Es kommt immer anders

30.12.2008
Schwarze Schwäne sind das, womit wir nicht rechnen. Dass es im Alltag einzelner Menschen ungeahnte Überraschungen gibt, kann man noch verschmerzen. Im Bezug auf ganze Volkswirtschaften kann solche Blindheit aber zum Kollaps des ganzen Systems führen. Mit seiner These legt Nassim Nicholas Taleb das definitive philosphisch-ökonomische Buch zur Finanzkrise vor.
Auch in den abstrakten Wissenschaften der Ökonomie und der Philosophie sagen Bilder oft mehr als ausgeklügelte Argumentationen. Mit dem Schwarzen Schwan hat der New Yorker Trader und Risikoforscher Nassim Nicholas Taleb ein schlagendes Bild für die tiefe Verunsicherung der gegenwärtigen Weltwirtschaft gefunden.

Über Jahrhunderte waren Naturforscher überzeugt, dass es notwendig zur Definition eines Schwanes gehört, weiß zu sein. Bis man im 17. Jahrhundert in Australien erstmals auf schwarze Exemplare der Art stieß. Schwarze Schwäne sind also das, womit wir nicht rechnen, womit wir aber laut Nassim Taleb rechnen sollten, wenn wir keine bösen Überraschungen erleben wollen - zum Beispiel Börsencrashs, wissenschaftliche Irrtümer, Ehekrach, Bürgerkriege.

Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse avancierte der 2007 zuerst in den USA erschienene Titel schnell zum "Buch über die Krise", so als ob Taleb den Zusammenbruch des globalen Finanzsystems vorausgesagt habe. Das stimmt so nicht, auch wenn man bei der Lektüre staunt, wie gnadenlos Taleb die Schwachstellen eines Systems herausarbeitet, in dem sich die Akteure wechselseitig ihre Brillanz bescheinigen und dabei die Komplexität der Wirklichkeit komplett aus dem Blick verlieren.

In erster Linie jedoch ist Talebs Buch eine rasant und polemisch geschriebene ("Manager müssen auch unter brutalen Zeitplänen in der Lage sein, seichte Leistungen zu erbringen.") Abrechnung mit Prognosen und Prognostikern aller Art. Anhand zahlreicher Beispiele vom Nahostkonflikt ("nur ein kurzfristiges Problem") bis zum Computer ("ein paar davon dürften reichen") geht es ihm um den Nachweis, dass Menschen im Allgemeinen und Historiker und Finanzanalysten im Besonderen vor allem eines gar nicht können: aus der Geschichte zutreffende Aussagen über die Zukunft ableiten.

Wenn sie es zum Teil unter Einbehalt erstaunlicher Gehälter trotzdem tun, liegt es an ihrer epistemischem Arroganz, der Fähigkeit zur geistigen Selbstüberschätzung, die uns viel trennschärfer vom Affen unterscheidet als die biologische Struktur unseres Gehirns. Vor allem sogenannte Experten sind anfällig für diese Art professioneller Verblendung, weil sie die Welt per Tunnelblick auf eine überschau- und beherrschbare Region zusammenschrumpfen lassen.

Das geht oft gut, und weil schwarze Schwäne so selten sind, glauben wir den Fachleuten, sehr robuste Daten über die zukünftige Entwicklung von Märkten und Gesellschaften zu erhalten. Noch zu Beginn dieses Jahres waren die Prognosen aller führenden Wirtschaftsinstitute für die Entwicklung der Wirtschaft ausgesprochen positiv. Dann flatterte ein Schwarzer Schwan in die Finanzmärkte, und statt Wachstumsraten werden wir jetzt mit Schrumpfungsvorhersagen bombardiert.

Wer Talebs Buch gelesen hat, wird auch diese Zahlen mit Vorsicht genießen, denn warum sollten übermäßig pessimistische Kalkulationen besser sein als optimistische?

Nassim Talebs Buch gehört dabei nicht zu jenen billigen Pamphleten, die von der Krise profitieren, indem sie schon immer gesagt haben wollen, dass Manager weder Durchblick noch Moral besitzen. Wie alle Skeptiker misstraut er solchen schlichten Allgemeinplätzen, bleibt aber frei von Zynismus.

Wir lernen ja in diesem Buch auch, dass die Wirtschaft dazu da ist, Geld zu verdienen, genauso wie die Wissenschaft die Wahrheit herausfinden soll. Beide können das manchmal sehr gut. Es ist nur leider viel komplizierter, als wir denken.

Rezensiert von Ralf Müller-Schmid

Nassim Nicholas Taleb: Der schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse
Hanser Verlag, München 2008,
442 Seiten, 24,90 Euro