Etwas ist faul im Staate Dänemark

07.10.2008
Der 32-jährige Däne Jonas T. Bengtsson hat ein Debüt geschrieben, das es in sich hat: Ein schizophrener junger Mann wird aus der Nervenheilanstalt entlassen und macht sich auf die Suche nach seiner kurdischen Brieffreundin Amina - ein sozialrealistischer, souveräner, unprätentiöser Roman mit großer Kraft und trockenem Humor.
Der 18-jährige Janus sitzt in seinem Bus auf dem Weg zum Gymnasium, wie immer. Doch an diesem Tag bleibt er einfach sitzen. Er weiß nicht, warum.

"Damals wusste ich nicht, dass ich krank war, ich dachte bloß, ich würde mich langweilen."

Er fährt bis zur Endstation und wieder zurück. Dann läuft er durch Kopenhagen und guckt sich Geschäfte an, er füttert Enten und isst einen Hamburger. Von da an hört er auf, in die Schule zu gehen. Stattdessen wird er irgendwann in die geschlossene Anstalt eingeliefert.

Janus ist schizophren - dass er den Namen des doppelköpfigen römischen Gottes trägt, ist also fast ein bisschen aufdringlich. Er gehört nicht zu den ganz schlimmen Fällen, im Gegenteil: "Sie haben ja wirklich phantastische Fortschritte gemacht", sagt Doktor Petterson nach vier Jahren Behandlung. Janus wird entlassen. Darauf hat er hingearbeitet, er hat sich angestrengt, er hat sich im Griff. Die Entlassung ist für ihn von lebenswichtiger Bedeutung. Denn er will, er muss Amina finden.

Amina, die aus einer kurdischen Familie stammt, ist eine alte Klassenkameradin. Ihre Briefe haben ihn in den letzten Jahren aufrecht gehalten. Sie waren seine Verbindung zur Welt da draußen generell, besonders aber zu einer Welt, die außerhalb seines Kopfes, außerhalb seiner Vorstellung lag: Aminas Briefe haben ihn sozusagen von sich selbst befreit, weil sie ihn mit Problemen konfrontierten, die nicht seine waren, aber trotzdem allgemeinmenschlicher Natur sind. Seit einem halben Jahr hat er nichts mehr von ihr gehört. Was ist da los?

Aus der Anstalt entlassen kommt Janus in der Designer-Wohnung seines Bruders unter, der für eine Weile im Ausland arbeitet. Es ist sein Startpunkt für eine Odyssee durch ein Kopenhagen der Junkies, Verlierer und Halbkriminellen. Ein Kopenhagen widerspenstiger, gewalttätiger Einwandererbanden.

Und ein Kopenhagen scheintoter Kleinbürger, die nur auf Äußerliches achten, im Grunde aber ebenso einsam sind wie die Verrückten. Etwas ist faul im Staate Dänemark, sei’s die Sackgasse der Psychiatrie, sei’s die gescheiterte Integration.

Schon bald erfährt er, dass Amina geheiratet hat, aber auch, dass ihr Mann "nicht ganz einfach" ist. Aber Janus gibt nicht auf. Bei seiner Suche stößt er irgendwann auf eine Türkenkneipe, in der der Vetter von Aminas Mann verkehrt. Dass er hier nicht mit offenen Armen aufgenommen werden würde, damit hatte er gerechnet.

Der schroffe, aber durch einen souveränen Humor erträglich gemachte Sozialrealismus des 32-jährigen Jonas T. Bengtsson erinnert an auch ins Deutsche übersetzte Bücher zweier seiner Landsleute: Jan Sonnergaards "Radiator" (dt. 2000) und Jakob Ejersbos "Nordkraft" (dt. 2004). Die Sprache ist präzis, sein Stil unprätentiös, die Handlung ergreifend, ohne kitschig zu sein.

Wenn man sein Buch stilistisch vergleichen will, dann vielleicht mit zwei deutschen Debüts, Peter Stamms "Agnes" (1998) und Annette Pehnts "Ich muss los" (2001). "Aminas Briefe" ist ein überzeugender Erstling, für den Bengtsson 2005 zurecht den Debütantenpreis der dänischen BG-Bank erhielt.

Rezensiert von Peter Urban-Halle

Jonas T. Bengtsson: Aminas Briefe
Aus dem Dänischen von Günther Frauenlob
Tropen, Stuttgart 2008
240 Seiten, 22,90 Euro