Ethno-Pop und Dialog der Buchreligionen

Von Ayala Goldmann · 16.09.2011
Nicht reden, sondern tanzen. Die israelische Hip-Hop-Formation HadagNachash und die Berliner Ohrbooten, eine Berliner Kultband, haben ihren eigenen Weg zur Verständigung zwischen Deutschen und Israelis gefunden.
Am Samstagabend traten beide Bands im angesagten Berliner Szeneviertel Friedrichshain auf. Zuerst HadagNachash, die sozialkritische Band in Israel - dann die Ohrbooten, Vertreter des so genannten GypHop. Zum Schluss standen alle Musiker gemeinsam auf der Bühne. Israelische Texte vermischten sich mit deutschen, die Fanblocks gingen ineinander auf - bis zum Schluss nicht mehr zu erkennen war, wo die jungen Israelis und wo die Berliner tanzten. Ein erster Höhepunkt bei den jüdischen Kuturtagen Berlin.

Jüdische Kulturtage gibt es mittlerweile in vielen deutschen Städten – auch in Frankfurt oder München. Doch das Berliner Festival, das in diesem Jahr sein 25. Jubiläum feiert, genießt einen Vorreiterstatus. Martin Kranz vom Kulturdienst Weimar organisiert die jüdischen Kulturtage bereits seit Jahren – mittlerweile als Intendant:

"Wir sind der Platzhirsch, weil, es ist das größte jüdische Festival in Deutschland. Durchschnittlich haben wir 25.000 Besucher in zehn Tagen, das ist unglaublich viel, wenn man das vergleicht mit anderen jüdischen Festivals. Und wir merken natürlich auch, Berlin ist ein großer Anziehungspunkt, vor allem auch für israelische Künstler, die das unglaublich lieben."

Auch der israelische Weltmusiker Idan Raichel war dieses Jahr wieder dabei. Am Montagabend trat er in der Synagoge Rykestraße auf. Doch die mittlerweile traditionellen Konzerte in dem Gotteshaus mit über 1000 Plätzen sind nicht der einzige Schwerpunkt des Programms. In diesem Jahr ging es den Veranstaltern vor allem um den Dialog – zwischen den großen Weltreligionen und zwischen Poeten.

Der iranische Exil-Autor Said, der seine Gedichte in deutscher Sprache verfasst, las am Dienstagabend im jüdischen Museum - zusammen mit dem israelischen Dichter Asher Reich. Beide haben sich vor einiger Zeit zusammengetan und ein gemeinsames Lyrik-Buch verfasst: "Das Haus, das uns bewohnt". Die Idee hatte Said: Er konnte die Hassreden des iranischen Präsidenten Machmud Achmadinedschad gegen Israel nicht mehr ertragen:

"Als Iraner habe irgendwann mich verpflichtet gefühlt, ein Zeichen zu setzen gegen die Tiraden der Regierung in Teheran, vor allem des Präsidenten. Dafür brauche ich einen Partner. Ich kann mit Politikern nicht arbeiten, also habe ich einen Lyriker gesucht, der mit mir dieses Projekt ermöglichen kann. Und das war Asher Reich."

Auch Asher Reich weiß, was Exil bedeutet – er kehrte im Alter von 18 Jahren der Ultraorthodoxie in Jerusalem den Rücken - ein Iraner und ein Israeli auf einer Bühne – ist das ein politischer Akt? Nein, meinen Said und Asher Reich:

"Das sieht so aus, aber ich glaube nicht. Das zeigt, dass Freiheit ist ein Teil von Poesie und nicht das Gegenteil, verstehen Sie? Wo es keine Demokratie gibt, gibt es keine Dichtung."

Said: "Die Poesie hat ihre eigene Ebene, wir sind beide erhaben darüber, irgendwelche ideologischen Ziele anzupeilen. Irgendwelche Leute zu verurteilen. Ich denke, dass unsere Poesie für sich spricht, das ist zumindest ein Plädoyer für mehr Liebe und Annäherung."

"Also, dieses Prinzip des Dialogs zieht sich durchs ganze Programm. Wir finden, man kann und muss immer miteinander reden, man muss sich gegenseitig zuhören, wir brauchen Toleranz, wir müssen Dinge zulassen und wir wollen mit dem Festival auch dafür ein Zeichen setzen", "

sagt Intendant Martin Kranz. Ein alter Freund von ihm aus Weimar, der evangelische Theologe Felix Leibrock, entwickelte für die jüdischen Kulturtage eine besondere Dialog-Idee: Vier Tage lang, von sieben Uhr morgens bis zehn Uhr abends, lasen Juden, Christen und Moslems vor der Synagoge Oranienburger Straße aus der hebräischen Bibel, dem Neuen Testament und dem Koran – auf einer Bühne mit Verstärkeranlage, begleitet vom Lärm der belebten Straße und beäugt von neugierigen Passanten. Den Auftakt machte am Dienstag Lala Süsskind, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde. Am Mittwoch war Cem Özdemir, Bundesvorsitzender der Grünen, an der Reihe. Auch der Zentralrat der Muslime schickte einen Vertreter: den 19-jährigen Osama, ein Informatikstudent aus Berlin.

Der Berliner Erzbischof Woelki las am Donnerstag aus der Bibel. Und immer, wenn kein Prominenter zur Stelle war, sprang der evangelische Theologe Leibrock ein – jeden Morgen zwischen sieben Uhr und zehn Uhr las er persönlich aus der hebräischen Bibel:

""Ich finde das ja gerade das Spannende, dass man auf die Straße geht und auch zu den Straßenbahnen hin spricht und auch ein ganz neues Umfeld findet. Das, finde ich, ist für alle Religionen gleichermaßen wichtig, denn die Menschen gehen ja nicht unbedingt in die Gebäude rein, und deswegen gehen wir aus den Gebäuden raus."

Dialog oder Inszenierung fragten sich allerdings die Kritiker. Doch öffentlichkeitswirksam war die Aktion allemal. Und gute PR kann die jüdische Gemeinde zu Berlin immer gebrauchen, und die Kulturtage sind ihr Aushängeschild. Übers Jahr macht die Verwaltung in der Oranienburger Straße mit einem hohen Haushaltsdefizit, scheinbar unlösbaren Problemen bei der Rentenversorgung und persönlichen Querelen Schlagzeilen. Doch einmal im Jahr ist alles für eine Weile vergessen – im Zeichen der jüdischen Kulturtage.

Homepage der Synagoge Rykestraße