Erik Lieshouts Film "To Stay Alive"

Michel Houellebecq und Iggy Pop als Deprimisten-Duo

Michel Houellebecq und Iggy Pop in einer Szene des Films "To Stay Alive - A Method" von Erik Lieshout, 2016
Michel Houellebecq und Iggy Pop in einer Szene des Films "To Stay Alive - A Method" von Erik Lieshout, 2016 © Erik Lieshout, Contactfilm, Arnhem
Von Dirk Fuhrig · 01.05.2018
Es geht um Kunst und Depression. Mit "To Stay Alive: A Method" kommt ein abgrundtief trauriger Musikfilm mit Michel Houellebecq und Iggy Pop in die französischen Kinos. Außerdem kursieren Gerüchte über ein neues Houellebecq-Buch.
Michel Houellebecq sitzt auf einem braun geblümtem Sofa. Drumherum ist alles Ton in Ton in Schlammfarben gehalten: Die Couch, die Tapete, das Tischtuch - dunkelbraune Blümchen auf hellbraunen Blümchen. Die Möbel: rustikaler, dunkler Baumarkt-Barock. Perfekt inszenierte Kleinbürger-Tristesse.
Frankreichs literarischer Hohepriester der Mittelmäßigkeit tritt hier als Schauspieler auf. Er fabuliert über zwei Arten von Künstlern: revolutionäre und solche, die sich dekorativ betätigen.
Er ist nur ein "Dekorateur", konstatiert Michel alias "Vincent". Oder Vincent, wie ihn Iggy Pop nennt - Houellebecqs Gegenpart in diesem abgrundtief traurigen Feel-bad-Musikvideo.
Klar, Vincent ist ein besonders schwerer Fall. Depressiv, am Leben verzweifelt. Er starrt aus seiner floralen Vorstadt-Hölle ausdruckslos ins Weite. Der US-amerikanische Rocker Iggy Pop hingegen hält sein in 70 Jahren Punk tief zerfurchtes Gesicht zwar ebenfalls melancholisch, aber durchaus ausdrucksstark in die Kamera.
Iggy hat es auch sonst im Leben besser als Vincent, so scheint es: Er fährt im Rolls-Royce Cabrio durch die Gegend, sitzt in Paris im Café oder lungert in der Lobby eines Luxushotels herum, lesend.
Rester Vivant: méthode - eine Methode, um am Leben zu bleiben. So heißt ein Text von Houellebecq aus den frühen 90er-Jahren, vom Beginn seiner Karriere. So hieß auch eine Ausstellung Houellebecqs vor zwei Jahren im Palais de Tokyo in Paris.

Iggy Pop: "Seine Bücher sind wichtig für mich"

Iggy Pop hatte sich schon früher als Houellebecq-Fan bekannt. "Seine Bücher sind wichtig für mich", schrieb er in dem Sammelband "Cahier de L’Herne". Sobald eine neues erscheine, stürze er sich darauf. In Houellebecqs Texte stecke viel Wahrheit.
Suffering is good - der Künstler muss leiden. Auch so eine Wahrheit. Das Leiden am Leben ist das große Thema des "Deprimisten" Houellebecq.
Michel Houellebecq und Iggy Pop in einer Szene des Films "To Stay Alive - A Method" von Erik Lieshout, 2016
Michel Houellebecq und Iggy Pop in einer Szene des Films "To Stay Alive - A Method" von Erik Lieshout, 2016© Erik Lieshout, Contactfilm, Arnhem
Iggy Pop und Houellebecq sitzen jetzt gemeinsam am Blümchentisch, schwafeln über fehlende Girl-Friends, Frust-Shopping, schmutzige Wäsche, Punk und Protest. Zur Verdeutlichung der Tristesse des Alltags haben sie in diesem Film drei Menschen porträtiert, die eine manisch-depressive Erkrankung haben - die sie mit bildender Kunst, Poesie oder Religion zu kurieren versuchen. Die Hinwendung zum Glauben als - trügerisches - Heilmittel gegen die Zumutungen der Existenz ist im Übrigen ja ein Motiv, das gerade in Houellebecqs bislang letztem Roman "Unterwerfung" eine große Rolle spielt. Ebenso die Affinität des Schriftstellers zur Kunst: In "Karte und Gebiet" hatte er sich selbst in Gestalt eines Malerfürsten dargestellt.
Jetzt schlabbert Michel als verwahrloster Künstler Vincent im flatterigen Kurzarmhemd und schlecht sitzender Opahose durchs Bild, in typischer Pose rauchend zwischen Mittel- und Ringfinger. Iggy Pop in Lederjacke. Dazu erklingt Franz Schubert.

Geniales Text-Bild-Musik-Gesamtkunstwerk

Der Film ist bereits von einiger Zeit unter der Regie des Niederländers Erik Lieshout unter dem englischen Titel "To Stay Alive" entstanden, aber gänzlich unbeachtet geblieben - sehr zu unrecht, denn es ist ein ziemlich geniales Text-Bild-Musik-Gesamtkunstwerk über die Abgründe der Existenz und die Suche nach einer eigenen Persönlichkeit.
Dass "Rester vivant: méthode" ausgerechnet jetzt in Frankreich in die Kinos kommt, deutet darauf hin, dass womöglich bald mehr von Houellebecq zu erwarten ist. Der Pariser Literaturbetrieb raunt schon seit Wochen über einen neuen Roman aus der Feder des umstrittenen Schriftstellers. Und Houellebecqs Veröffentlichungen werdenstets von einer ausgeklügelten Marketingkampagne begleitet, die unter anderem genau im Streuen solcher Gerüchte besteht.
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