Ernährung

Genetisch veränderte USA

Mähdrescher in Illinois (USA) auf Maisfeld
Alltag in den USA: Genmanipulierte Lebensmittel - wie hier Mais. © picture alliance / dpa / Brian Kersey
Von Nicole Markwald · 30.09.2014
PPopcorn, Tortilla-Chips, Müsli – in den USA sind genetisch veränderte Produkte aus dem Supermarkt nicht mehr wegzudenken. Was in Europa durch das Freihandelsabkommen zu großen Sorgen führt, ist für die jüngste Generation der US-Amerikaner Normalität. Eine nationale Kennzeichnungspflicht gibt es nicht.
Wie bei vielen Amerikanern beginnt auch bei mir ein ganz normaler Tag mit einem Kaffee. Ein Espresso, darauf eine Ladung Milchschaum – fertig ist der Cafe Latte bei der Kaffeekette Starbucks. Das Unternehmen benutzt keine Bio-Milch, das heißt, dass die Kühe, von denen die Milch für meinen Kaffee stammt, höchstwahrscheinlich genmanipulierten Mais fressen – amerikanischer Mais ist zu knapp 90% gentechnisch verändert.
Ein ganz normales Lunch: ich stehe an in einer langen Schlange bei Chipotle. ´Essen mit Anstand` – ´Food with Integrity` lautet das Firmenmotto des Chipotle Mexican Grill. Hier kann ich mir einen Burrito oder Taco nach eigenen Wünschen zusammenstellen. Chipotle verwendet mehrere Zutaten, die genmodifizierten Mais oder Sojaöl enthalten, wie Tortilla Chips oder die Fladen, aus denen Burritos gemacht werden. Die Kette, die 1993 in Denver/ Colorado gegründet wurde, ist eine der wenigen, die ihre komplette Zutatenliste offengelegt. Aber auch das erst, nachdem Anti-Genfood-Aktivisten sie an ihr Motto erinnert haben: "Essen mit Anstand".
Eine ganz normaler Abend: ein Besuch im Kino. Auch hier komme ich an genmodifizierten Lebensmitteln nicht vorbei: die Limo oder Cola wird in der Regel mit Maissirup gesüßt. Zwar sind die Maiskörner, die für Popcorn genutzt werden, nicht genmanipuliert, aber das Sojaöl, in dem die Körner erhitzt werden, bis sie platzen. Amerikanischer Soja ist zu 94% genmodifiziert, berichtet das US-Landwirtschaftsministerium.
Wer in den USA lebt, lebt mit genmodifizierten Pflanzen. Forscher haben nicht nur an Mais und Soja Hand angelegt, sondern auch an Baumwolle, Zuckerrüben und Raps. Im US-Bundesstaat Hawaii hat eine genmodifizierte Papaya die Papaya-Industrie gerettet. Wissenschaftler machten sie in den 90er-Jahren gegen das Ringspot-Virus resistent, das ganze Ernten zu vernichten drohte.
Bio-Lebensmittel als Alternative
Wer sichergehen will, kein Genfood zu kaufen, muss nach Lebensmitteln suchen, die das "certified organic", also "zertifiziert biologisch"-Siegel des US-Landwirtschaftsministeriums USDA tragen. Diverse Umfragen kommen immer wieder zum gleichen Ergebnis: die Mehrheit der Amerikaner möchte zwar eine Kennzeichnungspflicht für genveränderte Lebensmittel. Durchgesetzt wurde sie bislang aber in gerade einem einzigen Bundesstaat: im kleinen Vermont im Nordosten der USA direkt an der kanadischen Grenze.

Dieser Tag Mitte September ist einer der heißesten des Jahres in der kleinen Stadt Santa Rosa im Norden Kaliforniens. 35 Grad zeigt das Thermometer, trotzdem sind heute Tausende Besucher zur National Heirloom Expo gekommen. Heirloom – das sind Samen, die schon seit langer Zeit verwendet werden, quasi Erbstücke für Gärtner. An drei Tagen dreht sich hier auf dem Gelände des Sonoma County Fairground alles um – wie die Veranstalter sagen – ´pure Lebensmittel`. An Ständen gibt es Eiscreme aus Biomilch zu kaufen, Gartenprodukte oder Gewürze.
Beim Eintritt in eine der Veranstaltungshallen werden die Besucher von einem rund 5 Meter hohen Kürbisberg begrüßt: Kürbisse in allen Farben, Größen und Variationen. Die Vielfalt der Natur – darum dreht sich die Heirloom Expo. Auf langen Tischen liegen unzählige verschiedene Sorten Tomaten: klein, oval, orange, gelb oder tiefrot – manche haben Dellen oder sind ein wenig krumm, aber so sieht es eben aus: natürlich gewachsenes Gemüse. Auch Judy begutachtet die vielen Sorten:
"Wir haben von der Messe gehört und wollten jetzt selbst mal sehen, was es hier gibt. Wir sind wie wohl alle in Sonoma County an guten Lebensmitteln interessiert und die Expo hat den Ruf, sehr gutes Bio-Obst und -Gemüse zu zeigen."
Wie viele andere Besucher hat Judy einen kleinen Garten, in dem sie Salate, Tomaten, Paprika und Gurken anbaut. Schließlich herrschen hier im Norden Kaliforniens beste klimatische Bedingungen:
Wenn die Rentnerin einkaufen geht, achtet sie sehr genau darauf, was in ihrem Einkaufswagen landet. In der Regel kaufen Judy und ihr Mann nur biologisch angebaute Lebensmittel.
Judy glaubt, keinerlei Lebensmittel mit genmanipulierten Inhaltsstoffen zu kaufen. Genveränderte Lebensmittel lösen bei ihr wie bei vielen ihrer Landleute Unbehagen aus:
"Ich bin dagegen, weil es nicht wirklich erforscht ist. Es macht mich nervös, so etwas in unsere Nahrungskette aufzunehmen. Und ich habe über Vorfälle gelesen, wo genmodifizierte Lebensmittel außer Kontrolle geraten sind. Ich glaube einfach, dass wir vorsichtiger sein müssen."
Keine einheitliche Kennzeichnungspflicht
Dabei ist das gar nicht so einfach. Eine Kennzeichnungspflicht hat sich bislang in den USA nicht durchgesetzt. Solange es keine einheitliche Kennzeichnungspflicht gibt, muss man im Prinzip bei jedem einzelnen Stück Lebensmittel, jeder Packung mit Fertigessen, jeder Tüte ganz genau die Inhaltsangaben durchlesen. Vani Hari macht genau das. Und noch mehr: Die 34-Jährige betreibt den Blog FOODBABE, der geschätzte vier Millionen Leser hat.
Hier auf der Heirloom Expo hält sie einen Vortrag darüber, wie sie sich mit der Lebensmittelindustrie angelegt: sie bohrt nach – bei den Fast Food-Ketten Chick-Fil-A, Subway und Chipotle. Ihr ist es zu verdanken, dass Chipotle inzwischen ganz genau darüber informiert, was in seinem Essen steckt:
“Sie fingen an, ihre komplette Zutatenliste zu veröffentlichen, nicht nur die genveränderten Bestandteile. Dieser Extra-Level an Transparenz brauchen wir für ganz Amerika. 64 andere Länder in der Welt kennzeichnen ihre Lebensmittel, die USA tun das nicht. Aber es ist ein Menschenrecht, dass wir erfahren, was in unserem Essen steckt. Und die US-Regierung verweigert uns dieses Recht.“
2012 sorgte Vani Hari für Aufsehen, als sie bei dem Parteitag der Demokraten vor der Bühne ein Pappschild hochhielt, auf dem sie mit tiefrotem Lippenstift groß die Worte ´Label GMO` geschrieben hatte – also eine Kennzeichnungspflicht für genmodifizierte Lebensmittel einforderte. Von der Regierung fühlt sie sich im Stich gelassen
"Washington ist von den Chemie- und Lebensmittelkonzernen vereinnahmt worden. Die betreiben so viel Lobbyarbeit, dass keine Kennzeichnungspflicht durchkommt."
Bisher gibt es keine USA-weiten Richtlinien, weder von der US-Lebensmittelbehörde Food and Drug Administration FDA noch vom amerikanischen Landwirtschaftsministerium USDA. Stattdessen gehen viele Bundesstaaten ihren eigenen Weg. In über 20 der 50 Staaten wird derzeit eine Kennzeichnungspflicht diskutiert. Pamm Larry ist Aktivistin der ersten Stunde:
"Als ich 2011 auf Festivals und Konferenzen meinen Informationsstand aufbaute, mussten wir die Leute fast mit Gewalt hinschleifen. Inzwischen stehen die Menschen Schlange um mehr zum Thema zu erfahren – es hat sich komplett verändert."
Eine Oma gegen Genfood
"Grandma on a mission" – "Omi mit Mission" wird die Mitte-Sechzigerin genannt. Larry steckte hinter ´Proposition 37`, einer Gesetzesinitiative in Kalifornien im Jahr 2012, nach der alle Lebensmittel, die genetisch veränderte Bestandteile enthalten, gekennzeichnet werden sollten. Umgerechnet 36 Millionen Euro investierte eine ganze Gruppe von Konzernen in eine Gegenkampagne: Monsanto, Dow, Syngenta, auch die amerikanischen Niederlassungen der deutschen Unternehmen Bayer und BASF – und gewannen.
Ein Unterstützer-Plakat für die Bürgerinitiative "Proposition 37", die 2012 für die Kennzeichnung von Gen-Lebensmitteln in Kalifornien kämpfte.
Ein Unterstützer-Plakat für die Bürgerinitiative "Proposition 37", die 2012 für die Kennzeichnung von Gen-Lebensmitteln in Kalifornien kämpfte.© AFP / Foto: Robyn Beck
Auch im US-Bundesstaat Washington, ganz im Norden der Westküste, scheiterte die Abstimmung. Hier wurden umgerechnet rund 17 Millionen Euro ausgegeben, auch hier entschied sich im vergangenen Jahr die Mehrheit gegen eine Kennzeichnungspflicht. Dank der massiven Werbekampagnen der Agrarfirmen? Ein Argument wiederholten die Gegner einer Kennzeichnungspflicht immer wieder: Sollte sie in Kraft treten, würden sich die Lebensmittelpreise erhöhen. Hier ein Ausschnitt aus einem Radiospot:
“…and with a struggeling economy most families can’t afford to spend additional precious funds on essentials like food... Can you afford to spend more?”
Auch Don Cameron glaubt, dass eine Kennzeichnungspflicht die Lebensmittelpreise hochtreiben würde. Schließlich bräuchte Kalifornien ganz speziell Verpackungen:
"If California has labeling, it will drive up prices. Because you’re gonna have to have special packaging for California."
Vor- und Nachteile von Genpflanzen
Cameron sitzt frisch rasiert in kariertem Hemd und Jeans hinter seinem Schreibtisch. Seit 35 Jahren leitet der studierte Biologe die Terranova Ranch in Helms, Kalifornien rund vier Stunden nördlich von Los Angeles. Mit seinen Angestellten beackert er eine Fläche, die ungefähr so groß ist wie deutsche Nordseeinsel Borkum. Auf der Straße donnert ein Laster mit Anhänger vorbei, beladen mit saftig roten Bio-Tomaten. Cameron baut Bio-Gemüse an, aber auch Walnüsse, Karotten, Pistazien, Mandeln und Weintrauben. Und auch mit genmodifizierten Pflanzen hat der Familienvater kein Problem. Schon 1998 begann er mit dem Anbau von genmodifizierter Baumwolle:
"Die war großartig. Wir kamen mit weniger Personal zurecht. Das Unkrautvernichtungsmittel Roundup tötete alles ab außer der Baumwollpflanze und wir hatten praktisch ein sauberes Feld. Wir brauchten weniger Wasser, unsere Pflanzen warfen mehr ab – das hat uns viel Geld gespart."
Auch genmodifizierter Mais ist auf seinen Feldern zu finden. Er habe davon gehört, dass Unkräuter inzwischen Resistenzen entwickeln und die Farmer dann doch wieder mehr Unkrautbekämpfungsmittel einsetzen. Einige wenige wechseln inzwischen wieder - vom genmodifizierten Saatgut zurück zum herkömmlichen. Doch ihre Zahl ist minimal, berichtet das Magazin Modern Farmer. Cameron hat das nicht vor. Das Problem sei eher, so Cameron, dass viele Menschen zu wenig über Genfood wüssten und die Technologie zu wenig verstünden.
"I think the concern is a little lack of information and a lack of understanding the technology that we have."
Broschüren, Werbeclips, Dokumentarfilme oder Radiospots – sie könnten aufklären und erklären – aber ein grundsätzliches Problem von genmodifizierten Lebensmitteln nicht beseitigen. Robert Zemetra ist Pflanzenforscher an der Oregon State University. Natürlich kennt auch er die unzähligen Studien, die mit Genfood unternommen wurden und hat von zunehmenden allergischen Reaktionen oder Problemen bei der Fortpflanzung bei Tieren gehört. Aber keine der Studien hat bisher für einen Konsens in der Wissenschaft gesorgt, was die Folgen für Menschen angeht. Es gebe bislang keinerlei Hinweise darauf, dass Genfood den Menschen schade, sagt Zemetra. Und fügt hinzu:
“Was die gesundheitlichen Folgen angeht, habe ich als Wissenschaftler keine großen Bedenken. Mein Gefühl ist eher: da spielt jemand mit meinem Essen."
Farmer Cameron drückt das so aus:
"Wenn wir über Essen reden, reden wir über Emotionen. Und da kann es schwer werden, jemanden zu überzeugen, auch wenn man beste, wissenschaftliche Informationen hat."
Besucher Mark auf der Heirloom Expo im kalifornischen Santa Rosa ist nicht davon zu überzeugen:
"Ich bin lieber auf der sicheren Seite. Es ist ein Experiment. Es gibt keine Langzeitstudien. Wer weiß, wann sich Folgen für die Gesundheit bemerkbar machen. Das findet man nicht in Studien raus, die nur fünf Jahre dauern. Es macht evolutionstechnisch keinen Sinn. Punkt.“
Der Markt wird´s schon richten
Es wird in Zukunft einfacher für Konsumenten in den USA, genmodifizierte Lebensmittel zu meiden, auch ohne nationale Kennzeichnungspflicht. Die teure Bio-Supermarktkette Whole Foods hat ihre Lieferanten aufgefordert, die Waren bis 2018 zu kennzeichnen. Paul Barron arbeitet in der Marketing-Abteilung des Whole Foods-Ladens im kalifornischen Sonoma:
"Wir reagieren damit auf eine Nachfrage, die sich entwickelt hat. Unsere Kunden sind gut informiert, wenn es um Qualitätsstandards, Bio-Lebensmittel und Genfood geht. Und wir dachten, jetzt ist der richtige Zeitpunkt um eine solche Kennzeichnung einzuführen."

Die Zusammenarbeit mit Lieferanten, die ihre Produkte nicht kennzeichnen, wird Whole Foods einstellen. Viele Amerikaner, die sich einen Einkauf bei Whole Foods nicht leisten können, gehen eher zum Einzelhandelsriesen Target. Der will bis Ende dieses Jahres seine sogenannte "Wellness-Lebensmittel"-Reihe Simply Balanced komplett Genfood-frei machen. Die Handelskette Trader Joe’s, die zu Aldi Nord gehört, wirbt schon seit einem Jahr damit, keine genmodifizierten Lebensmittel anzubieten.
Auch wenn eine staatliche Kennzeichnungspflicht in den USA fehlt, setzt der Handel also zumindest teilweise auf Gentechnikfreiheit – sei es als Qualitätsmerkmal, sei es aus Gründen des Marketings, um sich in der hart umkämpften Lebensmittelbranche von Konkurrenten in mehr als nur dem Preis zu unterscheiden. Marks Frau Gretchen ist überzeugt, dass am Ende jeder einzelne Konsument mit seinen Kaufentscheidungen darüber abstimmt, ob es sich für die Lebensmittelindustrie lohnt, genveränderte Produkte anzubieten:
"It’s just about the people standing up and not buying those products. We just have to with our buying power make it happen."
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