"Es hat sowieso keine Demokratie in Mali gegeben"

Paul Mben im Gespräch mit Ulrike Timm · 10.07.2012
Wenn jetzt nichts passiere, werde Mali ein zweites Afghanistan, sagt der malische Journalist Paul Mben. Aber alleine könne das Land es nicht schaffen. Mben hofft auf Unterstützung aus Europa und den USA.
Ulrike Timm: Mali ist einer der größten Staaten Afrikas, und er bricht gerade auseinander. Stand das Land lange Zeit für das legendäre Timbuktu, für stolze Tuareg und eine traumhaft schöne Sahara, so hat sich das Bild in wenigen Wochen gedreht. Ausgehend vom Norden des Landes, wollen Islamisten dort eine Art afrikanisches Afghanistan errichten, diese Islamisten haben den Tuareg ihren Aufstand entwunden und besetzen immer größere Teile Malis. Betroffen ist derzeit ein Gebiet, das ungefähr so groß ist wie ganz Frankreich. Und all das ging ganz schnell. In Malis Hauptstadt Bamako, im Süden, fürchtet man jetzt, dass Mali endgültig auseinander bricht - und dass die Islamisten der bislang toleranten und offenen Lebensart den Garaus machen. Zugeschaltet ist uns jetzt der malische Journalist Paul Mben, er hat in Deutschland studiert, er war gerade in den islamistisch besetzten Gebieten unterwegs, und wir erreichen ihn jetzt in der Hauptstadt Bamako. Schönen guten Tag, Herr Mben!

Paul MBen: Schönen guten Tag!

Timm: Herr Mben, lebt man bei Ihnen dort denn eigentlich noch sicher?

MBen: Nicht so. In Bamako, kann man sagen, also es ist ein bisschen sicher. Das ist die Krise, die im Norden los sind. Bamako, die Sicherheit, wie Sie jetzt gefragt haben, ist relativ gut in Bamako. Das heißt, man kann in der Stadt sagen wir mal, sein, ohne Angst zu haben. Es gibt Polizisten, also Militär überall mit Waffen. Es gibt eine relative Sicherheit in Bamako.

Timm: Mali galt ja lange als relativ stabil. Wie konnte das denn sein, dass so große Teile, fast der ganze Norden, so schnell in die Hände von Islamisten gefallen sind?

MBen: Die Stabilität, die Sie jetzt gesagt haben, war relativ. Das heißt, außerhalb des Landes galt Mali als stabil, aber innerhalb, zum Beispiel, ich war mehrmals im Norden gewesen, Timbuktu, Gao, Kidal. Ungefähr 1800 Kilometer entfernt von Bamako. Da gab es viele, viele Versammlungen zwischen Tuaregs und ich habe immer gesehen, also, wie man Drogen und Waffen, es gibt so Handel also zwischen diesen Leuten, und das war gefährlich. In Bamako hat man immer gedacht, na ja, gut, das ist im Norden, es wird nicht in Bamako passieren. Von außen hat man es so gesehen, ja, Mali ist gut, es gibt eine Demokratie.

Es hat sowieso keine Demokratie in Mali gegeben. Weil der Präsident, der ehemalige Präsident, Sidibe war gut also befreundet mit europäischen Ländern, mit Deutschland, mit Frankreich, mit Dänemark, mit den USA. Die Botschafter, die haben gewusst, dass unsere Demokratie nicht so stark war, dass unser Land nicht so stark war, dass unser Land nicht so stabil war. Und die haben, manchmal mit dem Präsidenten oder mit Minister, also dem Außenminister, gesprochen. Die haben gesagt, na ja, es gibt das und das im Norden, es gibt das und das in Kidal, es gibt solche Sachen in Bamako oder in Timbuktu, sie müssen aufpassen. Aber na ja, gut, das waren nur so Rede und theoretische Sachen. Deswegen haben die so schnell die Unstabilität zu uns gekommen.

Timm: Haben es ausnutzen können. Nun sind derzeit fast 300.000 Menschen im Norden auf der Flucht in einem Gebiet so groß wie ganz Frankreich. Wo sind die und wie versorgen sie sich mit Wasser und mit Lebensmitteln?

MBen: Also die Leute sind in ungefähr drei großen Ländern, also Algerien, Mauretanien, ein bisschen in Niger, und ein großer Teil in Burkina Faso. Ich war persönlich in Burkina Faso vor ungefähr drei Wochen. Ich habe Flüchtlingscamps gesehen, das ist manchmal schrecklich, nicht? Wenn ich daran nachdenke - das ist schwierig.

Timm: Was haben Sie gesehen?

MBen: Ja, es gibt fast kein Wasser. Es gibt nicht genug Nahrungsmittel. Die Leute schlafen manchmal am Boden. Das ist keine richtige Lage, Flüchtlingslager wie in Somalia oder in Sudan. Die Leute haben sich selbst so Zelte gebaut mit Stoffen und so weiter, es ist keine richtige Flüchtlingslager. Es gibt keine Medikamente, genug, nicht genug Medikamente. Das ist nicht gut.

Timm: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem malischen Journalisten Paul MBen. Nun ging das ja alles blitzschnell, in wenigen Wochen. Hat man jetzt in Bamako im Süden das Gefühl, weil die Islamisten jetzt im Norden sind, stehen Sie praktisch mit ihrer extremistischen Auffassung vor der Tür, und fürchtet um die Freiheit, um die Liberalität im ganzen Land?

MBen: Also, ich meine, in Bamako, Sie sehen, Bamako ist ja eine Hochstadt, und im Süden sowieso wollen die Rebellen nicht. Ich meine, die Frage jetzt ist nicht, ob wir Angst oder nicht Angst haben. Die Frage ist jetzt, wie wir dieses ganze Problem also lösen werden. Deswegen hat, na ja gut, der Präsident, der ehemalige Präsident Sidibe hatte recht, den Nachbarländern zu sagen, dass Mali allein nicht gegen diese Leute kämpfen kann. Weil diese Islamisten, vor allem dieses Al-Khaida-Problem, ist nicht nur in Mali.

Timm: Manche sprechen jetzt schon von Mali als einem zweiten Afghanistan, einem Tummelplatz für Al Khaida. Sie sprachen eben das auch an. Wie zeigt sich das, und wie berechtigt sind solche Befürchtungen, dass da richtig terroristische Nester von Al Khaida die Macht übernehmen?

MBen: Ja, würden wir nichts tun, dann wird Mali so wie Afghanistan sein, weil jetzt haben wir was? Al Khaida, Al Sadin, Boko Haram. Alle diese Terroristengruppen sind bei uns hier. Aber ich meine, also Deutschland, Frankreich, die USA, die können ja etwas dagegen tun. Weil die Länder wie Algerien, Marokko, Mauretanien, die sind da, die gucken uns zu, also immer Versammlungen, aber keine wichtige Aktionen gegen diese Leute.

Timm: Nun hätten wir in Europa ja ehrlicherweise kaum nach Mali geguckt, wenn nicht die UNESCO die geschändeten Grabstätten auf ihre Kulturerbeliste gesetzt hätten. Vorort fragt man sich wahrscheinlich, wer zum Teufel ist die UNESCO, aber kann der Blick von außen oder Protest von außen wirklich helfen?

MBen: Nein, nein. Überhaupt nicht.

Timm: Muss man selber lösen?

MBen: Also, man hätte das so vorher machen können. Das heißt zum Beispiel, eine Delegation zu diesen Islamisten schicken müssen, um mit ihnen zu sprechen.

Timm: Herr MBen, Mali ist ja ein Land mit einer ganz bedeutenden Musik- und Kulturszene innerhalb Afrikas. Was hören Sie denn von Künstlern, von Musikern, haben die Angst? Sorge?

MBen: Nein, nein, nein, also Angst, Sorge - alle Leute aus Mali sind ganz betroffen, aber Angst oder Sorge, nein, nicht so. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Die Leute von Tinaruen zum Beispiel sind Tuareg aus Kidal, und momentan ist der Chef von diesen Gruppen bei den Islamisten. Die anderen Leute von Gruppen sind irgendwo in Europa. Aber die unterstützen diese Leute von MNLA. MNLA, das ist "Mouvement National pour la Libération de l'Azawad", das ist diese politische Branche von diese Rebellen. Die Kulturleute im Süden sagen, aha, das ist nicht eine gute Sache, man darf nicht das machen. Die haben Konzerte gemacht, um gegen diese Leute zu kämpfen und so weiter, aber die haben keine Angst.

Timm: Der malische Journalist Paul MBen war uns zugeschaltet aus Bamako, und aus Sorge um seine Sicherheit hat er mit uns per Handy telefoniert. Das bitten wir zu entschuldigen, die Leitungsqualität, aber, Herr MBen, herzlichen Dank für das Gespräch!

MBen: Danke!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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