Ersan Mondtag

Sehnsucht nach dem Wahnsinn des Theaterbetriebs

Der Regisseur Ersan Mondtag
Der Regisseur Ersan Mondtag © dpa/ picture alliance/ Sören Stache
Ersan Mondtag im Gespräch mit Susanne Führer · 01.03.2017
Sein Regiestudium in München schmiss er nach zwei Jahren und gründete lieber seine eigene Theatergruppe: "Kapital Zwei Kolektif". Inzwischen ist Ersan Mondtag längst in den Stadttheatern angekommen und gilt als streitbarer, eigensinniger Regisseur.
Seine aktuelle Inszenierung "Antigone und Ödipus" hatte kürzlich im Berliner Maxim Gorki-Theater Premiere, ein Stück, in dem es auch um die Verdrängung von Schuld geht, für ihn ein sehr aktuelles Thema:
"Man versucht, hier die Schuld zu verdrängen. Und das finde ich ist ein ganz gegenwärtiger Moment für mich, wenn ich beobachte, dass jemand wie Björn Höcke in Dresden eine Rede hält und vom Schandfleck der Nation spricht und dabei sich auf den Holocaust bezieht. Und wenn wir einen Rechtspopulismus haben, der anfängt sehr relevante Schuldmomente unserer Gesellschaft zu relativieren und wieder zu verdrängen, dann ist das eine Riesengefahr für den Fortbestand unserer demokratischen Gesellschaft."
Auch von dem Thema der Tragödie, dem Schicksal ausgeliefert zu sein, schlägt er einen Bogen in die Gegenwart:
"Wenn wir das Gefühl haben, sich eine Hoffnungslosigkeit breit macht in verschiedenen Gesellschaften, bei uns noch nicht so krass wie … aber zum Beispiel in der Türkei ist es so, dass die Gesellschaft dort komplett hoffnungslos und ohnmächtig ist aufgrund der Situation und der Geschehnisse und die Leute irgendwann anfangen, eine Meinung – nicht mal mehr eine Haltung, sondern nur noch eine Meinung zu Dingen zu haben, aber nicht mal mehr ins Weltgeschehen eingreifen können. Dieses Gefühl macht sich auch gerade global breit."
"Der Wahnsinn des Theaterbetriebs" habe ihn immer fasziniert und so sei es nur folgerichtig, dass er diesen Beruf gewählt habe:
Der Theaterregisseur Ersan Mondtag in der Sendung "Im Gespräch" im Deutschlandradio Kultur
Der Theaterregisseur Ersan Mondtag in der Sendung "Im Gespräch" im Deutschlandradio Kultur© Deutschlandradio / Matthias Horn
"Man hat manchmal den Eindruck, man ist im Krieg. Es geht um Leben und Tod. Aber es ging immer nur um Theater und mit so einer Leidenschaft, mit so einer Verrücktheit, panisch, die Leute rennen da rum auf eine Probe und versuchen ganz schnell noch was zu erledigen. Das war für mich ein ganz fantastisches Erlebnis. Ich dachte, da muss ich rein in diese Welt."

"Der Türke macht Türkenstorys − da hatte ich kein Bock drauf"

Ersan Mondtag gilt als streitbarer, als eigensinniger Regisseur, der die Zuschauer polarisiert. Sein Stück "Tyrannis", eine Art Familien-Horror-Spiel, wurde im vergangenen Jahr als eine der zehn "bemerkenswertesten" Inszenierungen deutscher Sprache ausgewählt.
Beim Berliner Theatertreffen wurde es ebenso leidenschaftlich beklatscht wie ausgebuht. Der 30-jährige "Nachwuchsregisseur 2016" wurde als Ersan Aygün geboren. Den Künstlernamen Mondtag, die wörtliche Übersetzung seines türkischen Nachnamens, gab er sich schon mit 17 Jahren. Nie wollte der Sohn zweier Gastarbeiter auf seine Herkunft reduziert werden:
"Der Türke macht halt Türkenstorys oder Migrantenstorys, da hatte ich gar kein Bock drauf. Ich bin irgendwie als gebürtiger Berliner in einem ganz anderen Kulturkosmos und habe auf jeden Fall für mich nie als Reduktion diesen Migrationshintergrund gehabt und wollte damit auch nichts zu tun haben."
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