Erinnerungskultur

Wenn ein Archiv an Demenz leidet

Von Frank Überall · 27.02.2014
Vor fünf Jahren, am 3. März 2009, stürzte das Kölner Stadtarchiv ein. Zwei Menschen wurden getötet, tonnenweise wertvolle Archivalien verschüttet. Bis heute ist unklar, was ist für immer aus dem Archivgedächtnis verschwunden ist.
Ein "ungutes Geräusch"
Regen prasselt auf das Areal, wo das Unglück passierte. Das Historische Archiv der Stadt Köln stürzte ein. Zwei Menschen wurden dabei getötet, tonnenweise wertvolle Archivalien verschüttet. Bei Anwohnerin Sabine Pohl-Grund erfahren wir, wie sie diesen schlimmen Tag in Erinnerung hat.
"Wir wohnen keine hundert Meter von hier entfernt. Und am 3. März 2009, kurz vor zwei – ich habe auf die Uhr geguckt – war plötzlich so ein unheimliches, ungutes Geräusch. Und ich guck' in die Richtung, aus der das Geräusch kommt, und sehe da dunklen Qualm oder irgendwas, renne raus. Es stimmte alles nicht mehr. Es war alles weg. Alle Anwohnerinnen und Anwohner, wir strömten hier auf die Straße und waren so geschockt und so erschreckt."
Für Sabine Pohl-Grund ist der Schrecken von damals noch längst nicht verarbeitet. Beim Treffen an der Einsturzstelle erzählt sie, wie sie versucht, mit den negativen Erinnerungen umzugehen.
"Ich gehe jetzt jeden Tag mehrmals hier lang, aber ganz oft sehe ich die Kerzen an und vor allen Dingen dieses … was auf der Schlitzwand steht, da ist so'n Blumengesteck und zwei ewige Lichter. Die von einem Ingenieur, der hier arbeitet, jeden Morgen kontrolliert werden, gegossen, die Blumen, wenn es nicht so regnet wie jetzt. Und die Kerzen angezündet. Dass das also immer wieder dran erinnert. Und manchmal schlägt mein Herz ganz schnell, wenn ich da hier bin. Oder wenn ich dann davon reden soll. Und erst recht, wenn der 3. März wieder sich jährt, dann wird's einem schon ganz eigenartig."
Das geht nicht nur den Anwohnern rund um die Kölner Severinstraße so. Selbst Passanten und Touristen werden magisch von dem Unglücksort angezogen.
"Fremde Leute, die bleiben jetzt schon mal da stehen und denken: Och, ich dachte, das ist eine Baustelle! So wie die anderen Baustellen, die wir hier in der Stadt haben. Zuhauf! Aber das ist nicht 'ne Baustelle, sondern da ist was ganz Wichtiges kaputt gegangen, was die Stadt ausmacht."
In den ersten Jahren wies nichts auf das Schreckliche hin, was hier passiert war. Man hatte den Eindruck, die Verantwortlichen im Rathaus und in den Bauunternehmen hätten gern auf das Vergessen gesetzt. Der Künstler Reinhard Matz war es schließlich, der Tafeln in Erinnerung an das Unglück aufhängte.
"Die informieren über das, was hier war und was hier passiert ist und was im Laufe des U-Bahn-Baus auch für Signale auftauchten. Und diese Sätze gefallen der Stadt nicht. Nicht der Politik und nicht der Verwaltung. Und vor allen Dingen gefällt das nicht der Arge, der Arbeitsgemeinschaft, die hier baumäßig tätig sind. Und die bestehen drauf, dass hier die Schilder abgenommen werden."
Frau: "Vielleicht wenn Sie einmal nur so, als wenn Sie hier nach oben schauen… In die Richtung, ja. Aber dann ruhig irgendwie mit der Hand so, als wenn Sie: Ja, genau so…"
Ortswechsel auf die andere Kölner Rheinseite, fast 15 Kilometer von der Einsturzstelle entfernt. Begleitet von großem Medienecho, gibt es im Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum des Historischen Archivs die ersten Nutzer. Sie können einzelne Dokumente betrachten und zum Beispiel wissenschaftlich auswerten. Eine Historikerin beschäftigt sich mit einer mittelalterlichen Urkunde, die nach dem Einsturz bereits geborgen wurde.
"Ja, das war ein sehr glücklicher Moment für mich, dass ich jetzt heute hier sein kann und das Original einsehen. Der Text ist sehr gut erhalten, es gibt nur eine kleine Beschädigung. Lediglich die Siegel, die unter dem Brief angebracht sind, waren zerbrochen. Das ist natürlich bedauerlich, aber für mich nicht weiter wichtig."
30 Regalkilometer Vertrauensverlust
30 Regalkilometer Akten waren verschüttet worden. Ein Teil davon liegt in dem Restaurierungszentrum, der größte Teil aber in anderen Archiven in ganz Deutschland. In der improvisierten Kölner Außenstelle können wir niemanden über den Stand der Archivalien-Aufarbeitung befragen. Dazu müssen wir zurückfahren in die Kölner Innenstadt. Auf schnöden Bürofluren finden wir die Tür von Bettina Schmidt-Czaia, Leiterin des Historischen Archivs.
"In einem Archiv ist man immer ganz nah am Archivgut. Alle Prozesse drehen sich immer um das Archivgut. Um den Benutzer im Lesesaal, der es benutzt. Um uns, die erschließen. All das ist natürlich seit jetzt beinahe vier Jahren völlig abhandengekommen, und wir haben hier kein Archivgut mehr, das ist ein ganz anderes Arbeitsumfeld. Und wir leiden natürlich auch ein bisschen darunter. Weil, man hat ja den Beruf ergriffen, um als Archivar auch mit Archivgut zu arbeiten. Das ist nicht mehr so."
Die Kölner Archivare kennen die Demenz, unter der ihre Einrichtung im Moment leidet. 95 Prozent der Dokumente sollen geborgen worden sein, so genau weiß das aber niemand. Und das, was überhaupt aus dem Einsturzloch geholt wurde, ist zum Teil verdreckt, durchnässt und zerrissen.
Schmidt-Czaia: "Die Menschen denken jetzt eigentlich, im Jahre vier nach dem Einsturz, müsste das alles wieder parallel stehen. Das Verständnis, dass diese Prozesse mit 30 Kilometern unglaublich aufwändig sind, sehr lange dauern, schwindet. Wir kriegen zunehmend Anfragen."
Das Historische Archiv der Stadt Köln war das größte Kommunalarchiv in ganz Deutschland. Urkunden aus dem Mittelalter wurden hier genauso aufbewahrt wie Nachlässe Prominenter oder Akten von Stadtverwaltung und Parteien. Manche schätzen den finanziellen Schaden durch den Einsturz auf eine Milliarde Euro, der kulturelle Schaden aber ist nicht zu beziffern. Der Fall wird jedenfalls die Kölner Stadtgesellschaft noch Jahrzehnte beschäftigen. Auch Sabine Pohl-Grund, bei der zum Jahrestag immer wieder die Erinnerungen hochkommen.
"Es war schon eine sehr große Ausnahmesituation. Und außer diesem Schrecken und gewisser Angst natürlich auch war auch immer Zorn. Weil, das war ja nicht neu. Dass das passierte, war schrecklich. Aber wir verfolgten natürlich den U-Bahn-Bau hier, mit den Rissen die entstanden, mit dem schiefen Turm da Johann Baptist, wie der schief war. Wie sich die KVB und die Stadt da verhalten haben."
Der Kirchturm von Sankt Johann Baptist ist nur gut hundert Meter von der Einsturzstelle des Archivs entfernt. Er war schon Monate vor dem Unglück ein Stück gekippt, wahrscheinlich durch die unterirdischen Bohrarbeiten für eine neue U-Bahn. Die gleiche Baustelle soll später den Archiveinsturz ausgelöst haben. Sabine Pohl-Grund glaubt wie viele Bürger, dass Warnhinweise verdrängt wurden. Sie versteht nicht, warum man gut vier Jahre danach den Grund für das Unglück noch nicht kennt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, will mithilfe eines sogenannten Besichtigungsbauwerks trockenen und sicheren Fußes die Ursache ermitteln.
Pohl-Grund: "Dass man nun dieses wahnsinnig teure Gebäude, dieses Besichtigungsbauwerk hier herstellen muss, wo sich jetzt wieder Verzögerungen einstellen und wieder höhere Kosten entstehen – das ist uns schwer zu vermitteln. Und unser Vertrauen in diese Politik und Verwaltung Kölns? Wir sind ja großzügig, wir Kölnerinnen. Aber da ist einiges im Argen."
Unterdessen ist völlig unklar, was eines Tages an der Einsturzstelle passieren soll. Wohngebäude sind im Gespräch, Geschäfte, ein einfacher Hausblock. Zur Straßenseite soll nur ein kleiner Durchgang an das Unglück erinnern.
Pohl-Grund: "Wie das aber in dem Entwurf aussieht, erscheint das also so, als wenn das so eine Pissecke wird. Also, da wird da reingestrullt in die Ecke. Und man kann, wenn man will durch dieses Dunkle, diesen dunklen Gang, so eine Einfahrt ist das, die es zu abertausenden in Köln gibt, könnte man dann in einen sogenannten Gedenkgarten kommen. Das ist langweilig, das ist uninteressant."
Verlieren, verdrängen, vergessen. Wie man in Köln so schön sagt: Et hätt noch immer joot jejange.
Dass es so nicht weitergeht, darauf machen jeden Montag eine Handvoll Bürger vor dem Historischen Rathaus in Köln aufmerksam. Die politische Gruppierung "Köln kann auch anders" hat sich nach dem Einsturz gegründet. Sie fordert einen Wandel in der politischen Kultur Kölns. Sabine Röser beobachtet bei dem montäglichen Treffen Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters, der schnell grüßend an der Gruppe vor dem Rathaus vorbei läuft zum wartenden Dienstwagen.
Röser: "Ja, er huscht immer sehr schnell nach Hause. Vielleicht liegt es an der Kälte oder weil er keinen Mantel anhatte. Aber… Er stellt sich ungern zu uns."
Die parteipolitisch unabhängige Initiative "Köln kann auch anders" wird erst ganz langsam von Politik und Verwaltung ernst genommen.
Bohrende Nachfragen
Röser: "Ja, ich glaube, das ist sehr mit Unsicherheit besetzt, dass wir da immer noch stehen. Nach jetzt fast vier Jahren. Die Parteien können nicht so richtig mit uns umgehen. Die wissen nicht so genau, was soll das, warum machen die das immer noch, und ich glaube, dass wir jetzt langsam in eine neue Phase gehen müssen, dass wir versuchen ganz extrem auf Dialog zu setzen und einfach mit denen zu reden, damit die wissen, wo wir hin wollen."
Zu den Aktivisten gehört auch Frank Deja.
"Ich wollte mich niemals im Leben mit Kommunalpolitik befassen. Aber ich lebe in dieser Stadt, ich lebe gern in dieser Stadt. Wie es vielen Kölnern geht, habe ich sogar eine gewisse Liebe zu dieser Stadt. Und der Einsturz des Stadtarchivs war für mich der Punkt, wo ich gesagt habe, wo ich einfach für mich gespürt habe, ich kann das nicht mehr einfach mitmachen. Ich kann nicht einfach zugucken, wie es immer weiter geht."
Aber was kann so nicht weiter gehen? Diese politische Haltung unter dem Motto "Et hätt noch immer joot jejange", erzählt Frank Deja:
"Was ich erschreckend finde ist, dass dieser ganz schlimme, schreckliche Verlust für Köln, der Einsturz des Stadtarchivs, eigentlich nur die Spitze eines Eisbergs war. Und für mich mehr und mehr ein Muster erkennbar wird, auch jetzt in aktuellen Dingen, die in der Stadtgesellschaft diskutiert werden: Nämlich dass ein einmal eingeschlagener Weg, wenn er sich als Irrweg herausstellt oder wenn die Rahmenbedingungen sich ändern, einfach unbeirrt mit Scheuklappen immer weiter verfolgt wird. Egal was es kostet, egal was rechts und links zusammenstürzt. Man macht einfach weiter. Und das ist etwas, was ich nicht verstehen kann. Ich weiß nicht, woher diese Kultur kommt, und die hat sich leider noch nicht verändert."
Jeden Montag konfrontiert die Initiative Politiker und Verwaltungsmitarbeiter mit den Nachwehen des Archiveinsturzes. Das, was zu dem Unglück geführt hat, soll nicht vergessen werden.
Deja: "Vor allen Dingen und an erster Stelle ist sehr viel Vertrauen verloren gegangen. Denn die Katastrophe, unter der ganz gewiss die Entscheider in Politik und Verwaltung genauso leiden wie wir Bürger, ist eine Sache. Aber eine andere Sache ist, was alles an Verantwortungslosigkeit, Schlamperei und schlichtem Unvermögen zutage getreten ist, im Nachfeld der Katastrophe. Als wir erkennen mussten, dass das eine Katastrophe mit Ankündigung war. Die hätte verhindert werden können, wenn es mehr Koordination zwischen den Ämtern gegeben hätte, wenn sich mal einer verantwortlich gefühlt hätte. Wenn irgendjemand mal hingeguckt hätte und gesagt hätte, wir können das nicht einfach so weiter laufen lassen."
Ohne das Historische Archiv fehlt etwas, betont Sabine Röser. Denn die gesammelten Dokumente gaben Auskunft über das, was in der Vergangenheit in Köln passiert ist. Und dabei wurde Material nicht nur von amtlichen Stellen gesammelt, sondern auch von Bürgerinitiativen oder zur 68er-Bewegung.
"Das ganz normale Leben, wie das stattgefunden hat, vor zehn, 20, 50 Jahren. Man kann nicht mehr einen anderen Blick auf die Geschichte werfen, weil man keine Unterlagen hat, aus denen man das ziehen kann. Jeder Historiker interpretiert das natürlich in seiner Richtung, und es wird nie wieder einen anderen Blick geben können auf die Geschichte der Stadt, weil das einfach auch weg ist, und das finde ich sehr deprimierend."
Depression durch Verlust. Zum Jahrestag hat Hans Mörtter damit wieder viel zu tun. Er ist Pfarrer an der evangelischen Lutherkirche in der Kölner Südstadt. Und Notfallseelsorger. Damals, beim Einsturz, hat er Anwohner betreut. Und Betreuungsbedarf gibt es für ihn in dieser Sache auch heute noch.
"Ja klar. Weil, die Auswirkungen sind ja ganz faktisch da. Es gibt Menschen, die haben ihre Erbschaften verloren, also von ihren Männern, von ihren Vätern, von Generationen einfach. Das im Archiv gelagert war. Ihre eigenen Arbeiten, ne? Der Peter Busmann, der als Lebender eben seine Arbeiten da vergraben, versunken sieht, und viele andere auch. Und das ist ein ganz großer Schmerz, der da ist. Also ganz, ganz, ganz großer Verlustschmerz."
Die neue "Normalität"
Ein Bus fährt über die Straße an der Einsturzstelle, die lange gesperrt war. Wenigstens ein Stück Normalität ist wieder zurückgekehrt in das Viertel. Wirklich normal ist der Ort aber immer noch nicht, betont Pfarrer Mörtter. Er engagiert sich in dem Verein Archivkomplex, der für ein würdiges Gedenken an den Einsturz kämpft. Fühlt er sich von Politik und Verwaltung ernst genommen?
"Das Archivunglück ist eindeutig ein Vertrauenseinbruch in der Stadt. Zu unseren Vertretern, zu den politischen Vertreterinnen und Vertretern, zu den Parteien, aber auch ganz massiv zur Stadtverwaltung natürlich. Also, in aufsichtsführende Gremien, die Verantwortung haben, dass etwas gut läuft, dass die Menschen einer Stadt behütet sind, dass sie sich darauf verlassen können. Aus dem Zusammenbruch des Vertrauens ist dann natürlich nur Misstrauen entstanden. Aus Vertrauen wird Misstrauen, das ist ganz fatal für eine Stadtgesellschaft."
Im Kölner Stadtrat stößt die Forderung nach einer passenden Gedenkstätte am Einsturzort des Archivs nicht nur auf Gegenliebe. Hans Mörtter kann das bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen.
"Ich glaube, da waren ganz viele richtig schweinesauer: Wir sind die gewählten Vertreter. Ihr habt uns doch gewählt, und wir machen diese Schweinearbeit. Da haben sie auch recht, irgendwo. Die Meisten machen es ja ehrenamtlich auch. Das ist ja auch der Wahnsinn. Dass da also der eine oder andere sauer wird, kann ich gut nachvollziehen: Warum arbeiten wir hier eigentlich, wenn am Ende das irgendeine Gruppe wieder besser meint und am Ende auch noch glorreich im Karneval mit 'nem Wagen dasteht, und wir sind die Blöden. Ja danke! Herzlichen Dank! Dann tschüss oder so …"
Im Kölschen Karnevalszug war eine Bürgergruppe geehrt worden, die sich für den Erhalt des denkmalgeschützten Opernhauses eingesetzt hatte. Die Politik hatte den Abriss und einen Neubau beschlossen. Das Ergebnis der erfolgreichen Bürgerintervention: Die Oper bleibt stehen und wird saniert. Genau so ein Umdenken wünscht sich Hans Mörtter auch bei den jetzigen Planungen zur Gedenkstätte für den Archiveinsturz.
"Da ist Politik sehr stark gefordert, genau hinzuhören und nicht in Verteidigung zu gehen: Was wollen die wieder von uns? Und am Ende sind's die Gleichen, das sind doch immer die Besserwisser und sonst was. Und wir haben doch unsere Fachleute. Aber die Fachleute, die haben eben nicht aufgepasst. Da hat was nicht funktioniert. Und dieses Vertrauen gilt es einfach wieder einzuholen."
"Vertrag nicht erfüllt"
Schnelles Abhaken von politischen Problemen – in Köln bekannt unter dem Motto "Wat fott is, is fott" – funktioniert offenbar nicht mehr. Diese Haltung, Dingen nicht hinterher zu trauern, stößt beim Unglück um das Historische Archiv an Grenzen.
Mörtter: "Hier gilt das 'Wat fott is, is fott' auf gar keinen Fall! Weil auch die ganzen Nachlassgeber und -geberinnen ja da sind. Die vibrieren ja, die haben Fieber, die leiden. Ich kenne Leute, die am 3. März wegfahren, einfach weil es auch wehtut, wieder, ne?"
Nachlassgeber – das sind die Menschen, die wertvolle Dokumente dem Historischen Archiv hinterlassen haben. Einer von ihnen ist Franz-Josef Heumannskämper. Der Künstler hat das Erbe des weltweit berühmten Bass-Baritons William Pearson 1998 dem Archiv übergeben.
"Es waren ja immerhin 48 Kartons, die abgeholt wurden, mit Partituren, Original-Korrespondenzen, Fotos, Tonbänder, unveröffentlichte Tonbänder. Alles Mögliche, ne? Und ich dachte, das sei genau dort richtig und nicht bei mir zu Hause, wo eben weiter gearbeitet wird, ne? Wichtig war mir natürlich, dass ich jederzeit an das Material auch dran kommen könnte."
Seit dem 3. März 2009 kommt Fanz-Josef Heumannskämper nicht mehr dran. Alle Dokumente wurden verschüttet. Auch heute noch fühlt er sich verzweifelt.
"Als hilflos. Muss ich wirklich sagen. Also im Grunde genommen wirklich hilflos. Es war ja erst schwierig für mich, überhaupt rauszubekommen, ob da noch Telefonleitungen funktionieren, wer ansprechbar ist. Das war sehr schwierig, überhaupt in Kontakt zu kommen. Ich selber hatte ja nur über die Öffentlichkeit Mitteilung erhalten."
Heumannskämper hatte das künstlerische Erbe von William Pearson bewusst dem Historischen Archiv der Stadt Köln vermacht. Anfragen hatte er auch aus Los Angeles und Basel. Ihn überzeugte damals aber, wie sorgsam die Kölner Archivare mit dem Material umgingen. Eben bis zu dem Unglück.
"Ich habe mir auch im Vertrag reinschreiben lassen, dass ich zu jeder Zeit an jedes Material heran komme. Insofern macht die Stadt einfach ihren Vertrag nicht, erfüllt sie ihn mir gegenüber nicht. Ich meine, kann sie nicht. Aber so hatten wir nicht gewettet. Wenn man Verträge macht, dann sollte man sich daran halten."
30 Jahre könnte es dauern, bis Franz-Josef Heumannskämper wieder mit allen Materialien arbeiten kann, die er zu treuen Händen ins Kölner Stadtarchiv gegeben hatte. Oder vielleicht noch länger.
"Wenn das wie lange auch immer dauert, wüsste ich nicht, wer sie so gut mit dem Material auskennt, dass er damit wirklich arbeiten kann. Insofern überlege ich mir schon, einen Rechtsnachfolger aus dem wissenschaftlichen Bereich im Umfeld Musik zu suchen, sodass zumindest dann nach einer Zeit oder auch nach meinem Ableben Leute, Menschen damit arbeiten können. Und dass dieser Ausnahme-, künstlerische Teil Pearsons nicht in Vergessenheit gerät, was ja ohne Weiteres passieren kann."
Analoge Demenz – zumindest Jahrzehnte lang werden die meisten verschütteten Dokumente aus Köln nicht nutzbar sein. Nachlassgeber wie Franz-Josef Heumannskämper haben dafür nur wenig Verständnis.
"Okay, das ist ein Riesenunternehmen, das da zu Bruch gegangen ist. Nicht nur, dass da Werte verloren sind, es ist auch ein totaler Imageverlust der Stadt Köln. Das muss man einfach so sagen. Ich reise nach wie vor sehr viel, arbeite auswärts: Es ist immer so ein komisches Augenzwinkern, wenn man sagt, man käme aus Köln, also."
Der Fall des Bass-Baritons William Pearson ist nur einer von ganz vielen. Heinrich Böll, René König, Konrad Adenauer – viele Nachlässe sind zerstört oder beschädigt. Für Archivchefin Bettina Schmidt-Czaia keine einfache Situation.
"Ich kann verstehen, wie verzweifelt diese Menschen sind. Gerade auch, wenn es ältere Herrschaften sind, und man kann jetzt nicht schnell helfen. Und sie brauchen schnell Hilfe."
Weite Bestände des Historischen Archivs der Stadt Köln werden noch lange, lange Zeit ungeordnet sein, unbearbeitet, unerinnert. Und selbst die Frage, ob tatsächlich alle geborgenen Materialien für die Nachwelt restauriert werden können, ist noch völlig offen. Denn Bettina Schmidt-Czaia weiß, dass trotz aller Anstrengungen in der Gegenwart eine dauerhafte Finanzierung auch in der Zukunft erforderlich sein wird.
"Da müssen die Kölner was tun, was man jetzt lernen muss, in dieser Stadt: Durchhalten. Denn ich glaube eins ganz bestimmt: Dass das Archiv eingestürzt ist, ist ein Makel für die Kölner Stadtgeschichte wie auch für diese Bürgergesellschaft gewesen. Wenn diese Gesellschaft jetzt aber zeigt, dass sie konsequent nachhaltig und fachlich qualifiziert aufbaut und das auch durchhält, ich glaube, dass man dann auch am Ansehen der Stadt Köln – das ja gelitten hat im Zusammenhang mit dem Einsturz –, dass man daran ganz viel arbeiten kann."
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