"Es ist kein einfaches Projekt"

Marcus Vetter im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 27.12.2011
Marcus Vetter will sich weiterhin für ein funktionierendes Kino in Jenin einsetzen. Die Menschen in der palästinensischen Stadt bräuchten Unterhaltung und Anlässe zum Lachen, sagt der Regisseur der Filme "Das Herz von Jenin" und "Cinema Jenin - die Geschichte eines Traumes".
Liane von Billerbeck: Aber einer träumt ihn weiter, diesen Traum – der Regisseur Marcus Vetter. Ich grüße Sie!

Marcus Vetter: Hallo!

Billerbeck: Träumen Sie immer noch von dem Kino in Jenin?

Vetter: Na, so kann man es nicht sagen. Ich glaube, der Titel ist ein bisschen anders gemeint. Es ist kein einfaches Projekt auf jeden Fall, kann man sagen. Und ich denke, dass alle mitträumen müssen, um es zu verwirklichen am Ende.

Billerbeck: Andere hätten sich bestimmt längst entmutigen lassen, sie fangen aber immer wieder von vorne an, damit dieser Traum vom Kino in Jenin wahr wird. Warum können Sie davon nicht lassen?

Vetter: Weil ich glaube, wenn man ein Projekt beginnt, muss man es bis zu Ende auch begleiten, und dass so ein Projekt – ein Kino mitten in Jenin, also damals einer der gefährlichsten Städte der Welt, wo man nicht mehr dran geglaubt hat irgendwie –, dass das nicht ganz so einfach ist, ist klar, und wir hatten im April diesen Jahres den schrecklichen Mord an Juliano Mer-Khamis, und da kann man nicht einfach so weitermachen. Aber jetzt ist viel Zeit vergangen, ich weiß, dass das Freedom Theater, wo der Juliano Mer-Khamis letztendlich der Theaterleiter war, dass die jetzt auch wieder Hoffnung haben und auch wieder weitermachen. Ich denke, es sind kleine Schritte. In dieser Gegend zählen sowieso kleine Schritte, und man darf nicht aufhören.

Billerbeck: Wie war es eigentlich, diesen neuen Film in Jenin zu drehen? Welche Hürden waren für Sie die höchsten?

Vetter: Die größten Hürden waren, zu verstehen, dass die Menschen so viel gelitten haben – viele haben so sehr gelitten, ihnen wurde alles weggenommen, die Häuser zerstört, die Leute sind im Gefängnis –, und wir wollten mit tollen Israelis, die eben auch an einen palästinensischen Staat glauben, mit denen zusammenarbeiten, und dann haben wir plötzlich natürlich festgestellt, dass in Dschenin nicht alle so denken, sondern dass so viel Verletzung in den Menschen ist, dass manche eben nicht bereit sind, diesen Schritt zu machen, den Ismail Khatib damals gegangen ist, als er die Organe seines Sohnes an israelische Kinder gespendet hat. Und da mussten wir einfach ein bisschen umdenken und dem ganzen auch mehr Zeit geben.

Billerbeck: Man hat in dem Film immer wieder das Gefühl, dass sie zwar viele freiwillige Helfer aus Deutschland hatten, aber so, wie Sie es eben geschildert haben – wie stark war denn die Beteiligung der Bevölkerung aus Jenin an diesem Projekt Cinema Jenin?

Vetter: Das war auch ganz unterschiedlich: Am Anfang haben alle mitgemacht, und dann kam das erste Geld nach Jenin. Und jetzt gibt es in Jenin gar kein Geld – seit die Mauer gebaut worden ist, sind die ganzen Umsätze der Geschäftsleute total zusammengebrochen. Das heißt, es gibt kein Geld. Also jetzt gab es plötzlich Geld, wie in anderen NGO-, also solche Charity-Projekten auch. Und dann möchte natürlich jeder ein bisschen was von diesem Kuchen haben. Und das hat wiederum sehr, sehr lange gedauert, bis die Leute begriffen haben, dass man ein Team werden muss. Und dann wurden sie auch ein Team. Ein, zwei Monate vor der Eröffnung haben alle wirklich zusammengearbeitet – und das war auch der euphorischste Moment in der ganzen Sache. Und danach hatten wir eben nicht genügend Geld, das Kino einfach so weiter zu betreiben. Dann ist Juliano Mer-Khamis ermordet worden. Wir waren alle schockiert. Und jetzt erst, nach einem ganzen Jahr, glaube ich, dass sich so langsam ein Team herauskristallisiert, die eine Vision entwickeln können. Das ist nicht so einfach. Wir können hier vielleicht einfache Visionen entwickeln, wenn es uns gut geht. Aber wenn man eigentlich ums tägliche Überleben kämpft, dann ist einem manchmal die Nase näher als vielleicht eine Vision in der Zukunft.

Billerbeck: Sie wollten ja ursprünglich Ihren Film in Jenin uraufführen. Daraus ist nichts geworden, die Premiere fand in Amsterdam statt. Wie waren denn dort die Reaktionen?

Vetter: Wir waren jetzt in Amsterdam, da hatten wir die Weltpremiere, und dann in Dubai. Die Reaktionen sind toll auf den Film. Jetzt ist es so, dass diese Premiere, so, wie wir sie gesehen haben, aus Jenin nicht so schnell stattfinden konnte. Aber wir haben ganz, ganz fest vor, den Film vielleicht schon im Februar oder März in Jenin im Kino zu starten. Wir machen jetzt die arabischen Untertitel dazu, wir planen den Kinostart wahrscheinlich für Frühsommer in Deutschland – ich glaube aber, dass wir schon vorher den Film in Jenin starten werden.

Billerbeck: Woraus beziehen Sie die Hoffnung, dass das nun tatsächlich klappen könnte?

Vetter: Na, wir haben ja ein Kino. Wir müssen ihn eigentlich nur zeigen in unserem eigenen Kino. Das wird schon klappen. Und es haben auch die ersten Leute in Jenin den Film schon gesehen. Doktor Lamiah, der jetzt das Kino betreibt, das ist der Sohn des ehemaligen Besitzers, der sehr, sehr früh, nämlich auch die Vision und die Leidenschaft zu dem Kino entdeckt hat und uns immer unterstützt hat. Und er hat den Film gesehen und er ist sich ziemlich sicher, dass alle sehr, sehr neugierig sind, was denn da passiert ist in den letzten drei Jahren. Und vielleicht rennen die Leute uns auch das Kino ein wegen des Films. Natürlich kann es nicht nur um den Film "Cinema Jenin" gehen, sondern das kann ein Start sein. Ich habe gerade in Holland so einen tollen Film gesehen, der heißt "Five broken Cameras", ist ein palästinensischer Film, der ein unglaublich tolles Meisterwerk von Film ist, und den würden wir auch gerne nach Jenin holen.

Billerbeck: Erzählen Sie uns doch, worum geht es in diesem Film?

Vetter: Es ist ein Film von einem Palästinenser, der in einem kleinen Dorf in Palästina lebt und gegenüber wurde die Mauer gebaut und auf der anderen Seite die Siedlung. Und fünf Jahre lang demonstriert dieses Dorf gegen diese Siedlung und gegen die Mauern. Immer wieder donnerstags sind diese Proteste, und es geht um diesen Palästinenser, der jetzt eine Kamera geschenkt bekommt und sich in diese Kamera verliebt, und im Laufe dieser fünf Demonstrationen, also dieser fünf Jahre, wo sie demonstrieren, werden ihm fünf Kameras kaputtgeschossen oder in diesem Konflikt gehen sie kaputt. Und diese fünf Kameras, in die er sich verliebt, und der dann letztendlich ein Filmemacher wird über diese Zeit, symbolisiert sich der ganze Konflikt. Und das ist ein ganz einfacher Palästinenser, der am Ende einen großen Film macht, und dessen bester Freund vor seinen Augen stirbt, und er trotzdem ihn filmt, weil diese Kameras ihn schützen und weil er die Geschichte erzählen möchte. Es ist ein unglaublich ergreifender Film.

Billerbeck: Sie wollten ja sogar ein Filmfestival in Jenin gründen. Das wäre doch der erste Film für dieses Filmfestival, oder?

Vetter: Das wäre zum Beispiel ein ganz toller Film für so ein Filmfestival, genau. Wenn wir noch mal eines machen, vielleicht im Frühjahr – im Kleinen. Wir müssen alles gerade in kleinen Schritten denken. Wir hatten wirklich eine Mammut-Eröffnung, und die war groß und die war toll, und sie war wirklich einzigartig, und ich glaube, jetzt müssen wir einfach wieder zurück und in kleinen Schritten denken, und dann machen wir vielleicht ein kleines Filmfestival mit fünf Filmen – das reicht, zwei, drei Tage nochmal lokal, vielleicht noch nicht international, um nicht unsere ganze Energie auszugeben, und vielleicht schaffen wir es dann in 2013, ein größeres Filmfestival zu machen.

Billerbeck: Das heißt, Sie glauben immer noch, dass Kino, Kinokultur, Autorenfilme auch das sind, was die Menschen in Jenin brauchen?

Vetter: Ja, da bin ich mir ganz sicher. Die Menschen brauchen beides, die Menschen brauchen Unterhaltung, wo man lachen kann – und das sind halt die ägyptischen Filme, weil sie die ägyptischen Schauspieler kennen –, und die Menschen brauchen Theater – da gehen sie sowieso hin, also Theaterstücke sind immer bei uns ausverkauft, oder wenn ein Clown kommt, oder Kindertheater –, aber die Menschen wissen gar nicht, so wie bei uns auch die meisten Zuschauer nicht wissen, was es für tolle Dokumentarfilme gibt. Und wenn man sie dann zeigt, und die Leute so langsam Vertrauen dazu finden, dass die Filme toll sind, dann kommen sie auch. Ich glaube, dass die Zuschauer dort ähnlich sind wie bei uns, nach wie vor. Ich glaube, dass sie sehr neugierig sind, und nach wie vor glaube ich voll dran.

Billerbeck: Marcus Vetter war das, der Regisseur des Films "Cinema Jenin – die Geschichte eines Traums", der hoffentlich noch in Erfüllung geht. Danke Ihnen für das Gespräch!

Vetter: Vielen, vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema