Ernährungswissenschaftler Uwe Knop

"Auf den Körper hören, nicht auf Ernährungstipps"

08:28 Minuten
Das Bild zeigt einen Burger mit Hähnchenfleisch und eine Portion Pommes sowie diverse Saucen.
Die Empfehlung von Uwe Knop wäre, diesen Burger sofort aufzuessen - wenn der eigene Körper dazu ja sagt. © picture alliance / dpa / Alexander Farnsworth
Uwe Knop im Gespräch mit Dieter Kassel · 08.01.2020
Audio herunterladen
Gestern Trennkost, heute Low Carb, morgen Intervallfasten: Ständig werden neue Weisheiten zum gesunden Essen aufgetischt. Vergessen Sie all das, rät der Ernährungswissenschaftler Uwe Knop: "Wichtig ist nur: Was vertragen Sie gut?"
Dieter Kassel: Ich hab jetzt ganz schlechte Nachrichten für diejenigen von Ihnen, die es inzwischen tatsächlich schaffen, relativ gut weitestgehend ohne Kohlenhydrate auszukommen: Zumindest eine der Begründungen für diesen Ernährungstipp, nämlich die, die Menschen der Steinzeit hätten ja so gut wie keine zu sich genommen und deshalb seien Menschen bis heute eigentlich nicht besonders gut in der Lage, Kohlenhydrate zu verarbeiten – die ist wissenschaftlich absolut nicht haltbar.
Im wirklich renommierten Magazin "Science" haben Forscher darüber berichtet, dass sie nun nachgewiesen haben, dass tatsächlich auch schon Steinzeitmenschen Kohlenhydrate zu sich genommen haben, nämlich in Form eines Nahrungsmittels, das der heutigen Yamswurzel relativ stark ähnelt und deshalb in etwa so viel Kohlenhydrate enthält wie Kartoffeln.
Das mag jetzt viele überraschen bis schockieren, Uwe Knop vermutlich nicht. Der Diplom-Ernährungswissenschaftler und Sachbuchautor behauptet schon seit Langem, dass es kaum wissenschaftliche Beweise und teilweise gar keine für die Ernährungstipps gibt. Im letzten Jahr im Sommer ist sein Buch erschienen "Dein Körpernavigator zum besten Essen aller Zeiten"
Nun kann man natürlich – das werden viele auch tun – sagen: Das mit der Steinzeit war ja nicht das einzige Argument für die Kohlenhydratdiät, aber es war tatsächlich für viele eins der wesentlichen. Überrascht Sie das, wenn jetzt plötzlich Wissenschaftler sagen, das stimmt überhaupt nicht, dass die in der Steinzeit keine Kohlenhydrate gegessen haben?

Keine Angst vor Kohlehydraten

Uwe Knop: Nein, das überrascht insofern überhaupt nicht, weil in der Ernährungswissenschaft sich dauernd alle möglichen Ergebnisse kannibalisieren und dass der Mensch schon früher alle Quellen genutzt hat, die ihm Energie liefern, wenn er sie entdecken konnte, das ist auch ganz normal.
Wir sind Allesesser, und Kohlenhydrate sind der Energielieferant Nummer eins. Von daher ist es überhaupt nicht überraschend, kein Mensch muss heutzutage Angst vor Kohlenhydraten haben. Weißbrot, Pommes, Nudeln, alles okay, wenn man es mag, ist es überhaupt kein Problem.
Kassel: Ich würde gern an einem anderen Beispiel darüber reden, was wirklich passiert, wenn es plötzlich neue Ernährungshinweise gibt, auch von scheinbar seriösen Quellen. Es ist ja in der Wissenschaft nicht ungewöhnlich, dass man zugeben muss, das, was wir bisher angenommen haben, hat sich jetzt als falsch herausgestellt, aber nehmen wir mal zum Beispiel das Intervallfasten: Ich hab mein Leben lang gehört, dass man möglichst oft am Tag möglichst wenig essen soll, also häufig, aber kleine Mengen. Vor fünf Jahren hätte das noch fast jeder Ernährungsexperte auch so gesagt.
Und heute heißt es, Intervallfasten ist auch super, ist gesund und man nimmt damit ab, wenn man 24 Stunden am Stück nichts isst. Ist es denn nun so, dass da die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse durch noch genauere Forschungen überholt wurden?

Vergessen Sie alle Ratschläge!

Knop: Zum einen muss man ganz klar sagen, unabhängig von der Ernährungswissenschaft, Forschung generell lebt immer davon, dass sie sich entwickelt, dass irgendetwas passiert, und Erkenntnisse werden über den Haufen geworfen.
Bei der Ernährungswissenschaft ist es so, dass es im Prinzip in so einer hohen Schlagzahl passiert, dass die Menschen draußen kaum noch hinterherkommen und total verunsichert werden oder einfach überhaupt keine Lust mehr haben, auf irgendwelche Ernährungsratschläge zu hören, weil sich halt dauernd etwas ändert.
Und das liegt ganz einfach daran, dass man in der Ernährungsforschung keine hochwertigen Studien durchführen kann, diese RCT – randomisierte klinische Studien –, sondern man muss sich immer auf Beobachtungsstudien berufen. Das sind Studien, die liefern nur Korrelationen, also statistische Zusammenhänge, aber keine Kausalitäten, keine Ursache-Wirkung-Beziehungen, und davon kommen dauernd neue raus.
Dementsprechend ändert sich alle Nase lang irgendein Trend. Früher hieß es, viel essen, heute heißt es, wenige Mahlzeiten essen, und manche hängen immer noch an dem alten Wissen. Das alles braucht aber wirklich niemand, weil es gibt nur einen, der weiß, was für Sie persönlich gut ist – ob drei, vier, zwei Mahlzeiten –, und das ist Ihr eigener Körper.
Also der Rat kann nur lauten: Vergessen Sie all das, was Sie da immer wieder hören, es wird sich sowieso dauernd ändern, aber Ihr Körper weiß immer ganz genau, was Sie brauchen. Also nur auf Ihren Körper hören, aber nicht auf irgendwelche Ernährungsratschläge.

Lebensmittel nicht in "gesund" und "ungesund" einteilbar

Kassel: Das würde aber heißen, Herr Knop, wenn mein Körper mir sagt, er möchte lieber Schokolade als Äpfel, dann ist plötzlich Schokolade gesund und ein Apfel ist nicht so gut. Also selbst diese Einteilung in gute Lebensmittel und schlechte funktioniert nicht?
Knop: Das ist absolut richtig, und ich habe ja auch für mein Buch, was Sie eben erwähnt haben, "Körpernavigator" aus dem letzten Jahr, extra die sieben großen ernährungswissenschaftlichen Institutionen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt, erstmals konzertiert im Buch nachzulesen: Wie sehen Sie die Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel?
Und es hat mich überrascht, wie einstimmig alle sieben Institutionen gesagt haben, diese Einteilung ist hinfällig, die brauchen wir nicht mehr. Kurzum: Die Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel, die ist Quatsch, weil sie wissenschaftlich gar nicht haltbar ist. Von daher muss man sich davon freimachen, es gäbe Wissen über gesunde Lebensmittel, über gesunde Ernährung.
Und damit ist auch ganz klar: Ein Apfel oder Schokolade, Pommes oder Hamburger, Vollkornbrot, Weißkornbrot, diese Einteilung, die Guten ins Kröpfchen, die Schlechten ins Töpfchen, das ist völliger Blödsinn.
Wichtig ist nur: Was vertragen Sie gut? Das ist das A und O. Wenn Sie Hunger haben und Sie essen und Sie spüren, ich vertrage das gut, dann ist es wunderbar, wenn Sie es nicht vertragen, dann kann es auch nicht gesund für Sie sein.

Kulinarische Körperintelligenz

Kassel: Ja, aber ich frag mich da nun wiederum, ob wir nicht – wenn ich mal kurz davon ausgehe, dass das korrekt ist, was Sie sagen – trotzdem schon in einer Phase sind, in der es nicht mehr funktionieren kann, denn wenn ich nun weiß, dass es diverse durch Ernährung bedingte Krankheiten gibt, die ich theoretisch haben kann. Wenn ich nun jahrelang gehört hab, dass das eine gut und das andere böse ist, kann ich all das Wissen überhaupt noch so aus meinem Kopf rauskriegen, dass ich überhaupt noch zuhören kann, was mein Körper mir sagt?
Knop: Zum einen kommt das Wissen nicht aus dem Kopf, sondern es kommt aus Ihrem Körper, aus dem Inneren des Körpers, um genau zu sein. Sie haben zwei Gehirne – das ist jetzt keine Spinnerei, sondern das Bauchhirn, das nennt man das enterische Nervensystem, ist ungefähr mit so viel Nervenzellen wie beim Rückenmark bestückt und ist in engem Dialog mit dem Kopfhirn. Und dadurch weiß Ihr Körper, was er braucht.
Das ist dieses System der kulinarischen Körperintelligenz, was funktioniert, wenn man wieder den Draht dazu findet. Was wir eingangs gesagt haben, da fehlt noch ein kleines Zwischenwörtchen: Ernährungs-mit-bedingte Erkrankungen heißt es immer gerne, weil man kann nicht sagen, dass irgendeine Ernährung zu irgendeiner Krankheit führt – solche Daten gibt es gar nicht.
Das heißt, man muss sich freimachen von diesem vermeintlichen Wissen über gesunde und ungesunde Ernährung und wieder versuchen, den Kontakt zu seinem Körper herzustellen. Und dann ist man auf dem richtigen Weg, wenn man weiß, wann habe ich Hunger, worauf habe ich Lust, und vor allen Dingen, was schmeckt mir und was vertrage ich gut. Wenn Sie Vollkornbrot nicht vertragen, weil Sie danach Blähungen bekommen, einen dicken Bauch, dann ist das für Sie einfach das falsche Essen!

"Es geht da natürlich um ganz viel Geld"

Kassel: Glauben Sie aber, dass das wirklich, was Sie vorschlagen, sich durchsetzen kann, weil ich habe immer das Gefühl, sobald man irgendwie so weit ist zu sagen, der ein oder andere Ernährungshinweis ist eigentlich nicht so sinnvoll, und dann auch alle zugeben, auch die Experten, stimmt, ist eigentlich nicht so sinnvoll, denkt sich sofort jemand den nächsten aus.
Woher kommt eigentlich dieses Interesse gewisser Kreise, uns ständig Vorschläge zu machen, was gut und schlecht ist beim Essen?
Knop: Ja, zum einen geht es da natürlich um ganz viel Geld, man kann damit sehr viele Dinge verkaufen. Wenn man Spezialernährungsweisen propagiert, Low Carb zum Beispiel, verkaufen sich jede Menge Low-Carb-Lebensmittel, Low-Carb-Nudeln, Low-Carb-Kochbücher und so weiter und so fort, da steckt immer was Pekuniäres dahinter.
Dann haben wir natürlich Macht und Deutungshoheit. Viele haben Spaß damit, zu sagen, wo es langgeht – ich bin der neue Ernährungsguru und ich erzähle euch jetzt, was gut und böse ist. Das sind alles diese Punkte.
Und es ist ja mittlerweile auch schon so, dass selbst von höchster offizieller Stelle, und zwar vom Bundeszentrum für Ernährung, das dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft angehört, deren Leiterin sagt ganz klar, wir brauchen keine strikten Regeln, wir brauchen keine rigide Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel, sondern sie sagt ganz klar, was wir brauchen, ist mehr Urvertrauen in den Körper, mehr zu spüren, was uns gut tut.
Das heißt, was ich sage, ist mittlerweile keine "exotische" Meinung mehr, sondern wird sogar schon von höchster offizieller Stelle in deren Medien empfohlen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Uwe Knop: Dein Körpernavigator zum besten Essen aller Zeiten
Polarise Verlag, Heidelberg 2019
240 Seiten, 14,95 Euro

Mehr zum Thema