Ernst Jünger auf LSD

19.07.2013
Der Schriftsteller Ernst Jünger und der Schweizer Chemiker Albert Hofmann wurden in den Nachkriegsjahren zu Freunden. Sie verband das Interesse an der halluzinogenen Droge LSD, die Hofmann entwickelte - und die Jünger noch im Alter von über 80 Jahren zu sich nahm.
Die erste Gabe war ein Topf Honig zum Geburtstag. Er kam 1947 aus der Schweiz und war im Nachkriegsdeutschland eine besondere Kostbarkeit. Ernst Jünger dankte dem Spender Albert Hofmann und zeigte sich interessiert an weiterer Korrespondenz. Am 4. April 1949 dankte er für Grüße und "ihre liebe Gabe, vor allem für die Droguen, an deren Extraktion meine Hausfrau jeden Morgen eifrig beschäftigt ist". Da handelte es sich noch um Tee, doch gelegentlich lagen Hofmanns Briefen auch kleine Päckchen mit LSD in Rohrzucker bei. Jünger informierte sich dann sachlich über die Haltbarkeit des Produkts und die richtige Dosierung, bis der Zeitpunkt zum "Einstieg" gekommen war. Oder er dankte für die "rosa Pillen", die er erst einmal "in Reserve legen" wolle.

Drogen und Drogenerfahrungen und natürlich vor allem das LSD, das Albert Hofmann im Labor der Sandoz GmbH synthetisierte und als dessen Erfinder er gelten darf, stehen im Mittelpunkt dieses erstaunlichen, durchaus skurrilen Briefwechsels. Er reicht von 1947 bis 1997, ein Jahr vor Jüngers Tod, auch wenn er dabei immer einseitiger wurde und Jünger schließlich, als Hundertjähriger, nur noch knappe Grüße übermittelte: "Herzlichen Dank für die guten Wünsche und die schönen Gaben. Sie haben mich sehr erfreut."

Als er 80 wurde, nahm Jünger die Drogen nur noch zum Genuss
Schon als knapp 80-Jähriger hatte er angekündigt, in Zukunft eher auf homöopathische Dosierungen zu setzen und Drogen weniger experimentell, denn zu reinem Genuss einzunehmen. Das Alter, Zeitlichkeit und Vergehen sind denn auch weitere, implizite Themen, und wenn Hofmann das Alter als einen Zustand "erlösender Zeitlosigkeit" fasst, dann klingt auch das fast wie eine Drogenerfahrung. Daneben gibt es natürlich auch viel ritualhaften Ballast, Urlaubs-, Geburtstags-, Neujahrsgrüße nebst Grüßen an die Gattinnen und Postkarten von den vielen Reisen.

Immer wieder hatten Hofmann und Jünger sich zusammen mit weiteren Interessierten zu experimentellen Sitzungen getroffen. Jüngers erste Einschätzung, LSD sei im Vergleich mit dem "Tiger Meskalin" allenfalls eine Hauskatze, musste er nach Experimenten mit gesteigerter Dosierung revidieren. Ihre gemeinsamen Sitzungen sahen sie als "Reisen" an, die sie vor allem über die Grenzen der Zeit- und Raumbeschränkung hinausführte. Die Drogenerlebnisse, von Jünger als "Annäherungen" bezeichnet, bestärkten die Skepsis gegenüber technischen Anstrengungen: "New York liegt direkt neben Paris. Damit könnte man sich die Mondfahrt sparen", schrieb Jünger im Februar 1960.

Mit Sorge beobachteten die beiden älter werdenden Herren, wie Hofmanns Erfindung in den 60er-Jahren zur Modedroge wurde. Gerade für junge Menschen sei sie ungeeignet, so Hofmann, "da der eigentliche Wert dieser Art Wirkstoff in ihrer Funktion als Aufschlussmittel" liege, der junge Mensch aber im Zentrum seiner Persönlichkeit noch gar nicht reif genug sei, um da etwas aufzuschließen. Thema der Briefe ist immer auch das Verhältnis des Naturwissenschaftlers zum Dichter. Die Schönheit der Struktur von LSD-Kristallen wird dann mit den Produkten moderner Kunst verglichen, die gegen die Chemie eher schlecht abschneiden.

Zwei unterschiedliche Geister auf der Suche nach Transzendenz
Erstaunlich dabei vor allem die Position Hofmanns, der immer wieder versucht, die Beschränkungen wissenschaftlicher Rationalität zu überwinden. Wenn Psychiater Schizophrenie - die in ihren Symptomen einem LSD-Rausch ähnelt - als Stoffwechselstörung interpretieren, sei das auf der materiellen Ebene zwar richtig, allerdings werde damit nicht die Ursache der Krankheit beschrieben, sondern nur ihre Wirkungsweise. Die beiden so unterschiedlichen Geister vereint die Suche nach Transzendenz. Die Droge ist nur ein Verkehrsmittel, das sie auf ihren Reisen benutzten.

Die Wertschätzung, die Hofmann der dichterischen Imaginationskraft und der Person Ernst Jüngers entgegenbringt, ist enorm und lässt im Lauf der Jahrzehnte nicht nach. Dennoch dauert es 25 Jahre, bis Jünger vorschlägt: "Ich glaube, wir sollten uns im Zuge gegenseitiger Annäherung das 'Herr' sparen." Bis zum "Du" dauert es dann allerdings doch noch ein paar Jahre. Aber "Annäherung" hat in diesem Fall eine ganz andere, viel tiefere Dimension.

Besprochen von Jörg Magenau

Albert Hofmann und Ernst Jünger: LSD. Der Briefwechsel 1947 bis 1997
Deutsche Schillergesellschaft, Marbach am Neckar 2013
214 Seiten, 18 Euro

Marbacher Magazin 142.143 erscheint zur gleichnamigen Ausstellung im Literaturmuseum der Moderne, Marbach
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