Erster NSU-Mord vor 20 Jahren

"Es wurde primitiv und festgefahren ermittelt"

09:20 Minuten
Die Tochter des ersten NSU-Mordopfers, Semiya Simsek (hinten) und ihre Mutter Adile kommen am 19.07.2017 zum Oberlandesgericht in München (Bayern), während im Hintergrund Aktivisten ein Plakat mit der Aufschrift "Kein Schlussstrich" halten. Vor dem Oberlandesgericht wurde der Prozess um die Morde und Terroranschläge des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) fortgesetzt. Foto: Andreas Gebert/dpa | Verwendung weltweit
Für die Familie Şimşek - hier Mutter und Tochter 2017 auf dem Weg zum NSU-Prozess - waren die Jahre nach dem Mord an Enver Şimşek traumatisch. © picture alliance / dpa / Andreas Gebert
Moderation: Stephan Karkowsky · 09.09.2020
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Für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer ist Barbara John eine feste Ansprechpartnerin. Heute würde in den Ermittlungen wohl vieles anders laufen, meint sie. Doch die Gefahr von rechts sei noch nicht gebannt.
Vor 20 Jahren, am 9. September 2000, wurde der Blumenhändler Enver Şimşek beim Sortieren von Blumen in seinem Lieferwagen in Nürnberg durch Schüsse in den Kopf so schwer verletzt, dass er zwei Tage später starb. Şimşek war das erste Opfer des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), dessen systematisches Morden erst viele Jahre später aufgedeckt wurde.
Barbara John, Ombudsfrau für die Opfer der NSU, spricht am 25.04.2017 bei der Gedenkfeier zum 10. Todestag der ermordeten Polizistin Michele Kiesewetter auf der Theresienwiese in Heilbronn (Baden-Württemberg) mit Journalisten. Foto: Christoph Schmidt/dpa | Verwendung weltweit
Engagierte Ombudsfrau für die Familienangehörigen der NSU-Opfer: Barbara John.© picture alliance / dpa / Christoph Schmidt
Für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer war es ein Albtraum: nicht nur die Gewalttat an sich, sondern auch die Zeit danach. Erleben zu müssen, wie zunächst Verdächtigungen geäußert wurden, die Opfer seien selbst in Drogen- oder Bandenkriminalität verstrickt, war Äußerungen der Hinterbliebenen zufolge traumatisch.

Unterstützung fehlte

Zugleich fehlte es an rechtlicher und sozialer Unterstützung, wie Barbara John bestätigt. John ist Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen und für die Angehörigen der ermordeten NSU-Opfer seit etlichen Jahren eine feste Ansprechpartnerin.
Daraus hätten sich, sagt John, auch freundschaftliche Bande entwickelt. Sie habe verfolgt, wie sich speziell die Kinder über die Jahre entwickelt hätten – und dass diese heute nicht mehr auf einen Opferstatus reduziert werden wollen.
John ist überzeugt, dass die Ermittlungen heute anders laufen würden als vor 20 Jahren. "So primitiv und so festgefahren, wie die damals ermittelt haben, das ist heute mit Sicherheit nicht mehr so."
Sie selbst habe vor dem Hintergrund der vielen Untersuchungsausschüsse immer wieder angeregt, "dass bei Gewalt gegen Minderheiten, speziell gegen Einwanderer, immer auch nach rechts geguckt wird und nicht nur auf die eine Seite."
Und: "Was müssen sich die Täter gefreut haben, als selbst noch die deutsche Polizei, die deutschen Medien ebenfalls, in die eine Richtung gedacht" hätten. "Eine furchtbare Situation, die für die Şimşeks immerhin zehn oder elf Jahre angedauert hat."

Nicht die Täter in den Mittelpunkt rücken

Für John muss sich auch etwas in der Berichterstattung ändern. Im Fall der NSU-Morde stünden die Täter stark im medialen Mittelpunkt. Das sei in Neuseeland nach den dortigen Morden an Muslimen ganz anders gewesen. "Premierministerin Adhern sagte, diese Namen, die tilgen wir, sie gehören nicht in unsere Gesellschaft."

Hören Sie zum Thema "20 Jahre NSU-Morde" auch das Gespräch mit Ibrahim Arslan in "Fazit":
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Deutschland habe sich in den zurückliegenden Jahren verändert, auch die Einstellung gegenüber Einwanderern habe sich zum Besseren verändert, sagt John. Dennoch mache es "einfach Angst" zu sehen, dass Ermittler heute neben "NSU 2.0" auch immer wieder auf Einzelpersonen stießen, die offenbar einem gewaltbereiten Rechtsextremismus zuzuordnen seien.
(mkn)
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