"Es kommen jüngere Kräfte nach"

Jens Borchert im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 13.05.2011
Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Jens Borchert hat die Krise der FDP zu einem Generationenwechsel an der Parteispitze geführt - auch wenn es in erster Linie nur darum gegangen sei, "ein neues Personaltableau vorzuschlagen".
Jan-Christoph Kitzler: Wenn man sich die FDP so ansieht, dann könnte man meinen, das ist eine Partei im Jugendwahn. Der bisherige Vorsitzende Guido Westerwelle ist mit seinen 49 Jahren alles andere als ein Greis, doch er wird abgelöst von Philipp Rösler, einem 38-Jährigen. Der Generalsekretär ist und bleibt wohl auch nach diesem Parteitagswochenende Christian Lindner mit zarten 32 Jahren und neuer Gesundheitsminister wird der gerade erst 34-jährige Daniel Bahr.

Heute beginnt der FDP-Parteitag in Rostock, und danach wollen die Liberalen alle Personalquerelen hinter sich lassen mit einer neuen Mannschaft. Verkauft wird uns das Ganze als Generationenwechsel. Was bedeutet diese Verjüngungskur für die Partei, und was sagt sie aus über unsere Gesellschaft? Darüber spreche ich jetzt mit Jens Borchert, Professor an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main, und zwar schwerpunktmäßig im Bereich politische Soziologie. Schönen guten Morgen!

Jens Borchert: Guten Morgen, Herr Kitzler.

Kitzler: Wie nehmen Sie das denn wahr? Ist das, was in der FDP passiert, überhaupt ein Generationenwechsel, oder ist die Rede davon am Ende nicht alles nur reines politisches Marketing?

Borchert: Na ja, es sieht auf jeden Fall aus wie ein Generationenwechsel, es kommen jüngere Kräfte nach. Aber das ist ja auch fast unausweichlich. Ich meine, wenn ich das Personal auswechseln will – und das war ja das vorrangige Motiv -, dann muss ich natürlich gucken, wen kann ich denn stattdessen auf diese Positionen setzen, und da kommen eben im Augenblick nur die Jüngeren in Frage, und so ist das fast zwangsläufig an die jetzt gefallen.

Kitzler: Sie sagen also, es sieht so aus wie ein Generationswechsel. Ist es einer oder nicht?

Borchert: Ja natürlich! Es ist schon einer, aber es ist nicht als Generationenwechsel, glaube ich, geplant worden. Man versucht jetzt vielleicht, das so darzustellen. In erster Linie ging es darum, ein neues Personaltableau vorzuschlagen, um aus der Krise herauszukommen.

Kitzler: Werden eigentlich die Zyklen, in denen neue politische Führungsfiguren auf den Plan treten, immer kürzer?

Borchert: Ja, da ist schon was dran. Ich glaube, auch diese Beschleunigung hat was damit zu tun, dass jetzt jemand wie Guido Westerwelle mit Ende 40 im Grunde schon am Ende seiner politischen Karriere angekommen ist. Also die politischen Kräfte, das politische Personal wird sehr viel schneller verschlissen als früher, und das ist natürlich ein Problem, weil dann muss man immer wieder neues Spitzenpersonal generieren, und die Frage ist dann, woher nehmen wir das.

Kitzler: Liegt das nicht auch an den Biografien unserer Politiker, dass zum Beispiel unsere Politiker inzwischen gar kein Problem mehr damit haben, Politik als ihren einzigen Beruf zu betreiben und dass sie deswegen schon sehr früh in Führungspositionen kommen?

Borchert: Nein. Ich glaube, das ist nicht das Problem. Ich glaube, Politik ist ein Beruf, das muss man einfach anerkennen, und wie in jedem anderen Beruf ist es sinnvoll, wenn man den nicht zu spät im Leben beginnt. Das ist, glaube ich, gar nicht das Problem. Das Problem ist eben, dass es dann sehr schnell dazu kommt, dass wir uns übersehen an gewissen Persönlichkeiten und dann nach neuen Köpfen verlangen, und die Parteien befriedigen dann diesen Bedarf, aber das sorgt natürlich dafür, dass wir einen sehr schnellen Wechsel dann auch haben.

Kitzler: Das heißt, in unserer Mediengesellschaft werden Figuren, auch Spitzenfiguren schneller verbrannt?

Borchert: Ja, eindeutig.

Kitzler: Was sagt das eigentlich über unsere Gesellschaft aus, wenn das, was jetzt in der FDP passiert, uns als Generationenwechsel verkauft wird? Gibt es so eine Art Jugenddruck auch im politischen System?

Borchert: Na ja, eigentlich nicht. Also wir reden ja viel vom demographischen Wandel. Wenn Sie sich die Altersstruktur in unserer Gesellschaft anschauen, würde man eigentlich vermuten, dass die Parteien jetzt nach älteren Persönlichkeiten suchen, die sie auch den Wählern mal präsentieren können. Aber das ist noch nicht so angekommen. Im Grunde haben wir noch ein Verhaltensmuster, das noch aus einer anderen Zeit stammt, wo man halt immer wirklich auf Verjüngung gesetzt hat. Tatsächlich wird man in Zukunft sicherlich da zu einer eher gemischten Politik kommen müssen, wo man immer auch ältere Politiker in Spitzenpositionen hat.

Kitzler: Das heißt, die Tatsache, dass unsere Gesellschaft immer älter wird, die muss sich dann irgendwann auch niederschlagen im Führungspersonal?

Borchert: Na ja, sonst klafft ja die Lücke zwischen Bevölkerung und Eliten noch weiter auseinander, als das ohnehin schon der Fall ist, und das ist sicherlich nicht wünschenswert.

Kitzler: Liegt das vielleicht auch daran, dass in unserer Gesellschaft das äußere Bild, der äußere Schein immer, immer wichtiger wird - man hat ja zum Beispiel von Daniel Bahr als dem Poster-Boy der FDP gesprochen -, also dass wichtig ist, wie jemand aussieht, wie vital er ist und dass deswegen Ältere auch einen schlechteren Stand haben?

Borchert: Das ist sicherlich teilweise so, aber auf der anderen Seite, wenn Sie sich unser politisches Spitzenpersonal anschauen, wird man sicherlich nicht sagen können, dass die jetzt alle da sind, wo sie sind, weil sie so telegen sind, oder weil sie so besonders attraktiv sind. Bei Daniel Bahr kann man das vielleicht zum Teil sagen, schon bei Philipp Rösler ist jetzt zweifelhaft, ob er wirklich immer in der Öffentlichkeit so eine attraktive Figur macht.

Kitzler: Ist das eigentlich ein Phänomen, was alle Parteien betrifft, oder ist das jetzt ein spezielles FDP-Ding?

Borchert: Na ja, das Problem betrifft all die Parteien, deren Personaldecke dünn geworden ist, und das heißt im Augenblick ist davon die FDP in starkem Maße betroffen, sicherlich auch die SPD, die ja auch ein erhebliches Nachwuchsproblem hat, bei der Union ist das noch nicht ganz so stark ausgeprägt und bei den Grünen zurzeit eben auch nicht. Das könnte sich schnell ändern, wenn dort eben mehr Personal einfach gebraucht wird, für Regierungsaufgaben zum Beispiel.

Kitzler: Der angebliche Generationenwechsel in der FDP und was er bedeutet. Das war Jens Borchert, Professor an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Haben Sie vielen Dank und einen schönen Tag.