"Es gibt Tendenzen, es gibt Andeutungen"

Die Band Frei.Wild ist nicht mehr für den Echo nominiert.
Die Band Frei.Wild ist nicht mehr für den Echo nominiert. © picture alliance / dpa / Holger Fichtner / 360graddesign.com
Moderation: Liane von Billerbeck · 08.03.2013
Die Südtiroler Band Frei.Wild war für den Musikpreis Echo nominiert. Nach Protesten wurde sie nun wieder von der Liste gestrichen. Was ist von den Nationalismusvorwürfen gegen die Gruppe zu halten? Ein Gespräch mit dem "Spiegel"-Journalisten Tobias Rapp und dem Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs.
Liane von Billerbeck: Um den Preis Echo zu bekommen, genügt zweierlei: Ein deutscher Pass und beste Verkaufszahlen. Dennoch sind die Südtiroler Deutschrocker von Frei.Wild nun doch nicht mehr für den Echo nominiert. Der Grund: Andere nominierte Bands wie die Berliner Band Mia oder die Chemnitzer Kraftklub hatten dagegen protestiert, im gleichen Zusammenhang wie Frei.Wild als Echo-Nominierte genannt zu werden. Deren Texte empfinden manche – oder Musik – als nationalistisch, als völkisch. Und darüber möchte ich jetzt mit zwei Kennern sprechen, mit Tobias Rapp, er ist Kulturredakteur beim "Spiegel" und jetzt im Studio, herzlich willkommen.

Tobias Rapp: Hallo!

von Billerbeck: … und telefonisch aus Mainz zugeschaltet ist Thorsten Hindrichs, Musikwissenschaftler an der Universität Mainz. Schönen guten Tag!

Thorsten Hindrichs: Guten Tag!

von Billerbeck: Frei.Wild ist ja eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Bands, derzeit aber ebenso umstritten. In den Texten der Band geht es um Heimat, um Boden, um Vaterland, und der Sänger war in seiner Jugend Skinhead, hat bei der Skin-Band Kaiserjäger gesungen. Woran, Tobias Rapp, lässt sich denn ablesen, ob eine Band rechts ist oder nicht, wie beispielsweise Frei.Wild?

Rapp: Nun, ich glaube, das kommt ganz stark darauf an, was man für Kriterien anlegt, was Rechts überhaupt heißt. Also, ich würde sagen, diese Band Kaiserjäger, wo der Sänger in seiner Jugend mal gesungen hat, das war eine rechtsradikale, gefährliche Band, mit fremdenfeindlichen Texten und Nazi-Publikum und dem vollen Programm, was auch jedes Wochenende irgendwo in Ostdeutschland auf dem Land stattfindet. Ich glaube, dass das Problem bei einer Band wie Frei.Wild ist, dass das Geschäftsmodell der Band Frei.Wild ist, diese Sachen offenzuhalten. Ich glaube, dass es relativ schwierig ist, wirklich eindeutig rechtsradikale Sachen in den Texten von Frei.Wild festzustellen. Es gibt Tendenzen, es gibt Andeutungen, es gibt Spiel damit, aber ich glaube, dass Frei.Wild, die ja auch mit große Fans von den Böhsen Onkelz sind, dass die tatsächlich sich in die Nachfolge der Böhsen Onkelz begeben, die ja auch so eine Band waren mit eindeutig neonazistischer Vergangenheit, die dann Millionäre geworden sind dadurch, dass sie die ganze Zeit sich nicht eindeutig distanziert haben und immer sozusagen kokettierten damit, dass die Distanzierung immer nur vage ist und dass man sich sozusagen von niemandem was vorschreiben lassen will. Ich glaube, das Erfolgsmodell für Bands wie Frei.Wild ist, dass sie sehr erfolgreich die Weigerung, sich irgendwie was vorschreiben zu wollen, dass sie das verkörpern können, und nicht so sehr tatsächliche, echte Inhalte. Deswegen funktioniert so eine Band.

von Billerbeck: Thorsten Hindrichs, Sie beobachten Frei.Wild und andere solche Bands auch. Wie empfinden Sie das, stimmen Sie dem zu, was Tobias Rapp gerade gesagt hat, oder sehen Sie das drastischer?

Hindrichs: Nein, in großen Teilen stimme ich da Tobias Rapp durchaus zu. Ich denke, was – in Anführungszeichen – das Erfolgsrezept von Bands wie Frei.Wild ist, ist, dass sie eben Sujets bedienen, die letzten Endes durchaus auch recht anschlussfähig sind. Die Kleinen gegen die Großen, wir hier unten, die da oben, eine Verweigerung gegenüber dem System, was auch immer das System ist, einschließlich der Medienschelte und der Schelte der "Gutmenschen". Also, über diese Schiene funktioniert es meines Erachtens.

Rapp: Genau. Also, das sind ja Topoi, die man auch in der Sarrazin-Debatte im Grunde genommen sehen kann: dieses ganze "Man wird ja noch mal sagen dürfen" und … Dieses Phantasma, es gebe sozusagen eine politisch gesteuerte, politisch-correctness-gesteuerte Öffentlichkeit, die bestimmte Sachen irgendwie verbietet und die dann für bestimmte Zuschreibungen steht. Mit all diesen Sachen spielen natürlich Frei.Wild. Ob die dadurch wirklich eindeutig als rechtsradikal zu klassifizieren sind, finde ich sehr schwer zu beantworten.

von Billerbeck: Dann werden wir mal hören, wie das klingt! Für alle Hörer, die Frei.Wild noch nicht gehört haben, hier ist ein Stück aus dem Titel "Wahre Werte"!

((Musik))

von Billerbeck: "Die Wurzeln des Landes, wie kann man die hassen?" – Thorsten Hindrichs, da spielt die Band ja auch gerne mal mit der Südtirol-Karte. Also, Tobias Rapp hat eben geradezu lachen müssen, als da kam "Tirol gibt es seit 1200 Jahren", Südtirol, das wieder deutsch werden soll, weg von Italien. Wie empfinden Sie das, wenn Sie dieses Lied hören?

Hindrichs: Also, ich denke, das ist an der Stelle vielleicht auch der Punkt, wo Frei.Wild deutlich erfolgreicher sind als die vielen Tausend anderen Onkelz-Nachfolgebands, die es inzwischen auch gibt, weil sie eben über diese Südtirol-Ausweichkarte diese ganzen Sujets bedienen. Die ganze Debatte würde deutlich massiver geführt, wenn das jetzt eine Band aus dem Erzgebirge oder aus Dortmund wäre.

Rapp: Ja, das stimmt. Das gibt dem Ganzen so eine spezielle Situation, dass es da um Südtirol geht. Aber trotzdem, wenn man jetzt mal ganz nüchtern diesen Text sich anschaut: Wenn man ein paar Zeilen abzieht, hätte man den gleichen Text auch 1973 von einem DKP-Liedermacher hören können. Also, diese Orte, die da angesteuert werden, dass das Kleine das Echte ist, dass das Große das Falsche ist, dass man für das stehen muss, was das Volk will, das sind alles Sachen, auf die die Rechte keine exklusiven Besitzansprüche hat.

von Billerbeck: Das haben die Nationalsozialisten aber auch gerne gemacht, für die kleinen Leute, gegen die Großen, auf dem Boden et cetera. Also, da wird ja etwas bedient, was durchaus auf einen fruchtbaren Boden fällt!

Rapp: Sicher! Ich glaube, das tatsächlich auch der Witz bei der Band Frei.Wild ist, dass sie nie Rechten verbieten werden, auf deren Konzerte zu gehen. Das könnten sie natürlich tun, aber dass sie das tolerieren, macht, glaube ich, das Schillern dieser Band aus.

von Billerbeck: Thorsten Hindrichs, eine Frage an Sie: Die Band Frei.Wild sagt ja immer explizit, wir sind keine politische Band. Also, wir sind unpolitisch. Wenn man sich aber die Videos anguckt, die zu den Titeln gespielt werden, dann ist das so eine Sammlung von politischen Statements, möchte man fast sagen, Ausschnitten. Also, da sind Soldaten, Nazi-Soldaten im Zweiten Weltkrieg zu sehen, die an Toten vorbeigehen, da fällt ein Denkmalkopf, da wird der Anschlag vom 11. September zitiert. Also, es sind Bilder, die man teilweise gar nicht so schnell fassen kann, wie sie wieder weg sind. Was antworten Sie denen, der Band, wenn die sagt, sie sind unpolitisch?

Hindrichs: Dass Musik meines Erachtens eigentlich in kaum einem Zusammenhang jemals unpolitisch sein kann und mit Sicherheit dann schon nicht unpolitisch ist, wenn Frei.Wild sich gleichzeitig hinstellen und sagen, wir sind gegen jede Form des Extremismus. Es ist ja jetzt nicht so, dass sie die ganze Zeit nur propagieren, wir sind gegen Rechtsradikalismus, sondern sie setzen ja dann auch immer schön den Linksradikalismus gleich mit in eins und gerieren sich eben als unpolitische Band. Aber ich glaube, über diese Nummer sind sie durch die Hintertür natürlich so was von politisch! Gleichzeitig – und ich denke, das ist das, was dann eine Band wie Frei.Wild auch von solchen Bands wie Rammstein oder Laibach oder wie sie alle heißen unterscheidet – ist, dass hier die Grenze dessen, was Inszenierung, was Spiel ist, und auf der anderen Seite, inwiefern die authentisch und echt sind und zu dem stehen, was sie da propagieren, dass diese Grenze sehr, sehr schmal ist.

von Billerbeck: Es ist also eher die Inszenierung von Text, Musik, Video, die eben solche Dinge anspricht bei einem Publikum, das diesem rechten Gedankengut eher aufgeschlossen ist?

Hindrichs: Sie inszenieren sich ja, in Anführungszeichen, als echt. Und es ist ziemlich schwer auseinanderzuhalten, was ist da jetzt Rolle und was ist da tatsächlich Persönlichkeit. Bei Frei.Wild scheint das so ein bisschen in eins zu gehen. Also, was Philipp Burger da singt, das nimmt man ihm, wenn man ihm unvoreingenommen gegenüber steht, erst mal so ab. Bei Rammstein ist es Inszenierung, da ist, glaube ich, auch relativ vielen Leuten klar, das ist eine theatrale Geschichte.

Rapp: Aber bei Rammstein hat es auch x Jahre gebraucht, bis die Öffentlichkeit da erst mal bereit war, das zu akzeptieren. Also, ich würde auch diese Unterscheidung auf jeden Fall machen, dass es Bands gibt wie Rammstein oder Laibach, die tatsächlich auf einem ästhetisch sehr hohen Niveau mit totalitären Zeichen spielen, …

von Billerbeck: Und das Publikum weiß es auch?

Rapp: … und das Publikum das auch in den allermeisten Fällen versteht. Und hier, ich glaube, dass das, was der Kollege gerade gesagt hat, natürlich genau richtig ist, das Tolle an dieser Inszenierung, das Überzeugende an dieser Inszenierung ist ja, dass sie nicht als solche kenntlich ist. Und ich glaube auch, dass das Publikum das wiederum weiß! Ich glaube, dass man die nicht für doof halten sollte, ich glaube, dass dieses Spiel mit der Inszenierung des Echten natürlich auch goutiert werden kann. Und dieses Sich-Entziehen der Festschreibung, was dann immer der letzte Schritt ist, dass man sagt, ich bin doch gar nicht rechtsradikal, was wollt ihr eigentlich überhaupt, das ist ja dann das Tüpfelchen auf dem i dann!

von Billerbeck: Hören wir doch noch mal ein Stück aus einem Song, der gerade sehr gut läuft, nämlich "Das Land der Vollidioten"!

((Musik))

von Billerbeck: Da haben wir es ja ganz explizit, keine Neonazis und keine Anarchisten. Herr Hindrichs, ist das Kalkül, ganz schlicht, um die Kontroverse zu provozieren, um einfach schlicht Platten zu verkaufen?

Hindrichs: Das ist eine schwere Frage, das kann ich an der Stelle nicht beantworten, weil es mir wirklich auch schwerfällt, da auseinanderzuhalten, inwiefern ist das Inszenierung und inwiefern meinen die das.

Rapp: Also, ich finde tatsächlich, dass es auch noch mal wichtig ist zu sagen, dass die Deppen in dieser ganzen Situation … Das ist weniger die Band selber als die Musikfunktionäre. Ich finde, dass das Verhalten der zuständigen Funktionäre in den Gremien, die über die Echo-Verleihung bestimmen, wirklich grenzwertig ist. Wenn die sich hingestellt hätten und gesagt hätten, wir erkennen die Nominierung für den Echo dieser Band ab, weil wir deren Distanzierung vom Rechtsradikalismus für windelweich halten, dann kann man da anderer Meinung sein, aber das wäre okay gewesen. Wenn die gesagt hätten, dieser Preis handelt von Verkaufszahlen und die Band ist nicht indiziert, also ist das in Ordnung, kann man auch anderer Meinung sein …

von Billerbeck: Aber man hat sich für so eine windelweiche Zwischenlösung entschieden.

Rapp: … aber das, was die Echo-Verleiher sagen, ist: Eine Diskussion über dieses Thema beschädigt den Preis! Und da muss ich jetzt wirklich mal sagen, nach x Jahrzehnten der Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und nach einem unglaublichen Erfahrungsschatz im Umgang mit solchen Fragen, ist das mit das Erbärmlichste, was ich seit langer Zeit gehört habe!

von Billerbeck: Das sagt Tobias Rapp vom "Spiegel" und der Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs von der Uni Mainz war mein Gesprächspartner nach den Diskussionen um die Band Frei.Wild. Danke an Sie beide!

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