Inselstaates, neben Englisch. Sie gehört auch zu den Amtssprachen der Europäischen Union. Olvin Vella lehrt die Sprache an der Universität von Malta:
"Historisch gesehen ist Maltesisch ein arabischer Dialekt, der über die Jahrhunderte viele sizilianische und italienische Wörter aufgenommen hat. Heute stammen etwa fünf Prozent des Wortschatzes aus dem Englischen. Maltesisch ist also ein klassisches Beispiel für eine gemischte Sprache, die nicht nur Wörter, sondern auch Satzbau und Grammatik aufnimmt."
Malti zählt zu den semitischen Sprachen und ist die einzige, die lateinische Buchstaben verwendet. Obwohl: Mit dem geschriebenen Malti ist das so eine Sache:
"Maltesisch wird als ein Dialekt angesehen. Es wird gesprochen, aber kaum geschrieben. Deshalb entwickeln wir gerade ein Rechtschreibprogramm, damit noch mehr Malteser in ihrer eigenen Sprache schreiben."
Noch immer sind, zum Beispiel am Flughafen von Malta, die meisten Hinweisschilder auf Englisch. Und Einigkeit über die korrekte Schreibweise gab es auch nicht. Vella erzählt, dass viele Ortsschilder bis vor kurzem falsch geschrieben waren.
Universitätsdozent Olvin Vella sitzt mit blauem Pulli in einem Café.
Universitätsdozent Olvin Vella.© Jan-Christoph Kitzler

Mit Gedichten für Kinder Malti fördern

Trevor Zahra ist ein bekannter Mann auf Malta. Er schreibt nun schon ein halbes Jahrhundert lang Gedichte für Kinder - wie dieses: Es handelt von einer Mücke, die eigentlich ganz zufrieden ist mit ihrem Leben. Als Trevor Zahra anfing, Bücher zu schreiben, war er einer der wenigen, die auf Malti schrieben. Heute gibt es deutlich mehr Autoren.
"Wir haben diese Stärke, Wörter zwar zu importieren, ihnen aber gewissermaßen ein maltesisches Kleid zu geben. Das macht die Sprache interessant. Wir haben zum Beispiel viele italienische Wörter, die nehmen wir aber nicht mehr als italienische war. Zum Beispiel bei Wörtern für Möbel. Das sind italienische Wörter, aber jetzt gehören sie zur maltesischen Sprache. Das ist ein ständiger Prozess und jetzt passiert das auch mit dem Englischen."
Buchautor Trevor Zahra im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler im Büro mit vielen Büchern.
Buchautor Trevor Zahra im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler.© Jan-Christoph Kitzler
Auf Malta sind immer wieder ganz unterschiedliche Kulturen des Mittelmeerraumes an Land gegangen, sie haben auch in der Sprache ihre Spuren hinterlassen. Auch deshalb ist Malti eine Mischmasch-Sprache: Manchmal beginnt ein zusammengesetztes Wort mit seiner englischen Wurzel, um dann maltesisch zu enden:
"Wir schreiben phonetisch, denn wir können ja nicht das halbe Wort auf Englisch schreiben. Nehmen wir Coat – Mantel. Wir können nicht C-O-A-T schreiben, den Anfang auf Englisch und dann den Rest auf Maltesisch. Also schreiben wir K-O-W-T. Das ist für uns Coat, denn jeder Buchstabe hat hier einen Klang."
Trevor Zahra ist innerlich gespalten. Einerseits fasziniert ihn diese Sprache mit den vielen Einflüssen von außen, die sich rasch verändert. Andererseits sucht er nach der reinen maltesischen Sprache, wenn es die überhaupt gibt:
"Ich hasse es, wenn wir in einem Satz alles miteinander vermischen. Vor allem, wenn Eltern mit ihren Kindern dieses Kauderwelsch sprechen. Zum Beispiel, wenn sie "books" für Bücher sagen, wo wir doch das Wort 'Ktib' haben. Oder 'School' für Schule, 'Milk' für Milch. Der Satzbau und die Verben sind maltesisch – aber die Nomen sind auf einmal auf Englisch."

Malta kämpfte an der Seite der Briten

Alfred Micaleff, der alte Fischer aus Birgu, beherrscht beide Sprachen, wie fast alle Malteser: Englisch und Malti. Und er fühlt sich – wie ebenfalls viele hier – Großbritannien verbunden. An der Hafeneinfahrt von Valletta zeigt er auf ein großes Loch in der mächtigen Mauer unter den Lower Barrakka Gardens, eindeutig ein Kriegsschaden. Hier muss eine große Bombe eingeschlagen haben.
"Das ist ein Überbleibsel des ersten Angriffs der Italiener und der Deutschen. Die Malteser standen an der Seite der Briten, der König von England hat uns sogar das George-Cross verliehen. Darauf sollten wir stolz sein, weil die Malteser mutig waren und bis zum letzten Blutstropfen gekämpft haben. Es lebe Malta."
Bombenschaden aus dem Krieg unterhalb der Lower Barrakka Gardens von Valletta.
Bombenschaden aus dem Krieg unterhalb der Lower Barrakka Gardens von Valletta.© Jan-Christoph Kitzler
Die Auszeichnung aus England, vom König höchstpersönlich verliehen, ziert bis heute die weiß-rote maltesische Nationalflagge. Das kleine Kreuz links oben ist das britische Georgskreuz aus Großbritannien, auf das viele Malteser bis heute mächtig stolz sind. Vielleicht auch, weil die Kriegszeit sehr hart gewesen ist. Wenn Malteser von der ersten Belagerung sprechen, meinen sie den Krieg gegen die Osmanen im Jahr 1565. Mit der zweiten meinen sie die Angriffe der Italiener und Deutschen in den Jahren 1940 bis 1942, wobei sich die Italiener noch ziemlich zurückgehalten hätten, erzählt die Historikerin Luisana D’Amato.
"Es gab eine sehr enge Verbindung zwischen den maltesischen Inseln und Italien, besonders zwischen den Menschen. So ist es normal, dass du, wenn du angreifen musst, versuchst, niemanden zu verletzen. Das war anders, als die Deutschen die Insel angegriffen haben. Das war wirklich hart. Malta gilt als die am meisten bombardierte Region während des Zweiten Weltkrieges."
In Malta fielen während des Zweiten Weltkriegs die meisten Bomben pro Quadratmeter. Davon ist heute nicht mehr viel zu sehen. Geblieben ist aber eine gewisse Anhänglichkeit an Großbritannien.

Malta entwickelt sich zum Inselstaat der Widersprüche

Wirtschaftlich war die Abkopplung vom Mutterland nicht leicht zu bewältigen. In der quirligen Hafenstadt Valletta wurde es deutlich ruhiger. Die Arbeitslosigkeit stieg, und viele Malteser waren gezwungen, auszuwandern. Erst im Lauf der Zeit hat das kleine Land gelernt, erfolgreich zu wirtschaften. Der Beitritt zur Europäischen Union und zur Eurozone hat einen zusätzlichen Schub gebracht. Seit wenigen Jahren scheint nun alles ganz schnell zu gehen.
Malta verändert sich gerade grundlegend und hat sich zu einer Insel scheinbarer Widersprüche entwickelt. Ein Beispiel: Seit der Zeit der Malteser-Ritter galt der Inselstaat traditionell als sehr katholisch. Dennoch hat Malta ohne große Diskussion die gleichgeschlechtliche Ehe und eine extrem liberale Gender-Gesetzgebung eingeführt. Silvan Agius ist Menschenrechts- und Integrationsbeauftragter der maltesischen Regierung.
"Wenn Journalisten die Veränderungen in dieser Gesellschaft beschreiben, schreiben sie von der ‚kleinen winzigen katholischen konservativen Insel Malta‘."
Tatsächlich ist Malta eines der liberalsten, wenn nicht sogar das liberalste Land der Welt, wenn jemand ein anderes Geschlecht haben möchte.
"Man kann einfach ins Standesamt gehen und sich dort für ein anderes Geschlecht entscheiden. Der Beamte vermerkt den Wunsch, notiert den neuen Namen und das neue Geschlecht. Die Informationen werden ins Melderegister eingetragen, und nach spätestens einem Monat werden die neuen Dokumente ausgestellt. Und das ist alles vom Staat anerkannt. Und die Gesellschaft hat nichts dagegen, im Gegenteil, sie hat das akzeptiert."
In Malta kann man sogar festlegen, dass das eigene Geschlecht in offiziellen Dokumenten wie dem Personalausweis gar nicht angeben wird. Das ist eine private Angelegenheit. Dabei war es in Malta noch bis vor sechs Jahren verboten, sich scheiden zu lassen. Die Wende brachte eine Volksabstimmung.
"Als die Scheidungsbefürworter das Referendum gewonnen haben, ist das Gedankengebäude, alle Malteser stünden im Einklang mit der Lehre der Kirche in sich zusammengebrochen."
Die einstmals starke katholische Kirche hat seitdem deutlich an Einfluss verloren. Die Vertreter der Schwulen- und Lesbenbewegung verstehen die Durchsetzung ihrer Ziele aber nicht als Sieg über die konservativen Kräfte im Land, sagt deren Sprecher Russel Sammut.
"Die Leute hier sind sehr menschlich, sie verstehen die Situationen. Du wirst immer Menschen treffen, die über Sünder, Hölle, Abscheu und so weiter reden. Aber alles in allem ist Malta ein sehr aufgeschlossenes Land."
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