Ernährung

Die düstere Zukunft des Fleischessens

Frikadellen und Bauchfleisch liegen auf einem Grillrost.
Der Grillrost ist bei vielen Deutschen immer noch sehr beliebt © picture-alliance / dpa / Heiko Wolfraum
Stevan Paul im Gespräch mit Ute Welty · 07.05.2016
Massives Hofsterben, stattdessen Industrialisierung bei der Tierhaltung - so sieht die Zukunft der Fleischproduktion wohl aus. Es werde auch immer mehr für den Export produziert, sagt der Food-Journalist Steven Paul. Dies habe schlimme Folgen für Umwelt und Tierhaltung.
Der Kochbuchautor und Food-Journalist Stevan Paul sieht bei der Fleischproduktion eine alarmierende Entwicklung. In den vergangenen 15 Jahren hätten 80 Prozent der Bauernhöfe die Tierhaltung aufgeben müssen, sagte Paul im Deutschlandradio Kultur. Stattdessen steige die "Industrialisierung der tierischen Landwirtschaft" mit Mega-Ställen und Mastanlagen. In diesem Markt würden auch immer mehr Produkte ausgeführt:
"Da werden gar nicht mehr die Belange im eigenen Land gedeckt, sondern es wird darüber hinaus noch ordentlich für den Export produziert. Das geht zu Lasten der Umwelt, zu Lasten der Tiere - Nitrit-belastete Böden, prekäre Arbeitsbedingungen und Verstöße gegen das Tierschutzrecht inklusive."

Boom im Edelfleischbereich

Hier wünschten sich viele Verbraucher mehr Transparenz. Sie wollten wissen, wo das von ihnen gekaufte Fleisch herkomme und wie das Tier aufgewachsen sei, meinte Paul:
"Der Verbraucher ist nicht mehr Konsument, sondern Prosument. Und darum sind Metzgereien, die handwerklich arbeiten, im Aufwind und dürfen also tatsächlich diese Geschichten mit stolzgeschwellter Brust erzählen."
Der starke Trend zu vegetarischer oder veganer Ernährung habe auch zu einer Gegenbewegung geführt, so Pauls Einschätzung:
"Wir haben einen Boom im Edelfleischbereich. Fleisch von guter Herkunft – das ist etwas, was durchaus auch im Trend liegt."

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Feuerfeste Verpackungen, Brüh- und Enthaarungsmaschinen, aber auch Schafsdärme aus dem Iran – all das ist ab heute in der Messe Frankfurt zu sehen auf der Internationalen Fleischerei-Fachausstellung, das ist die internationale Leitmesse der Fleischwirtschaft rund um das Verarbeiten, Verpacken und Verkaufen von Fleisch. Und da das Wetter an diesem Wochenende sozusagen nach Grillen schreit, werfen wir also einen ernsthaften Blick auf das Würstchen der Zukunft, zusammen mit dem Koch und Kochbuchautor Stevan Paul, guten Morgen!
Stevan Paul: Schönen guten Morgen!
Welty: Die Messe selbst verzeichnet einen Ausstellerrekord, auf der anderen Seite wächst die Zahl der Vegetarier und Veganer. Sehen Sie eigentlich schwarz für die Zukunft der Metzger und Fleischer?
Paul: In der Tat, es ist besorgniserregend. Die Internationale Fleischer-Fachausstellung schreibt auch sehr schön in ihrem Programm, dass sie die gesamte fleischwirtschaftliche Prozesskette darstellt. Da merkt man schon, woher der Wind weht, und die Zahlen sind wirklich alarmierend. In den vergangenen 15 Jahren mussten bis zu 80 Prozent der Betriebe und Bauernhöfe die Tierhaltung aufgeben, während gleichzeitig bundesweit bis zu 50 Prozent mehr Fleisch produziert wird. Das heißt, wir haben ein wirklich alarmierendes Höfesterben und der Trend ist nur schwerlich umzukehren.

Mega-Ställe und Mastanlagen

Welty: Liegt da schon der sprichwörtliche Hase im Pfeffer, bei diesem Höfesterben?
Paul: Ganz genau, da geht es los. Denn fortschreitend ist die Industrialisierung der, ich sage mal, tierischen Landwirtschaft. Wir sprechen da von Mega-Ställen und Mastanlagen. Und es ist vor allen Dingen – und das ist ganz interessant – ein immer häufiger exportorientierter Markt. Das heißt, da werden gar nicht die Belange im eigenen Land so sehr gedeckt, sondern darüber hinaus noch ordentlich für den Export produziert. Das geht zulasten der Umwelt, zulasten der Tiere, Nitrit-belastete Böden, prekäre Arbeitsbedingungen und Verstöße gegen das Tierschutzrecht inklusive.
Welty: Aber haben wir es nicht auch mit einem hausgemachten Imageproblem zu tun? Würden Sie sich im Ernst noch auf eine Party stellen und sagen: Von Beruf bin ich Metzger? Stefan Raab ist da lieber Fernsehmoderator geworden!
Paul: Das ist seine Entscheidung. Tatsächlich ist das Handwerk des Metzgers im Aufwind und ich bin froh, denn jetzt kommen wir zu den positiven Zahlen: Mehr als 80 Prozent der Deutschen sind laut einer Umfrage des Landwirtschaftsministeriums von März 2015 bereit, höhere Preise für Fleisch und Wurst zu zahlen.
Hinzu kommt ein gesteigertes Interesse an Transparenz, das heißt, die Menschen wollen wissen: Wo kommt mein Fleisch her, wie ist es aufgewachsen, das Tier? Das sind alles Dinge, die dieser Sache zuspielen, der Verbraucher ist nicht mehr nur Konsument, sondern Prosument. Und darum sind Metzgereien, die handwerklich arbeiten, im Aufwind und dürfen also tatsächlich auch diese Geschichten mit stolzgeschwellter Brust erzählen.

Neue Generation von Fleischern und Metzgern

Welty: Was macht denn einen guten Metzger aus? Muss er das Rind tatsächlich beim Namen gekannt haben?
Paul: Es macht Sinn - und eine neue Generation von Fleischern und Metzgern geht auch so vor. Als Beispiel sei genannt, na klar, wo geht immer die neue Sache los: In der Hauptstadt, in Berlin, da hat der Food-Aktivist Hendrik Haase, der nun mit Schlachten eigentlich so gar nichts zu tun hat, mit dem Berliner Fleischermeister Jörg Förstera im November eine eigene gläserne Metzgerei in der Markthalle neun in Berlin eröffnet.
Das Ding geht durch die Decke, war medial wirklich in allen Zeitungen und Magazinen und Radiosendungen, wurde darüber berichtet. Und es ist mittlerweile so, dass dieser Betrieb ein Vorzeigebetrieb ist. Das heißt, Metzger aus ganz Deutschland reisen tatsächlich an, um zu lernen und zu erfahren, wie die Metzgerei der Zukunft aussehen kann und soll.
Welty: Und der Mann heißt tatsächlich Haase.
Paul: Der heißt Haase und der hat einen Blog, der heißt "Wurstsack"!
Welty: Herr Paul, aber auch wenn das Rind einen Namen hatte, ist es dann am Ende ja tot, bevor es auf dem Grill landet. Machen wir uns was vor in Sachen sanftes Schlachten?
Paul: Wir machen uns nichts vor, wir müssen es einfach machen, das ist die Devise tatsächlich. Also, den Tieren ein gutes Leben bescheren und dann sanftes Schlachten, ich durfte da auch schon dabei sein, wie so was aussieht. Das heißt, die Tiere reisen nicht mehr weit, Rinder können zum Beispiel auch geschossen werden auf der Weide, dann kriegen die das ehrlich gesagt überhaupt nicht mit.
Welty: Wenn es gut gemacht wird.
Paul: Bitte?
Welty: Wenn es gut gemacht wird.

"Wir entscheiden, was auf den Teller kommt"

Paul: Wenn es gut gemacht wird, ganz genau. Und das ist die Devise und immer mehr Verbraucher fordern das. Und da auch mein Aufruf wirklich: Es ist tatsächlich so, wir entscheiden mit unseren Einkaufsgewohnheiten, wir entscheiden über unsere Nachfrage, was auf den Markt und letztendlich auf unseren Teller kommt.
Welty: Es wächst die Zahl der Vegetarier, es wächst die Zahl der ganz edlen Steakhäuser. Warum haben wir verlernt, ganz normal ein Schnitzel zu bestellen? Was ist da in der Kindheit oder sonst wo schief gelaufen?
Paul: Ich glaube, da ist gar nichts schief gelaufen. Auch das ist einfach ein Effekt, der sich nährt aus den Fleischskandalen des letzten Jahrzehnts. Da haben viele Leute gesagt, so, jetzt habe ich die Faxen dicke, ich ernähre mich vegetarisch oder eventuell sogar vegan, also ohne jegliches Tierprodukt. Und das sind Trends, die haben durchaus ihre Berechtigung, die entstehen aus einer gesellschaftlichen Not, ein ganz klarer Fall.
Und es gibt natürlich aber auch dazu immer die Gegenbewegung. In diesem Fall haben wir mit dem vegetarisch-veganen Trend einen Boom im Edelfleischbereich. Also, Dry-aged-Fleisch ist so ein Stichwort, Fleisch von guter Herkunft. Das ist etwas, was durchaus auch im Trend liegt.

Spargel statt Fleisch?

Welty: Was sich aber weiß Gott nicht jeder leisten kann. Jetzt muss ich Sie aber trotzdem noch fragen: Was kommt denn bei Ihnen heute Abend auf den Grill?
Paul: Ich grille heute gar nicht. Bei uns ist Spargelsaison und wir sind also wirklich spargelsüchtig, und dementsprechend gibt es heute Abend Spargel bei uns.
Welty: Auch das ist eine gute Alternative. Der Koch und Kochbuchautor Stevan Paul über das Fleisch der Zukunft. Danke dafür!
Paul: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema