"Es braucht ein Gesamtkonzept, von Sachsen bis an die Nordsee"

Lutz Trümper im Gespräch mit Marietta Schwarz · 25.06.2013
Nachdem die Flut langsam zurückweicht und das ganze Ausmaß der Schäden sichtbar wird, müsse man über neue Schutzmaßnahmen nachdenken, fordert Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper. Dazu gehörten auch Änderungen in der privaten Vorsorge und im Baurecht. Bund, Länder und Kommunen müssten gemeinsam ein Gesamtkonzept aufstellen.
Marietta Schwarz: Milliardenschäden hat das Hochwasser der vergangenen Wochen in den betroffenen Regionen verursacht, und auch wenn es stiller geworden ist um die Flut, das Wasser läuft teilweise nur langsam ab, noch immer herrscht in manchen Städten Katastrophenalarm. Viele Straßen sind noch nicht wieder befahrbar, ganz abgesehen natürlich von den Häusern und Wohnungen, die unter Wasser standen.

Der volkswirtschaftliche Schaden beläuft sich Schätzungen zufolge auf elf Milliarden Euro, die Bundesregierung hat einen Hilfsfonds beschlossen, der acht Milliarden umfasst. Heute debattiert der Bundestag darüber, und dann soll alles ganz schnell gehen: Bis 30. Juni, also Ende dieser Woche, müssen die Kommunen ihre Schadensmeldungen eingereicht haben, damit die acht Milliarden dann auch verteilt werden können.

Am Telefon ist Lutz Trümper, SPD-Oberbürgermeister von Magdeburg. Guten Morgen, Herr Trümper!

Lutz Trümper: Guten Morgen!

Schwarz: Wie viel Geld wollen Sie denn als Landeshauptstadt aus dem Hilfsfonds haben?

Trümper: Das kann ich noch nicht genau sagen, weil wir natürlich eine ganze Reihe von verschiedenen Feldern bedienen müssen: Die Wirtschaft muss ihre Schäden ermitteln, wir als Kommune für Straßen, Wege, Brücken, für Parkanlagen, dann müssen die Privaten ihre Schäden ermitteln – das wird noch eine ganze Weile dauern. Wir machen bisher nur grobe Schätzungen, und die Schätzungen sind schon mit Sicherheit in Magdeburg eine Gesamtsumme, die dreistellige Millionenbeträge ausmachen wird. Aber die genaue Zahl, das wird auch bis 30.06. nicht vorliegen, das muss man in aller Ruhe mit Gutachten machen, und das geht so schnell natürlich nicht.

Schwarz: Aus dem Hilfsfonds sollen ja nicht nur Privathaushalte und Unternehmen entschädigt werden, sondern es geht auch um die Wiederherstellung von Infrastruktur. Wie viel veranschlagen Sie denn dafür? Das haben Sie als Oberbürgermeister vielleicht ein bisschen besser im Blick.

Trümper: Ja, wir haben zum Beispiel alleine beim Hafen, der ja in Rothensee sozusagen ziemlich großen Schaden bekommen hat. Wir haben gestern mal eine Schätzung gemacht, da sind schon fast zehn Millionen allein der Hafen. Wenn ich mir die Brücken anschaue und andere Straßen, die wir in Magdeburg haben, kommt noch mal bestimmt eine ähnliche Summe hinzu.

Es ist aber, was der erste Anblick war, den ich sozusagen am Samstagmittag aus dem Hubschrauber gemacht habe, nicht so schlimm gekommen, wie es zuerst aussah. Das heißt, die Straßen, die wir in Gänze haben, da ist das auf die gesamte Stadt bezogen ein kleiner Bereich nur, der beschädigt ist. Und wir sehen auch jetzt schon, dass das normale Leben wieder in vollen Zügen losgeht und der Kulturbereich und alles wieder läuft. Der Herrenkrugpark zum Beispiel und der Stadtpark sind zwei Bereiche, die noch lange damit arbeiten müssen, aber der Rest der Stadt ist schon wieder fast im Normalbetrieb.

Schwarz: Lassen Sie uns trotzdem kurz noch mal auf diese Entschädigungen zurückkommen: Wie wird das Geld denn jetzt verteilt? Sie sagen, das braucht alles viel länger, bis man genau ausgerechnet hat, wie hoch die Schäden sind, auf der anderen Seite heißt es, das muss jetzt ganz schnell gehen, ganz schnell verteilt werden, da muss man ja letztendlich auch Prioritäten setzen, wenn nicht genug Geld in diesem Fonds drin ist.

""Das geht nicht im Hauruck-Verfahren""

Trümper: Ich glaube, dass da am Ende genügend Geld da drin sein wird. Wir haben jetzt zunächst mal die Schadensanalyse zu machen, und wir haben beim letzten mal ja, 2002, ähnlich agiert. Da hieß es auch immer, schnell, unbürokratisch handeln – am Ende habe ich in Magdeburg sogar 2010 Klagen bekommen von den Fördermittelgebern, dass ich Geld zurückzahlen sollte, weil bestimmte Sachen nicht beachtet worden sind.

Die Förderprogramme, die jetzt kommen, die muss man ordentlich durchführen, auch einen sauberen Verwendungsnachweis machen am Ende, und dann braucht man dafür ein paar Tage Zeit. Das geht nicht im Hauruck-Verfahren, wenn ich 100 Millionen an jemand auszahle oder 10 Millionen, dann muss das sauber und korrekt ermittelt worden sein, und das braucht ein paar Tage Zeit.

Die Soforthilfen, die wir gemacht haben, die sind schon ausgezahlt – das ist klar, die ersten Tage hat man es sofort gemacht –, aber eine Förderung von Millionenbeträgen geht nicht im Hauruck-Verfahren.

Schwarz: Bekommt Magdeburg als Landeshauptstadt möglicherweise mehr als die Gemeinden nebenan?

Trümper: Als Landeshauptstadt mit Sicherheit, wir sind viel größer. Wir haben natürlich 200 Quadratkilometer und haben natürlich, sagen wir, an der Wasserkante der Elbe die größte Fläche, die es überhaupt gibt in Deutschland. Wir haben ungefähr 60 Kilometer Wassergrenze, die wir schützen müssen, und darum sind die Schäden natürlich auch bei uns besonders groß in Magdeburg, weil wir haben ja faktisch in der Stadt drei bis vier Wasserarme, die wir schützen müssen. Und darum ist das bei uns eine besondere Situation, alles Wasser, was aus Thüringen, aus dem Harz, aus Sachsen kommt, kommt bei uns vorbei.

Schwarz: Dennoch ist ja Magdeburg weniger betroffen als manch andere Gemeinde an der Elbe. Was haben Sie denn, Herr Trümper, beim Hochwasserschutz richtig gemacht?

Trümper: Auf das Jahr 2002 bezogen, das wird immer als Referenzjahr zitiert, wenn das wieder so gewesen wäre wie 2002, dann wäre bei uns in Magdeburg fast nichts passiert, da wäre nicht mal der Herrenkrug unter Wasser gestanden, sondern nur ein paar kleinere Schäden im Stadtpark wären gewesen und sonst nichts. Also wir haben uns auf die Situation 2002, die ja Jahrhunderthochwasser schon war, ziemlich gut vorbereitet gehabt, aber auf eins von 7,46 Meter gab es weder in der Gedankenwelt noch in der Vorbereitung irgendwelche, sagen wir mal, realen Konzepte, die das hätten abwehren können. Das war einfach bis zu dem Samstag, Sonntag an dem Wochenende für uns undenkbar, dass so was eintreten kann.

Schwarz: Das heißt, Sie haben seit 2002 gar nicht so stark aufgerüstet, sondern alles schon vorher gemacht?

Trümper: Wir haben die ganze Zeit eine ganze Menge gemacht: Die Deiche sind saniert worden bei uns, das hat der Landesbetrieb gemacht. Wir haben in der Stadt auch einige Sachen gemacht an der Hafenkante, aber natürlich nicht für 7,48 Meter. Die Maßstabsgrenze war für uns 6,80 Meter.

Schwarz: Das haben ja jetzt einige Nachbargemeinden ihrer Stadt auch während der Flut vorgeworfen, dass Magdeburgs Aufrüstung in Sachen Hochwasserschutz gerade zu schweren Schäden in weniger geschützten Gemeinden geführt hätte, zum Beispiel Schönebeck. Wie kann man so was zukünftig verhindern? Gemeinsam agieren im Hochwasserschutz?

""Es braucht ein Gesamtkonzept""

Trümper: Erstens muss ich die Aussage zurückweisen, weil die grundfalsch ist. Schönebeck hat mit dem, was wir machen, gar nichts zu tun, das liegt ja vor uns in der Flussrichtung. Maximal wären das die Orte, die nach uns kommen würden, die davon einen Schaden haben können, aber das ist nicht der Fall gewesen, weil Sie sehen ja, dass bei Breitenhagen ein Deich gebrochen ist, bei uns übergelaufen ist und in Fischbeck auch noch gebrochen ist. Das heißt, es war eine Situation, die war eine Dimension, die gab es vorher noch nie, und darum war das Hochwasser auch durch nichts in Gänze sozusagen abzuwehren.

Aber ich glaube, trotzdem haben Sie recht, es braucht ein Gesamtkonzept, von Sachsen bis an die Nordsee, wie man über breitere Flächen für den Fluss, über Schutzmaßnahmen, neue, nachdenken muss, aber auch für die private Vorsorge, für Baurecht nachdenken muss, dass ich da, wo ich baue, im flussnahen Bereich natürlich Keller so bauen muss, dass das Wasser durchfließen kann, und vieles weiter mehr. Was als Gesamtkonzept aufgestellt werden muss, das bedarf des Zusammenwirkens aller gemeinsam, Bund, Länder und auch der Kommunen.

Schwarz: Herr Trümper, die Bundesregierung lehnt eine Pflichtversicherung für Hochwasserschäden ab. Sind Sie auch dagegen?

Trümper: Ich bin nicht dagegen, ich bin dafür, aber ich sage dazu, es muss eine angemessene Selbstbeteiligung sein, ansonsten wiegt sich da jeder in Sicherheit, sagt, die Versicherung zahlt schon – die Versicherung wird bei einem solchen Schaden das auch nur ein- oder zweimal durchstehen, dann ist sie selber pleite. Von daher muss das ein Konzept sein mit einer Pflichtversicherung, aber auch mit einem hohen Eigenanteil, damit ich selbst auch mich da bemühe, den Schaden von mir möglichst abzuhalten.

Schwarz: Lutz Trümper, Oberbürgermeister von Magdeburg, zum Fluthilfefonds der Bundesregierung, der heute im Bundestag diskutiert wird. Herr Trümper, danke!

Trümper: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Lutz Trümper (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg.
Lutz Trümper (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg.© picture alliance / dpa / Jens Wolf
Das Dorf Fischbeck (Sachsen-Anhalt) ist nach einem Deichbruch überflutet.
Das Dorf Fischbeck (Sachsen-Anhalt) wurde nach einem Deichbruch überflutet.© picture alliance / dpa / Marius Becker
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