"Es gibt nur Indizienbeweise, keine abschließende Sicherheit"

Christoph Markschies im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 20.10.2009
Nach Einschätzung des evangelischen Kirchenhistorikers Christoph Markschies ist es sehr unwahrscheinlich, dass es im 9. Jahrhundert eine Päpstin gegeben hat. "Da wir keinen Arzt haben, der die Körper der Päpste des 9. Jahrhunderts genau untersuchen kann, wird es keine abschließende Sicherheit geben", sagt Präsident der Berliner Humboldt-Universität anlässlich des Kinostarts der Romanverfilmung "Die Päpstin".
Klaus Pokatzky: Am Telefon begrüße ich nun Christoph Markschies, evangelischer Kirchenhistoriker und Präsident der Humboldt-Universität Berlin. Guten Tag, Herr Markschies!

Christoph Markschies: Einen wunderschönen guten Tag!

Pokatzky: Herr Markschies, was sagt der Kirchenhistoriker? Könnte es eine Päpstin Johanna gegeben haben?

Markschies: Also wenn ich etwas flapsig antworte, muss man sagen, da wir keinen Arzt haben, der die Körper der Päpste des 9. Jahrhunderts genau untersuchen kann, wird es keine abschließende Sicherheit geben, sondern nur Indizienbeweise. Und die Indizienbeweise führen mich doch schon auf die hohe Wahrscheinlichkeit, dass auch im 9. Jahrhundert alle Päpste Männer waren.

Pokatzky: Herr Markschies, wie ist denn die Legende von Johanna der Päpstin überhaupt entstanden?

Markschies: Das ist ein bisschen schwer zu sagen, weil sie im 13. Jahrhundert plötzlich ganz massiert auftauchte. Es ist so, dass das Mittelalter gern ethische Urteile oder historische Urteile mit knalligen Legenden ausschmückte, und bestimmte Päpste des 9. Jahrhunderts waren allzu nachgiebig gegenüber der Ostkirche in Konstantinopel, also nach mittelalterlichen Vorstellungen weibisch, weiblich. Die haben nicht ihren Mann gestanden, wie man das so damals sagte. Und das ist einer der Gründe, die dazu geführt haben können, dass man sagte, die Erklärung dafür, dass die Päpste so agiert haben, ist, dass es eigentlich Frauen waren. Das könnte einer der Gründe sein, dass lange nach dem 9. Jahrhundert – im 9. Jahrhundert hat das niemand gedacht, im 10. nicht, erst im 13. Jahrhundert plötzlich taucht die Legende auf. Und da man schon im 13. Jahrhundert wahnsinnig gern den Papst kritisierte, findet die sofort schnell Anklang, und Leute sagen, na, das ist vielleicht ein verruchter Laden da in Rom, da kann man sogar als Frau Papst werden.

Pokatzky: Aber ist es nicht auch möglich, dass das gerade vielleicht von Frauen in der katholischen Kirche vorangetrieben wurde, dieser Gedanke, wir könnten mal eine Päpstin gehabt haben? Wir dürfen ja nicht die Rolle unterschätzen der weiblichen Orden auch im Mittelalter, Äbtissinnen gab es, teilweise unglaublich kluge, gebildete Frauen. Könnte da nicht auch so eine Hoffnung dahintergesteckt haben?

Markschies: Ich würde nicht für ausgeschlossen halten, dass für die Identitätsbildung von klugen Frauen im Mittelalter die Geschichte interessant war, wobei man, glaube ich, nicht vergessen darf: Viele der klugen Frauen waren sturzfromm und fanden insofern ganz skandalös, dass eine Frau auf dem Papststuhl saß. Das ist ja ne ungeheuerliche Legende, und das sind nicht wie heute Frauen, die der selbstverständlichen Vorstellung sind, eigentlich sollten wir doch auch Priesterinnen werden dürfen, sondern die waren schon der Auffassung, es gibt eine gottgesetzte Ordnung, in der das Priesteramt nur für den Mann reserviert ist – jedenfalls viele der sehr klugen Frauen.

Pokatzky: Wie ist denn dann die Legende vom weiblichen Papst politisch genutzt worden, etwa in der Reformationszeit?

Markschies: Ein berühmtes Beispiel ist Johannes Huss. Johannes Huss hat auf dem Konstanzer Konzil damit argumentiert und hat gesagt: Wir sehen ja in der allgemeinen Papstkritik – es gab ja im 15. Jahrhundert ne Debatte darüber, leitet eigentlich der Papst die Kirche oder das Konzil als Bischofsversammlung –, und da hat Johannes Huss und auch andere haben gesagt, na, dass die Kirche gar nicht geleitet wird, sieht man an dem weiblichen Papst. Also nicht immer leitet der Papst die Kirche. Und entsprechend wurde dann auf dem Konstanzer Konzil auch gesagt, das ist eine völlig haltlose Legende, so darf nicht argumentiert werden. Spätestens seit dem 15. Jahrhundert gibt es massierte Kritik an der Legende, weil sie kirchenpolitisch genutzt wird.

Pokatzky: Ich spreche mit Christoph Markschies, dem evangelischen Kirchenhistoriker und Präsidenten der Humboldt-Universität Berlin über Päpstin Johanna, die die Fantasie von Filmemachern und Romanautoren beflügelt. Herr Markschies, warum beflügelt die Päpstin Johanna nun seit Jahrhunderten Autoren und nun auch Filmemacher?

Markschies: Mittelalterliche Legenden sind unglaublich bunt und farbig erzählt. Die Vorstellung, dass es jemand schafft, als Frau auf den Papstthron zu kommen, unentdeckt, und dann auf einer kleinen Gasse ein Kind gebiert, und so weiter, und so fort, das ist eine ganz tolle, bunte, farbige Legende. Und die historische Wirklichkeit, also dass man sagen muss, das stimmt aber alles so gar nicht, ist wesentlich weniger bunt. Sie möchten ja nicht einen Historiker verfilmen, der sagt, es war alles viel schlichter, sondern so eine Legende verfilmen. Das finde ich, muss ich gestehen, aber auch völlig legitim. Das hat im Mittelalter zur Unterhaltung gedient, die Legende, da haben sich Leute drüber amüsiert oder aufgeregt, erschreckt, und warum sollte das heute nicht auch so sein?

Pokatzky: Nun ist die katholische Kirche überhaupt und speziell der Vatikan ja von einem besonderen Interesse für Thrillerautoren, ich denke jetzt an Dan Brown, und dann eben auch für entsprechende Verfilmungen. Warum ist das so, warum ist die katholische Kirche da viel interessanter als Ihre evangelische Kirche, und sind Sie da als Protestant nicht manchmal auch ein wenig neidisch?

Markschies: Ich fang mit der letzten Frage an: Neidisch bin ich überhaupt nicht. Wenn Sie sich vorstellen, dass nach dem Dan-Brown-Thriller Leute kamen und in Pariser Kirchen den Fußboden aufhacken wollten, weil sie da einen Schatz erwarteten, also ich finde, so ne Aufmerksamkeit brauch ich als Protestant nicht.

Pokatzky: Und das hätten Sie nicht gerne, wenn das in der Zentrale des Lutherischen Weltbundes in Genf passiert?

Markschies: Genau. Also sozusagen, da bin ich gar nicht bekümmert. Ein Versuch einer Erklärung: Der Vatikan ist in vielen Stücken noch eine überlebende klassische Monarchie der frühen Neuzeit. Also es gibt, glaube ich, kaum noch Staatswesen, die so stark alle bunten Elemente, aber auch alle Probleme einer vormodernen Monarchie repräsentieren. Und ich glaube, Monarchie fasziniert Leute immer. Da denken die, da gibt’s Geheimnisse, da gibt’s Hofintrigen und so weiter, und so fort. Ich glaube, viele der europäischen Königshöfe haben sich entmystifiziert, was weiß ich was, Ehebruch im britischen Königshaus, das ist irgendwie alles ganz alltäglich und wie beim Nachbarn. Aber der Papst ist noch ein richtig geheimnisvoller, alter, monarchischer Hof. Und das macht Spaß. Da gibt’s Throne, auf die man sich setzt, und da gibt’s möglicherweise große Geheimnisse, und es ist noch nicht so alltäglich geworden wie die übrigen europäischen Monarchien.

Pokatzky: Wann, glauben Sie denn, wird diese vorkonstitutionelle Monarchie namens katholische Kirche bereit und reif sein für eine tatsächliche Päpstin?

Markschies: Oh, das ist eine … Da müsste man Prophet dazu sein. Man hofft natürlich, dass der große Schritt, den die anglikanische Kirche getan hat und der die anglikanische Kirche fast zerrissen hat, nämlich Frauen zum Priestertum zuzulassen, auch der Weltkirche, der katholischen Kirche möglich sein wird, obwohl er sie sicher noch vor eine viel, viel größere Zerreißprobe stellt. Was sagen Schwarzafrikaner dazu, wenn das passiert? Ich bin mir aber sehr unsicher, ob das zu meinen Lebzeiten passiert. Aber Sie wissen, Theologen rechnen ja immer mit Wundern, also rechnen wir mit dem Wunder des heiligen Geistes, dass zuerst, wie das in der evangelischen Kirche auch war, zuerst Vikarinnen kommen, dann Pfarrerinnen kommen, und dann gibt’s irgendwann eine Landesbischöfin, und alle sind mit ihr sehr zufrieden.

Pokatzky: Und Theologen rechnen auch in Jahrhunderten und Jahrtausenden. Danke Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität Berlin und evangelischer Kirchenhistoriker.