Erler kritisiert Druck der USA wegen Afghanistan

Moderation: Birgit Kolkmann · 02.02.2008
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, hat den Brief von US-Verteidigungsminister Robert Gates mit der Forderung nach einer Entsendung deutscher Kampftruppen in den Süden Afghanistans scharf kritisiert. Der Ton des Briefes sei schroff, und Gates verkenne, dass Deutschland schon jetzt an der Spitze liege mit seinem Engagement in Afghanistan, sagte der SPD-Politiker.
Birgit Kolkmann: Deutsche Gebirgsjäger zum Einsatz nach Afghanistan, zum Kampf gegen die Taliban, womöglich Mann gegen Mann - die USA wollen mehr Engagement von Deutschland auch im Süden Afghanistans. Kampftruppen sollen geschickt werden, das schreibt US-Verteidigungsminister Robert Gates in einem Brief an den deutschen Kollegen Jung. Weitere 3200 Soldaten soll die NATO schicken, und daran solle sich auch Deutschland beteiligen.

Der Verteidigungsminister war empört über den angeblich unverschämten Ton des Briefes. Die Bundesregierung hat es bereits rundheraus abgelehnt, das Ansinnen. Ein solcher Einsatz wäre auch von den bisherigen Bundestagsmandaten gar nicht gedeckt. Gernot Erler (SPD), ist Staatsminister im Auswärtigen Amt. Schönen guten Morgen!

Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Kolkmann!

Kolkmann: Was glauben Sie, warum der US-Verteidigungsminister jetzt mit dieser Forderung kommt und in diesem offenbar so scharfen Ton?

Erler: Also zunächst einmal steht das im Zusammenhang mit Ereignissen, die bevorstehen. Es gibt am 7.2., das heißt in der nächsten Woche Donnerstag, in Vilnius ein Treffen der NATO-Verteidigungsminister. Und gleich darauf haben wir die berühmte Münchner Sicherheitskonferenz, wo die gleichen Herrschaften sich noch mal treffen, zusammen mit vielen anderen. Und offenbar hat die amerikanische Seite vor, hier deutlich zu erreichen, dass da mehr Engagement von den Bündnispartnern in Afghanistan erfolgt. Das versuchen sie jetzt, mit dieser in ziemlich schroffem Ton gehaltenen Art und Weise sich an die Kollegen zu wenden, offenbar vorzubereiten.

Kolkmann: Nun ist ja gerade die Münchner Sicherheitskonferenz ein vielbeachtetes Forum, wo gerne hitzige Diskussionen geführt werden. Also Sie bewerten es vor allen Dingen als Taktik, um die NATO und vor allem auch die Bundesregierung unter Druck zu setzen?

Erler: Ja, beziehungsweise um diese Treffen vorzubereiten, den anderen schon mal klarzumachen, da wird Tacheles geredet, da werden wir mit diesen konkreten Forderungen auf euch zu kommen, und bereitet euch mal darauf vor.

Kolkmann: Nun könnte man ja sagen, dahinter steht vielleicht die Überlegung, dass sich die USA in vielleicht mittelfristiger Zeit mal vom Hindukusch zurückziehen und dann der NATO die Aufgabe überlassen. Wäre das eine Katastrophe?

Erler: Nein, das ist allerdings fast eher das Gegenteil in dem Brief. Es ist ja so, dass gerade die Vereinigten Staaten beschlossen haben, zusätzliche 3200 Marineinfanteristen nach Afghanistan zu schicken. Dann haben sie ungefähr 30.000 Soldaten in Afghanistan. Sie wollen bloß nach sieben Monaten, wie es in dem Brief heißt, die wieder zurückziehen, also das soll verübergehend sein. Und sie erwarten, dass dann die Bündnispartner diese 3200 ersetzen. Und da ist es jetzt ein bisschen erklärungsbedürftig, dass da nun gerade Deutschland angesprochen wird, obwohl offensichtlich dieser Brief auch an andere gegangen ist, aber wir sind nun der drittwichtigste und drittstärkste Truppensteller in Afghanistan. In dem Brief wird auch anerkannt, dass Deutschland schon eine ganze Menge macht. Und wenn man dann auch noch weiß, dass wir eben ein Land sind, wo nicht einfach die Regierung mit einem Federstrich sagen kann, wir schicken mehr Soldaten, weil wir ja diesen Parlamentsvorbehalt haben, auf den überhaupt nicht abgehoben wird in den Brief, dann zeigt das eigentlich, dass in Washington die Lage in Deutschland und auch das, was wir tun, offenbar anders eingeschätzt wird, als man das erwarten kann.

Kolkmann: Also wie eingeschätzt wird? Dass die Deutschen eben nicht genug tun?

Erler: Dass da eben nicht Rücksicht drauf genommen wird, erstens mal, dass wir schon an der Spitze liegen mit den Engagement in Afghanistan, und zwar mit dem Gesamtengagement, aber auch mit dem militärischen, und dass wir gerade in der Vorbereitung sind, das wissen sie ja, diese Quick Reaction Force auch noch zu übernehmen, das heißt also ohnehin noch mal - allerdings im Norden - unser Engagement zu verstärken. Und da nun einfach zu sagen, das reicht nicht, bereitet euch bitte darauf vor, das ganze Mandat zu ändern, auch in den Süden zu gehen, ohne im Ton und in der Forderung selber darauf einzugehen, dass das ja eine Mehrheit haben müsste auch im deutschen Parlament und in der deutschen Öffentlichkeit, das ist nicht sehr sensibel.

Kolkmann: Nun wird den Deutschen ja auch immer gerne vorgeworfen, dass sie das ganze eher als einen Pfadfindereinsatz sehen, in Anführungsstrichen gesetzt natürlich. Also wenn es wirklich brenzlig wird, sind die Deutschen nicht mit dabei. Und auch deswegen jetzt natürlich wieder die Aufregung um einen möglichen Kampfeinsatz im Süden des Landes. Da hat die US-Regierung die Bundesregierung ja ganz schön in die Bredouille gebracht.

Erler: Also zum Glück gibt es wenig Pfadfindereinsätze, bei denen es zu vielen Toten kommt. Immerhin haben wir auch schon über 20 Opfer zu beklagen in Afghanistan bei diesem angeblich so ungefährlichen Einsatz. Der ist keineswegs ungefährlich, das weiß auch jeder ganz genau. Und außerdem ist es ja die Frage, ob es nicht für Afghanistan, für den Erfolg dort, auch Sinn macht, gewachsene Aufgaben, gewachsene Strukturen bestehen zu lassen und nicht zu zerstören. Allen Ernstes steht zum Beispiel hier in dem Brief von Herrn Gates, dass er sich das so vorstellt, dass Deutschland also in Zukunft, sprich ab Herbst, dann ein stärkeres Engagement im Süden bei diesen Einsätzen zeigt, und dann andere, weniger robuste Staaten sollen dann, also die, die weniger robuste Kräfte haben, sollen dann in den Norden gehen. Das heißt also, er denkt tatsächlich an einen Austausch: Deutschland in den Süden, andere Staaten, ich weiß nicht, welche er meint, er sagt es auch nicht, in den Norden.

Was macht das für einen Sinn? Wir haben dort Vertrauen schaffen können im Norden. Wir haben da ein Gesamtkonzept, ein zivil-militärisches Gesamtkonzept, was von vielen auch als ein Modell für einen Erfolg in ganz Afghanistan angesehen wird, weil eben hier die Vertrauensarbeit so läuft, dass die Leute sehen, es passiert was beim Wiederaufbau, es passiert was bei der Polizei, bei den Schulen und so weiter. Und das wird dann abgesichert durch Soldaten. Das ist ein gutes Konzept. Und das infrage zu stellen, stellt den Erfolg in ganz Afghanistan infrage.

Kolkmann: Nun steht ja der ISAF-Einsatz unter der Führung der NATO, nicht der USA. Die USA sind Mitglied der NATO. Prescht da die USA auch vor, um da eine Machtdemonstration abzugeben?

Erler: Also das habe ich bisher nicht so gesehen bei der Lektüre des Briefes, sondern das ist natürlich jetzt ein massiver Eingriff unmittelbar vor einem NATO-Außenministertreffen. Aber das bewegt sich im Rahmen des Verhaltens der westlichen Führungsmacht generell.

Kolkmann: Nun könnte die Regierung nicht davon ausgehen für einen solchen Einsatz ein Mandat hier zu bekommen. Wie aber stünde sie dann wiederum gegenüber der amerikanischen Regierung da? Es gab eine Menge Streit darüber, dass Deutschland nicht mitgemacht hat beim Irak-Einsatz. Wäre dieses ein neuer sehr heftiger Streitpunkt im deutsch-amerikanischen Verhältnis?

Erler: Also ich rechne nicht damit, dass sich das in dieser Form zuspitzt. Im Grunde genommen liefert ja Robert Gates in seinem Brief selber schon Argumente dafür, in dem er anerkennt, dass die Bundesrepublik eine Menge tut. Und dann fragt man sich ja, wir haben ja nun ein paar mehr NATO-Mitglieder, warum also dieser Brief ausgerechnet nach Berlin geschickt worden ist.

Kolkmann: Nach Paris hat es auch einen gegeben offenbar.

Erler: Ich weiß es nicht, wer alles das bekommen hat, so leicht lässt sich das ja auch gar nicht feststellen.

Kolkmann: Die Franzosen haben es schon gesagt, der sei nett, freundlich, gewesen.

Erler: Sie haben es schon gesagt, aber man weiß nicht, man spricht von sieben bis acht, aber ich kann Ihnen die nicht nennen. Aber jedenfalls auf dieser Basis müsste es ja eigentlich möglich sein, sich darauf zu verständigen, dass man sagt, erstens ist es nicht sinnvoll, diesen Zusammenhang des Einsatzes im Norden infrage zu stellen oder gar zu zerschlagen. Zweitens ist es nicht sinnvoll, ausgerechnet sich an die Nationen zu wenden, die schon an der Spitze ihrer Bereitschaft und des Engagements stehen im Vergleich zu anderen. Und drittens ist der amerikanischen Seite deutlich zu machen, dass es hier einen sehr breiten Konsens in der Regierung aber auch in der Öffentlichkeit gibt, dass wir schon bis an die Grenze dessen gehen, was verantwortbar, was vertretbar ist mit dem Afghanistan-Einsatz, und dass es eben schlicht und einfach dann, wenn man es auch versuchen wollte, möglicherweise gar nicht möglich ist, weil es dafür keine Mehrheit gibt. Und das sollte ja eine demokratische Nation auch als ein beachtliches Argument ansehen.

Kolkmann: Nun also eine schwierige Diskussion. Was erwarten Sie, mit der Bitte um eine kurze Antwort zum Schluss, was erwarten Sie von einer neuen demokratischen US-Regierung, wenn es denn eine demokratische wird?

Erler: Das ist ganz schwer einzuschätzen. Wir wissen ja überhaupt noch nicht, wer die dann eigentlich führen wird. Aber ich glaube, dass dies ein Problem ist, was nicht unbedingt mit der aktuellen amerikanischen Regierung zu tun hat, ich glaube, dass solche Auseinandersetzungen mit jeder anders geführten amerikanischen Regierung denkbar sind. Leider muss man das so sagen.

Kolkmann: Gernot Erler war das (SPD) Staatsminister im Auswärtigen Amt, zur Diskussion um eine Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes.