"Es war ein Wendepunkt im Leben der Araber"

Abdul Bar Zahran im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 25.01.2012
Vor einem Jahr war Abdul Bar Zahran mit dabei auf dem Tahrir-Platz, als Ägypter zum ersten Mal gegen Hosni Mubarak demonstrierten. Heute ist er enttäuscht von den Ergebnissen der Wahlen - und engagiert sich für die "Gleichheit aller Menschen" in einer neuen Verfassung.
Liane von Billerbeck: Sie sind unvergesslich, die Bilder aus Ägypten von vor einem Jahr, als sich das ägyptische Volk, ermutigt von den Ereignissen in Tunesien, das erste Mal auf dem Tahrir-Platz versammelte und gegen die jahrzehntelange Diktatur Mubaraks aufbegehrte. Es folgte ein Wechselbad der Gefühle: Die Abdankung Mubaraks wurde euphorisch gefeiert, es folgte der Schrecken über das harte Durchgreifen des Militärs und die gemischten Emotionen, als die Muslimbrüder und Salafisten bei den ersten Wahlen triumphierten. Wie er das vergangene Jahr erlebt hat, darüber haben wir gestern mit Abdul Bar Zahran gesprochen, der in Ägypten als Fremdenführer arbeitet und der neugegründeten Partei Die Freien Ägypter angehört. Wir haben deshalb gestern mit ihm gesprochen, weil er heute unbedingt auf dem Tahrir-Platz sein wollte. Herr Zahran, ich grüße Sie!

Abdul Bar Zahran: Ich grüße Sie herzlich und herzliche Grüße nach Berlin!

von Billerbeck: Sie haben die ägyptische Revolution miterlebt und auch mitgestaltet. Wie haben Sie diese ersten Tage der Aufstände, die erste Demonstration auf dem Tahrir-Platz vor einem Jahr in Erinnerung?

Bar Zahran: Wenn ich Sie gerade sprechen höre, dann bekomme ich Gänsehaut. Diese Gänsehaut habe ich bekommen in den ersten Tagen der Revolution. Die Angstbarriere wurde gebrochen, wir haben zusehen müssen, dass viele von uns ihr Leben verlieren mussten. Doktor Ahmad Harara, der Zahnarzt, hat sein rechtes Auge verloren am 28. Januar auf dem Tahrir-Platz, und sein linkes Auge verloren am 18. November vor dem Innenministerium. Die Täter bis jetzt sind unbekannt. Und das wirft sehr viele Rätsel auf. Wer macht die Revolution kaputt?

von Billerbeck: Wenn Sie an diesen 25. Januar vor einem Jahr denken, war das auch ein Wendepunkt in Ihrem Leben?

Bar Zahran: Es war ein Wendepunkt in meinem Leben, es war ein Wendepunkt im Leben des ägyptischen Volkes. Es war ein Wendepunkt im Leben der Araber. Es war ein Wendepunkt im Leben der islamischen Welt. Es wird ein Wendepunkt der ganzen Welt sein, denn wenn Sie um uns herum schauen, dann werden sie sehen, es gibt Einflüsse. Wenn wir nach Amerika schauen, dann haben wir Occupy Wallstreet, das ist Einfluss von dem, was am 25. Januar auf dem Tahrir-Platz passiert ist.

von Billerbeck: Waren Sie eigentlich vorher schon politisch engagiert? Wie war der Weg bis dahin, bis zu den Demonstrationen auf den Tahrir-Platz für Sie?

Bar Zahran: Vor diesem Datum war ich nicht politisch aktiv. Ich habe aber alle Demonstranten bewundert und konnte aus persönlichen Gründen nicht mitmachen. Aber ich hatte mich immer auf dem Laufenden gehalten und hatte immer ihnen die Daumen gedrückt. Und als die Chance gekommen ist am 25. Januar, dann bin ich und sind viele andere auch auf die Straße gegangen und haben unsere Meinung gesagt, auch durch viele ehrliche Journalisten, die uns auf diesen Weg gebracht haben, die uns richtig informiert haben. Denn Informationsmanipulation war eines der größten Waffen der Diktatur.

von Billerbeck: Nach der Euphorie, nach diesen ersten Demonstrationen gab es aber eine Ernüchterung. Das Militär - Sie haben es auch in den Beispielen von denen, die ihr Augenlicht verloren haben, erzählt - hat ganz hart durchgegriffen, und jetzt bei den Wahlen haben die Muslimbrüder und die Salafisten triumphiert. Mit welchen Gefühlen haben Sie beides erlebt?

Bar Zahran: Ich erlebe beides mit sehr gemischten Gefühlen. Also am Anfang haben die Muslimbrüder und Salafisten nicht mitgemacht. Erst am 28. - und das ist allen bekannt. Also, die Muslimbruderschaft hat nicht zur Demonstration am 25. aufgerufen, allerdings kamen sie drei Tage später, nachdem sie gesehen haben, jetzt oder nie. Sie können ganz gut kalkulieren. Die arbeiten seit 1928 und haben auf diesen Moment gewartet, und der Moment ist gekommen. Vielleicht durch den Mut von anderen, aber der Moment ist gekommen. Und die Salafisten und die Muslimbrüder, besonders die Salafisten, ernten heute das, was die Menschen auf dem Tahrir-Platz angebaut haben. Das ist der Ertrag, der 850 Menschen ihr Leben gekostet hat und nach Staatsangaben 6.000 Verletzte. Auf dem Tahrir-Platz werden wir nicht mehr diese Einigkeit erleben, Richtung Ziel stürzen des Regimes, sondern wir haben Wahlsieger, die auf dem Tahrir-Platz ihren Wahlsieg feiern werden, die nur Ruhe verlangen, ohne Demonstration, damit sie in Ruhe arbeiten, und wir haben andere, Liberale, Säkulare, Mann und Frau, die Seite zu Seite stehen, weil sie denken und glauben, dass der eingeschlagene politische Kurs nicht richtig war, und das Ergebnis ist die Teilung auf dem Tahrir-Platz.

von Billerbeck: Abdul Bar Zahran ist mein Gesprächspartner. Er ist Fremdenführer und war und ist während der Revolution in Ägypten aktiv in der neuen Partei Die Freien Ägypter. Wie passt das zusammen, Herr Zahran? Islamismus und Demokratie - oder ist das keine Demokratie?

Bar Zahran: Na ja, ich kann nicht sagen, das es keine Demokratie ist. Wir werden erleben und wir werden sehen, was das dem Land bringt. Fakt ist, sie haben die Mehrheit gewonnen. Wir können Tag und Nacht diskutieren - und das müssen wir machen -, wie die das gemacht haben, und dann müssen wir an unseren Fehlern arbeiten, damit wir auch dahin kommen können, wo sie jetzt sind.

von Billerbeck: Nun sind Sie ja Mitglied einer dieser Parteien, nämlich bei den Freien Ägyptern. Wofür kämpft diese Partei? Wofür steht sie?

Bar Zahran: Diese Partei steht für eine Rechtsstaatlichkeit, für eine Gleichheit der Menschen in Ägypten, für Menschenrechte, für eine Gleichheit ohne irgendwelche Polarisierung der Konfessionen Und das ist ganz wichtig. Sie finden in dieser Partei Alte und Junge, sie finden in dieser Partei Frauen und Männer, Sie finden in dieser Partei Christen und Muslime. Es gibt aber andere Parteien, die islamistische Parteien heißen, die haben keine Christen drin. Christen sind ein Teil unseres Landes und Christentum ist ein Teil unserer Kultur, genau so, wie der Islam uns heute auch einen Teil der Identität gibt. Wir stehen für eine Gleichheit aller Menschen laut der Verfassung, die zu schreiben ist.

von Billerbeck: Trotzdem ist es ja so, dass von denen, die die Revolution erkämpft haben, im Parlament eben nur zwei Prozent sitzen, eben diese Kräfte, die Sie eben geschildert haben. Wie empfinden Sie das?

Bar Zahran: Ich empfinde das als eine große Enttäuschung der Revolution, denn drei Gesellschaftsgruppen stehen außer Parlament - mit ganz wenigen Ausnahmen: Frauen, es sind nur neun Frauen im Parlament, oder zehn, glaube ich ...

von Billerbeck: Von wie vielen?

Bar Zahran: ... Christen - von über 500 Abgeordneten.

von Billerbeck: Das ist nicht viel.

Bar Zahran: Nein, das ist nicht viel. Deshalb sage ich Ihnen, dass folgende Gesellschaftsgruppen außer Parlament stehen: Frauen, Christen und die Revolutionäre. Und ich sehe die nächste Herausforderung für ganz Ägypten: Die Niederschreibung der Verfassung. Werden wir eine Verfassung schreiben, die allen Menschen gerecht wird, oder nicht? Das ist die Frage. Und wir werden versuchen, alles zu tun, dass ein demokratischer Staat in Ägypten entsteht, ein Staat der Transparenz, ein Staat der Rechtsstaatlichkeit, ein Staat der Gesetzmäßigkeit, ein Staat, der all seine Menschen und Bürger gleich behandelt.

von Billerbeck: Das sagt Abdul Bar Zahran, der Kairoer Fremdenführer, der bei der Revolution und bis jetzt in der neuen Partei Die Freien Ägypter aktiv ist, über die Zeit seit der Arabellion. Ganz herzlichen Dank, Herr Zahran!

Bar Zahran: Ich danke Ihnen, vielen Dank nach Berlin!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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