"Es ist politischer Druck da"

Moderation: Nana Brink · 06.04.2013
In den letzten 15 Jahren habe es erhebliche Veränderungen gegeben, sagt der Leiter der Abteilung für internationale Zusammenarbeit am Zentrum für Steuerpolitik der OECD, Achim Pross. Seine Organisation sei aber im Kampf gegen Steuerhinterziehung auf einem guten Weg.
Nana Brink: Seit Tagen berichten wir hier über die Offshore-Leaks und den internationalen Kampf gegen Steueroasen. Ein riesiges Paket mit den Daten von 130.000 Steuersündern, die große Vermögen in Briefkastenfirmen geparkt haben, wurde ja von einem Team von internationalen Journalisten ausgewertet. Auch Hunderte deutsche Steuerflüchtlinge finden sich darunter. Nach Schätzungen der deutschen Steuergewerkschaft haben findige Deutsche mehr als 400 Milliarden Euro in Steueroasen verschoben. Da kann man sich ausrechnen, was da unserem Fiskus entgangen ist.

Auch bei der OECD - das ist die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - macht man sich natürlich schon seit Jahren Gedanken, wie auch Achim Pross, Leiter der Abteilung für internationale Zusammenarbeit und Steuerverwaltung bei der OECD, und ich habe ihn gefragt: Ist das nicht ein Hase-und-Igel-Spiel, also ein Steuerschlupfloch wird geschlossen und ein anderes geht auf? Muss das so sein?

Achim Pross: Gerade das, so sieht es aus, so ist es aber an sich nicht. Warum? Sie haben, wenn Sie zurückschauen über die letzten 15 Jahre, erhebliche Veränderungen gesehen. Wir haben seit 2009 bei der OECD eine Gruppe, da sitzen inzwischen 120 Staaten drin, alle diese Steueroasen, und alle werden einzeln überprüft. Seit 2008 haben wir bis heute 800 Abkommen abgeschlossen zwischen Steueroasen und anderen Ländern, hauptsächlich OECD-Ländern.

Das sind viele, das sind auch alle Länder dieser Erde, alle die, die ich jetzt hier so sehe in diesen Leaks, die dort erwähnt werden, die sind alle inzwischen in diesem Bereich engagiert. Die sind natürlich noch nicht angekommen - Sie können sich vorstellen, solche Abkommen müssen ausgehandelt werden, solche Abkommen müssen in Kraft treten, solche Abkommen gelten häufig nur für zukünftige Steuerperioden -, aber wir haben schon einen großen Schritt getan. Man kann auch nicht die Welt in zwei Tagen ändern, aber es bewegt sich doch viel, und einiges geht auch in die richtige Richtung, ohne dabei sagen zu wollen, dass wir schon angekommen sind.

Brink: Sie haben jetzt angesprochen diese sogenannte schwarze Liste, also seit dem G20-Treffen 2009 ist ja Bewegung da reingekommen, es gab eine schwarze Liste für Staaten, die sich weigerten zu kooperieren, also Informationen weiterzugeben. Angeblich ist die Liste jetzt leer, weil alle Staaten, die darauf standen, kooperierten, aber es gibt ja immer noch Steueroasen.

Pross: Das kommt drauf an, was Sie unter einer Steueroase verstehen. Es gibt heutzutage keine relevanten uns bekannten Staaten, die sich weigern, den OECD-Standard auszuüben. Das heißt, wenn Sie von diesem Land Auskünfte wollen, dann kriegen Sie die auch. Und wenn das Land das verweigern sollte, dann haben wir einen Überprüfungsmechanismus hier mit inzwischen 100 Prüfungsberichten, wo ganz genau drinsteht, wer was macht und wer sich verweigert.

Und wenn auch in der Praxis dann dort irgendwas nicht funktioniert, dann steht da auch drin, dann kriegt er schlechte Noten. Und wenn da jemand schlechte Noten kriegt, dann ändert er es auch relativ schnell. Ich sage das deswegen, weil wir das auch sehen: Von den 600 Empfehlungen, sprich schlechten Noten, die wir inzwischen ausgesprochen haben, haben 300 schon gesetzliche Änderungen vorgenommen. Da sind natürlich immer noch 300, wo was gemacht werden muss, aber das ist ein Prozess, der nun eben jetzt fortschreitet, der braucht auch ein bisschen Zeit, aber es ist gerade eben nicht so, alle müssen mitmachen. Es bringt uns allen nichts, wenn sich die Steuerhinterziehung von A nach B nur einfach verlagert ...

Brink: Aber es ist ja freiwillig, Sie müssten ja Druck ausüben …

Pross: Wir lösen natürlich Druck aus, und der Druck kommt ganz immer, wie schon damals, immer noch von der G20. Es gibt alle sechs Monate einen Updatebericht an die G20, wo genau drinsteht, wer was macht und wer nichts macht, und das ist bekannt. Sie können sich dem also nicht entgegenstellen, wollen Sie sich nicht möglicherweise den Zorn der G20 zuziehen.

Und da sitzen nun alle großen Staaten drin, und wie Sie sehen auch an diesen extrem schnellen Veränderungen in vielen Ländern ... Sie müssen ja auch verstehen, dass das ein Geschäftsmodell war einiger dieser Länder, seit 50 Jahren, und dann sehen Sie, in zwei, drei Jahren eine ganz erhebliche Veränderung.

Brink: Trotzdem haben Sie bei der OECD ja darauf hingewiesen, dass man dieses Problem ja nur global - und dafür steht ja auch die OECD mit ihren 34 Mitgliedsländern - also nur global in den Griff bekommt. Und da gibt es ja Überlegungen bei Ihnen, nach einem neuen Modell, nach dem Motto "Steuern werden da erhoben, wo die Werte geschaffen werden und die wirtschaftliche Aktivität stattfindet". Wie weit sind Sie denn damit gekommen bei Ihren Mitgliedern?

Pross: Dies sind zwei Themen, die muss man ein bisschen auseinanderhalten. Thema Nummer eins ist, um es simpel zu sagen, das Konto, wo der Einzelne zu Hause bescheißt. Das ist ganz klare Hinterziehung, das ist ein Fall für den Informationsaustausch, und da müssen wir sicherstellen, dass ganz egal, wo der auch hingeht, dass er sich nirgends irgendwo verbergen kann, wo man ihn nicht möglicherweise findet.

Deswegen der OECD-Standard: Informationsaustausch auf Ersuchen. Wenn der deutsche Fiskus, der inzwischen auch schon 22 von diesen Abkommen hat, wenn der eine Frage hat im Rahmen einer Überprüfung eines Steuerpflichtigen, dann muss die Steueroase Auskünfte geben, und zwar auch, wenn es sich um eine Briefkastengesellschaft handelt, einen Trust, da müssen Rechnungsunterlagen da sein, da muss man auch wissen, wo die Hintermänner sind, und da arbeiten wir auch ganz eng zusammen mit den Geldwäschebehörden, die das nämlich auch verlangen.

Brink: Aber da muss ich - Pardon - da muss ich noch mal ganz kurz einhaken, weil es ja doch nicht so funktioniert. Also die USA haben ja zum Beispiel die Schweiz massiv unter Druck gesetzt und gedroht mit dem Entzug von US-Lizenzen nach dem Motto "wenn ihr nicht die Informationen liefert, die wir wollen", bei Deutschland und der Schweiz hat das ja nicht funktioniert.

Pross: Sie müssen wieder Sachen unterscheiden: Es geht zum einen darum, dass wir eine Veränderung hatten 2008, 2009 ganz dramatisch, in den meisten Fällen für jetzt zukünftige Steuerjahre. Ein Teil des Streites der Amerikaner mit der Schweiz bezieht sich auch auf Fälle, die vorher liegen. Und das zweite Thema ist ein Thema, das darüber hinausgeht.

Die Amerikaner wollen effektiv eine Berichterstattung von Banken direkt an die amerikanische Finanzverwaltung. Das geht natürlich darüber hinaus über das, was wir im internationalen Standard haben, und das ist der Standard auf Ersuchen. Aber um auf Ihren Ausgangspunkt noch mal zurückzukommen, die Frage, was machen wir mit wirtschaftlichen Aktivitäten: Das beschäftigt sich mit der gerechten Besteuerung multinationaler Konzerne, das ist eine Steuergestaltungsfrage, keine Steuerhinterziehung.

Da wird, ums knapp zu sagen, nicht beschissen, keine Steuerhinterziehung, da wird geplant, aber eben im Schlupflochbereich, im grauen Bereich, mit Ergebnissen, die die Gesellschaft mittelfristig Schwierigkeiten hat zu akzeptieren. Aber es sind doch zwei Problempunkte.

Brink: Aber sind Sie sich beim Letzteren, jetzt noch mal darauf zu kommen, wo werden die Steuern erhoben, wie weit ist man da gekommen, bei den Mitgliedstaaten?

Pross: Bei diesen sind wir einen Bericht, der an die G20 ging im Februar ... Die G20 hat sich von uns ausbedungen, einen Aktionsplan zu entwerfen, an dem arbeiten wir, den hoffen wir dann auch im Steuerausschuss der OECD im Juni zu verabschieden und würden ihn denn auch den G20 zur Verfügung stellen, wenn sie sich treffen im September.

Brink: Noch mal ein Beispiel, um das Letztere noch zu verdeutlichen, auch für unsere Hörer: Ist denn das überhaupt realistisch, dass so etwas passiert, also dass man wirklich globale Konzerne auch besteuern kann an dem Ort, an dem sie auch, ja, ich sag mal gemeldet sind? Das ist ja in Europa auch schon nicht praktikabel, also sehen wir zum Beispiel London und Deutschland.

Pross: Also, ums kurz zu sagen: Erstens glauben wir durchaus daran, dass es praktisch gar nicht anders geht. Wenn Sie heutzutage Probleme lösen können, müssen Sie Probleme global angehen, im Kleinen kommen Sie gar nicht mehr vorwärts, auch Deutschland ist so groß nicht, so muss man in der internationalen Koordination fortschreiten. Ist so was möglich?

Wir glauben ja, und ein Beispiel ist auch durchaus die Veränderung, die wir gesehen haben hinsichtlich des Bankgeheimnisses, Informationsaustausches, wie gerade beschrieben. Wenn Sie diesen gleichen Gedanken anwenden auf die Versuche einer gerechten Besteuerung der Unternehmen, gibt es viele Gründe zu glauben, dass wir auch da erfolgreich sein können, weil viele Punkte gleichzeitig dafür sprechen.

Es ist politischer Druck da, es ist Handlungsbedarf, es ist sachlich geboten, und es ist, soweit wir das sehen können, sowohl bei OECD-Ländern, auch bei relevanten Schwellenländern ein starkes Interesse da, diese Sachen anzugehen, auch mit dem Ziel, der Wirtschaft eine sichere Handlungsgrundlage zu schaffen, sodass es nicht dazu führt, dass jeder seine eigenen Regelungen macht, weil dann kommen wir in eine Welt, wo sozusagen der, der zuletzt kommt, schaut ins Ofenrohr und die anderen machen es zuerst.

Dann bricht das internationale System zusammen. Und wir haben alle ein Interesse, dass das System funktioniert und dass wir es dann möglicherweise dann angleichen, wenn Druckelemente entstehen. Das ist das, was wir versuchen, und da sind wir eigentlich ganz optimistisch, dass wir das hinkriegen können.

Brink: Achim Pross, Leiter der Abteilung für internationale Zusammenarbeit und Steuerverwaltung bei der OECD. Schönen Dank, Herr Pross, für das Gespräch!

Pross: Vielen Dank!


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