Ernst Freiherr von Castell: Gnade setzt Reue und Wahrheit voraus

Moderation: Birgit Kolkmann · 24.04.2007
In der Diskussion um eine Freilassung des Ex-Terroristen Christian Klar hat sich Ernst Freiherr von Castell grundsätzlich für die Gewährung von Gnade ausgesprochen. Voraussetzung für einen Gnadenakt sei aber, dass der Täter Reue, Einsicht und die Bereitschaft zeige, die Wahrheit aufzudecken, betonte der Offizial des Bistums Augsburg der katholischen Kirche.
Birgit Kolkmann: Die Enthüllungen im Mordfall Buback 30 Jahre nach der Tat zeigen, wie viel noch im Dunkel liegt und eventuell neu aufgerollt werden muss. Und wenn ein anderer die tödlichen Schüsse abgegeben hat als bislang vermutet, bedeutet das möglicherweise auch ein neues Verfahren. Doch entlastet das auch Christian Klar, der das Fluchtfahrzeug fuhr und somit Mittäter war? Spricht dies für seine vorzeitige Begnadigung, wie es der Sohn des Ermordeten befürwortete? Eine kontroverse Diskussion. Wir möchten darüber sprechen mit Ernst Freiherr von Castell, dem Offizial des katholischen Bistums Augsburg. Schönen guten Morgen.

Dr. Ernst Freiherr von Castell: Schönen guten Morgen aus Bayern.

Kolkmann: Als Offizial sind Sie Vorsteher des römisch-katholischen Rechtsamtes oder Kirchengerichts. Sie sprechen Recht im Namen des Bischofs. Hat Christian Klar nach Ihrem Rechtsverständnis Anspruch auf Gnade?

Freiherr von Castell: Das kann ich so natürlich nicht beurteilen, denn ich habe ja nicht die Informationen, die wohl ein Bundespräsident hat. Das ist klar. Ich kann also nur allgemein etwas sagen, was Voraussetzung meiner Meinung nach für eine Begnadigung ist. Ich denke, eine Gnade, die kann ich eben nur empfangen. Und empfangen, das fordert eigentlich ein sehr aktives tun von Beiden. Ich will es jetzt mal vergleichen, wie beim Radio, da braucht es einen Sender und einen Empfänger. Den einen eben, der die Signale ausspricht – das ist ja eine Gnade, wenn einem Täter eine Strafe erlassen wird, die er noch zu verbüßen hätte – aber auch der Empfänger muss eben richtig darauf eingestellt sein, wirklich Vergebung empfangen zu können.

Kolkmann: Darf denn Gnade vor Recht ergehen?

Freiherr von Castell: Sicher, Gnade geht immer vor Recht. Das ist ganz klar. Denn was heißt hier Recht? Recht zielt ja nicht darauf ab, Schuld und Strafe irgendwo gegeneinander aufzuwiegen. Wie soll man mehrere Morde überhaupt aufwiegen? Wie soll man diese Strafe eigentlich verbüßen? Was ist da die gerechte Strafe? Ich denke, das kann nicht das Ziel sein. Das Ziel muss eben sein, dass jemand wirklich umkehrt, ein neues Leben beginnt. Und das halte ich eigentlich für eine große Stärke unseres Staates, dass er nicht wirklich lebenslänglich bis zum Ende eines Lebens jemanden einsperrt, sondern jemandem, wenn es irgendwie geht, noch eine neue Chance für einen neuen Anfang gibt.

Kolkmann: Also das Gegenmodell zum rächenden Staat. Muss denn nun der Schuldige, der Verurteilte auch tatsächlich in eine gewisse Vorleistung treten? Sie sprachen von Umkehr, also tätige Reue zeigen und Buße tun? Oder ist die bereits verbüßte Strafe schon genug?

Freiherr von Castell: Ich glaube, die verbüßte Strafe allein ist nicht genug, dass der Täter nämlich auch selber wirklich neu anfangen kann. Ich denke dazu braucht es – ganz klassisch eigentlich bei uns in der kirchlichen Lehre bei der Beichte – eben die Voraussetzung, dass ich erst einmal Einsicht zeige. Das heißt, die Erkenntnis, ich habe etwas falsch gemacht, ich bin schuldig geworden und habe anderen geschadet. Das braucht Reue. Das ist nicht bloß ein Gefühl – mein Gefühl ist da oder nicht – sondern es ist ein aktives Tun, nämlich die Bereitschaft, dass ich den Schaden, wenn es irgendwo geht, wieder gut mache, oder mich halt wenigstens bei den Opfern entschuldige. Und es gehört natürlich auch das Bekenntnis dazu, dass ich mich wirklich zu meiner Schuld stelle und einmal wirklich auspacke und sage, das und das war es. Ich denke, darauf haben auch die Opfer wirklich ein Recht.

Kolkmann: Sie sprechen die Opfer an, die angehörigen der Opfer. Eine Entschuldigung, das halten Sie für notwendig. Wie sehr würde denn zählen ein Votum der Angehörigen, so, wie jetzt des Sohnes von Buback?

Freiherr von Castell: Das halte ich eigentlich für ein großartiges Zeichen, dass man wirklich sagt, ich möchte nicht auf Strafe bestehen, ich möchte diesem Mann auch trotz allem, was er mir und meiner Familie angetan hat, einen neuen Anfang gewähren. Aber ich denke eben – wie gesagt – ein neuer Anfang, der setzt einfach Ehrlichkeit und Wahrheit voraus. Jesus hat einmal gesagt, die Wahrheit wird Euch frei machen. Und ich denke, das gilt für Täter wie für Opfer, dass die Wahrheit nur die Menschen wirklich wieder frei macht für einen neuen Anfang.

Kolkmann: Die Wahrheit herausfinden, das wird diese Diskussion über die RAF möglicherweise auch weiter befördern. Was bedeutet es denn für die bundesrepublikanische Gesellschaft, dass es offenbar noch so viele unaufgeklärte Details und wichtige Fragen in dieser Geschichte gibt?

Freiherr von Castell: Ich denke, für die Gesellschaft sind so viele Fragen offen, so viele Rechnungen, so viele Unklarheiten. Ich denke an die Gesellschaft, aber ich denke hier wirklich vor allem an die Opfer. Sie haben einfach ein Recht, was warum und wie geschehen ist. Ich denke, eine Vergebung und dann vielleicht sogar eine Versöhnung ist eben nur möglich, wenn die Fakten auf dem Tisch liegen.

Kolkmann: Ist denn nun der angemessene Umgang mit den Enthüllungen, mit den Fakten ganz wichtig für das Rechtsstaatsverständnis und auch für das Rechtsgefühl und Vertrauen in den Rechtsstaat?

Freiherr von Castell: Da bin ich von überzeugt, dass das ganz wichtig ist. Auf Wahrheit basiert bei uns das ganze Rechtssystem. Darauf basieren doch letztlich alle anderen Werte. Die Wahrheit ist einfach eine Notwendigkeit, damit Menschen wirklich miteinander umgehen können und zusammen leben können.

Kolkmann: Braucht es also, um die Wahrheit heraus zu finden, auch noch einen neuen Prozess?

Freiherr von Castell: Das kann ich nicht beurteilen. Das ist eine Frage der juristischen Aufarbeitung, wie das möglich ist und wie das geschehen kann.
Kolkmann: Vielen Dank. Das war Ernst Freiherr von Castell, der Offizial des katholischen Bistums in Augsburg. Danke für das Gespräch in Deutschlandradio Kultur.