Erschütternd und beschämend

08.07.2013
Viele politische Bemühungen beim Kampf gegen die Armut laufen in die Irre oder bewirken gar das Gegenteil, resümiert Asit Datta. Die traurige Bilanz: Jeden Tag verhungern 25.000 Menschen, darunter 11.000 Kinder.
Jeden Tag sterben 25.000 Menschen, darunter 11.000 Kinder, an Hunger. Die Zahlen sind erschütternd und beschämend, denn es fehlt keineswegs an Nahrungsmitteln. Nur viele Menschen können sie sich nicht leisten.

Armut hat viele Ursachen, wie der aus Indien stammende, in Deutschland lebende Erziehungswissenschaftler in seinem Buch zeigt. Er urteilt nüchtern und sachlich, hat in einem Dutzend Kapitel die wichtigsten Daten und Forschungsergebnisse übersichtlich und gut geordnet zusammengestellt. Das Ergebnis ist alles andere als ermutigend. Zwar ist es der internationalen Gemeinschaft gelungen, den Prozentsatz hungernder Menschen von 37 Prozent auf nur noch knapp 15 Prozent zu senken, aber absolut ist ihre Zahl in den letzten 20 Jahren von 815 Millionen auf eine Milliarde angestiegen. Dafür gibt es viele Gründe.

Zuerst einmal diskutiert Asit Datta die verschiedenen Armutsbegriffe. Zwar gilt für die Weltbank ein Mensch als absolut arm, wenn er einen US Dollar und 25 Cent pro Tag zum Überleben hat, aber das sagt wenig aus, denn die Lebensverhältnisse unterscheiden sich je nach Land drastisch. Wer im heißen Mali lebt, braucht weniger Kleidung als in der eiskalten Mongolei. Wer in der Stadt lebt, muss für Lebensmittel mehr ausgeben als auf dem Land. Nicht minder wichtig als Geld sind Ausbildung, Zugang zum Arbeitsmarkt, Gesundheitsvorsorge, saubere Trinkwasserversorgung, Behausung, Kleidung, Familienplanung.

In geraffter Form analysiert Asit Datta die Handelsströme, kritisiert insbesondere die neoliberalen Wirtschaftsmodelle. Wie er anhand konkreter Beispiele zeigt, haben die zu ungerechten Vorteilen für die Industriestaaten und zu massiven Schulden der Entwicklungsländer, zu Nahrungsmittelspekulation und Hungersnöten geführt. Auch Weltbank, Welthandelsorganisation und internationaler Währungsfond tragen, so Datta, am Fortbestehen der Armut maßgeblich Schuld. Er kann sich dabei als Zeugen auf ehemalige Topmanager dieser Institutionen berufen.

Die Entwicklungshilfe der Industrienationen schneidet ebenfalls schlecht ab. Sie ist im Prinzip eigennützige Exporthilfe und ein Instrument politischer Einflussnahme. Kein gutes Zeugnis stellt der Autor auch den beteiligten nationalen und internationalen Institutionen von der UN bis zu den Nichtregierungsorganisationen aus. Oftmals handeln sie eher aus Eigeninteresse als im Sinne der Betroffenen.

Am besten sind lokale Initiativen, die mit wenig Geld, aber großem Engagement und Detailwissen phantastische Projekte auf die Beine stellen. Dazu gehört die Mikrokreditvergabe in Bangladesh durch die Grameen Bank, inzwischen tausendfach kopiert, ebenso wie die peruanische Selbsthilfegruppe "Villa El Salvador", ein Frauennetzwerk, das eine halbe Million Bäume gepflanzt, 26 Schulen, 150 Tagesstätten, 300 Straßenküchen errichtet, die Kindersterblichkeit drastisch gemindert, die Analphabetenquote auf drei Prozent gesenkt hat.

Asit Dattas Buch bietet eine umfassende und durchaus erschöpfende Diskussion aller Armutsbekämpfungsstrategien. Einen besseren Überblick gibt es derzeit nicht.
Besprochen von Johannes Kaiser

Asit Datta: Armutszeugnis – Warum heute mehr Menschen hungern als vor 20 Jahren
dtv premium, München 2013
218 Seiten, 14,90 Euro