Erich Kästners Flucht im Jahre 1945

Lügen als Überlebensstrategie

Das Grab Erich Kästners auf dem Bogenhausener Friedhof in München
Das Grab Erich Kästners auf dem Bogenhausener Friedhof in München © Michael Watzke
Von Michael Watzke und Claus-Stephan Rehfeld · 26.06.2015
Anfang 1945 flüchtete der Schriftsteller Erich Kästner vor der SS aus Berlin: Zuerst nach Bayern, dann zu angeblichen Dreharbeiten nach Mayrhofen in Tirol. Die Autoren folgen den Spuren dieser Flucht, die Kästner in seinem Tagebuch "Notabene 45" festgehalten hat.
Vorspiel „Der Hof des Wiedersehens“
Zitat: „Gestern saß Uli auf dem Baumstamm, und ich war in München. (…) Ich war mit Eberhard in den Kammerspielen und später allein in der Renatastraße. Im Hof des Theaters freudiges Wiedersehen mit Werner Buhre! Es ist frappierend, wer alles sich hier wiedertrifft! Fast pausenlos fallen sich Menschen um den Hals. Man sollte eines Tages eine Erinnerungstafel anbringen, worauf stünde: 'Der Hof des Wiedersehens 1945'.“
„ … eines Tages …“ ist immer noch nicht. Im „Hof des Wiedersehens“ zwitschert heute, 70 Jahre nach Erich Kästner, eine Amsel. Fast übertönt sie das Mittagsläuten der nahen Kirche St.Peter. Im Innenhof der Kammerspiele spürt man die kühle Luft der Gentrifizierung. Alles ist frisch renoviert und teuer. Gucci, Prada, Yves Saint Laurent, Hermes, Montblanc – die Reihenfolge der Geschäfte vor dem Hof, an der exklusiven Maximilianstraße. Im Hofstellt ein feines Einrichtungshaus erlesenes Porzellan in einer Glasvitrine aus – die Teetasse zu 149 Euro.
Nur der gusseiserne Wasserhahn, der mit Grünspan überzogen ist und knarzt, weist auf eine Vergangenheit hin. Wasser kommt nicht mehr aus der Leitung, schon seit Ewigkeiten, scheint es.
Schilder hängen einige im Hof. „Fahrräder abstellen untersagt – bei Zuwiderhandlung kostenpflichtige Entfernung“. Verbotsschilder. Abends, in den Pausen der Vorstellungen, strömt das Publikum aus Münchens ältestem Theatersaal in die Abendluft oder den Nachtregen und redet, plaudert, streitet, lacht über die Inszenierung, die es gerade verfolgt hat.
An die Stimmung jenes 26. Juni 1945, an Erich Kästner und das „freudige Wiedersehen“ mit Werner Buhre, erinnert nichts. Man hatte überlebt und fiel sich um den Hals - die Gedenktafel gibt es bis heute nur im Tagebuch: „Hof des Wiedersehens 1945“.
Kapitel 1 „Die Fliege klebt nicht mehr an der Tüte“
Die Reise Erich Kästners ins bayerische Asyl begann in Berlin. In der Reichshauptstadt. Die Abreise drängt an jenem 09. März 1945.
Zitat: „Gestern warnte mich jemand. Die SS, das wisse er aus zuverlässiger Quelle, plane, bevor die Russen einzögen, eine blutige Abschiedsfeier, eine "Nacht der langen Messer". Auch mein Name stünde auf der Liste. Das ist kein erhebender Gedanke. Denn ich kann Berlin nicht verlassen. Ich klebe hier fest wie eine Fliege an der Leimtüte.“
Nach 14 Tagen hat sich die Fliege befreit.
Zitat: „Die Fliege klebt nicht mehr an der Tüte. Es hat ihr jemand aus dem Leim herausgeholfen. Eine Art Tierfreund?“
Freund Eberhard (Anmerkung 1) hatte alles arrangiert.
Zitat: "Er setzte sich an die Schreibmaschine und stellte, auf meinen Namen, alle notwendigen Papiere aus. Es waren von Staatsrat Hans Hinkel unterzeichnete Formulare. Eberhard schrieb, ich sei der Autor des Drehbuchs, das in Mayrhofen verfilmt werde, und vervollständigte die Gültigkeit der Ausweise durch seine eigne Unterschrift.“
Zwei Tage später beginnt die Fahrt zu den „Außenaufnahmen“ für die Ufa, um 10 Uhr abends. Hinter Potsdam werden beide „zum ersten Mal von Feldgendarmen kontrolliert“. Das Auto (Anmerkung 2) wird während der Fluchtfahrt zweimal Feuer fangen.
Kapitel 2 "P."
Zitat: „Und so trafen wir zwölf Stunden nach der Abfahrt aus Babelsberg, ziemlich pünktlich und wohlbehalten, bei Eberhards Freunden, einer Familie Weiß, in P. ein. Der Gutshof liegt nicht weit von Fürstenfeldbruck, mitten im Moor. Der Frühstückstisch war schon gedeckt. (…) Wir hatten Hunger und ließen uns nicht lange bitten.“
Das ist verständlich. Aber wo liegt „P.“? Nicht weit von Fürstenfeldbruck? Auch die Erich-Kästner-Gesellschaft tippte lange Zeit auf die falsche Stelle auf der Landkarte. Bis 1990 wurde P. mit Pasing übersetzt. Nachforschungen vor Ort brachten aber keine Klarheit über P. (Anmerkung 3). Erst die Veröffentlichung der Original-Tagebuchaufzeichnungen machte aus dem P. ein O. – Olching. Und aus der Familie Weiß die Familie Blau.
Olching also. Taucht am Ende der endlos scheinenden Pappelallee ein Auto auf, dann bellt Karla aus Leibeskräften. Karla ist der Hofhund des Wolfganghofs – das letzte Nutztier auf diesem jahrhundertealten Anwesen. Vor 70 Jahren waren die Pappeln so niedrig wie eine flache Scheune. Damals hieß der Wolfganghof noch Zitzstaudenhof. Die heutigen Eigentümer haben den Namen geändert, weil die Lastwagenfahrer bei der Anlieferung von Futtermais immer in den Zitzstaudenweg einbogen. Der aber ist eine Sackgasse. Wer wie Erich Kästner zum Zitzstaudenhof wollte, musste in den Wolfgangweg einbiegen.
Zitat: „Nachdem wir ein paar Stunden geschlafen hatten, besuchten wir das Vieh in den Ställen, die Kühe und Ziegen, den wegen seiner Klugheit gepriesenen Ochsen Max und zwei Reitpferde, die 'versehentlich' weder zum Militär noch von der Partei eingezogen worden waren.“
Das Ehepaar Grandl hat den Hof in den siebziger Jahren übernommen, aber erst viel später erfahren, dass in den alten Gemäuern einst Erich Kästner logierte. Anfangs wollte Ludwig Grandl es nicht glauben – denn die Namen und Daten, die Kästner in sein Tagebuch schrieb, schienen nicht auf den alten Zitzstaudenhof zu passen.
Aber die Geschichten. So erwarten die beiden Gutstöchter die Ankömmlinge aus Berlin beim Kaffee auf der Veranda. Da trafen zwei aufeinander – die Gutstochter Elly Blau und Kästner. Ein verrücktes Paar.
Zitat: „Sie wollten wissen, wieso die Regierung, kurz vorm Zusammenbruch Filme drehen lasse. (…) … wozu Goebbels noch Filme brauche. Sie fanden die Sache ganz einfach unsinnig.
Eberhard gab ihnen lächelnd Recht. (…) „Man habe ein paar konsequente Lügner beim Wort genommen, nichts weiter. Da der deutsche Endsieg feststehe, müßten deutsche Filme hergestellt werden. Es sei ein Teilbeweis für die unerschütterliche Zuversicht der obersten Führung. (…) Wer A sage, müsse auch B sagen."
Ludwig und Marlies Grandl, die Besitzer des Wolfganghofs, mit ihrem Hofhund.
Ludwig und Marlies Grandl, die Besitzer des Wolfganghofs, einer Station von Erich Kästners Flucht.© Michael Watzke
Kapitel 3 „Das verlorene Gesicht“
Zitat: „In der übernächsten Nacht fuhren wir, ab Pasing, mit dem Zug über Garmisch nach Innsbruck.“
Luftalarm.
Zitat: "Die Sirene wirkte wie das Megaphon eines Regisseurs, der einen Monsterfilm inszeniert.“
Warten. Am Abend geht die Fahrt mit der Zillertaler Lokalbahn nach Mayrhofen hinauf. Tirol.
Zitat: „ … das Vieh ist noch nicht auf der Alm, und die Fremden sind schon im Ort. Der Krieg stiftet noch in den fernsten und schönsten Tälern Unfrieden.“
Freund Eberhard leitet die „Besprechungen des Filmgeneralstabs“.
Zitat: „Vorhin habe ich zum ersten Mal den Titel des Films gehört. "Das verlorene Gesicht" soll er heißen. Ein hübscher Einfall.“
Sonniges Wetter mit Luftalarm. Fast 3 Monate wird die Gruppe im österreichischen Mayrhofen Quartier beziehen.
Zitat:„Man ignoriert uns, "…den Dolch im Gewande". Deshalb zog heute, denn die Sonne schien, die Ufa, mit den geschminkten Schauspielern an der Spitze, geschäftig durch den Ort, hinaus in die Landschaft, und drehte, was das Zeug hielt. Die Kamera surrte, die Silberblenden glänzten, der Regisseur befahl, die Schauspieler agierten, der Aufnahmeleiter tummelte sich, der Friseur überpuderte die Schminkgesichter, und die Dorfjugend staunte. Wie erstaunt wären sie gewesen, wenn sie gewußt hätten, daß die Filmkassette der Kamera leer war! Rohfilm ist kostbar. Bluff genügt. Der Titel des Meisterwerks, "Das verlorene Gesicht", ist noch hintergründiger, als ich dachte.“
Hitler bezeichnet Churchill als den „größten Kriegsverbrecher aller Zeiten, die Zigarette schmeckt nach Laub, die Damen tauschen mit den Bäuerinnen Blusen mit Spitzen gegen Brotmarken, die Filmtruppe pflückt „Blumensträuße fürs Herz und Brennnesseln für den Magen“. Das Konzentrationslager Buchenwald wird befreit, die Russen sind mit Panzern in Berlin-Mahlsdorf eingerückt.
Zitat: „28. April 35. Gestern hieß es plötzlich überall im Ort, Bayern habe kapituliert. Wer denn? Und vor wem denn?“
Kapitel 4 „Sonst?“
Zitat: „29. April 1945. Heute über Tag war der Münchner Sender stundenlang still. Es war, als sende er Schweigen. Abends, zehn Uhr … rührte er sich plötzlich wieder. Und was brachte er? 'Heiße' Musik. Erst unkommentierte Funkstille, dann undeutschen Jazz ohne Worte, was ist geschehen? (…) Liebt der Nachtportier amerikanische Platten?“
Im Mayrhofen machen Gerüchte die Runde. Mussolini füsiliert, Hitler im Sterben. Aber: „Die Apfelblüten lugen aus dem Schnee wie Erdbeeren aus der Schlagsahne.“ Die Welt zeigt sich von einer neuen Seite, aber noch nicht von einer anderen.
Deutsche Soldaten kämpfen „nur noch“ gegen die Russen, in Mayrhofen gibt es Brot „nur noch“ für die Ansässigen. Die Flüchtigen sollen Mayrhofen verlassen.
Zitat: „15. Juni 1945. Vor einem Vierteljahr verließ ich Berlin. Sechs Wochen später, als eine Woche vor der allgemeinen Kapitulation, gab die Südarmee den Kampf auf. Seitdem macht der Frieden die ersten Gehversuche. Er lernt laufen. Wie ein kleines Kind. Wir dürfen an den Gehversuchen teilnehmen. Vor ein paar Tagen wurde die Spazierzone erweitert.“
Kästner erhält Grüße von den Freunden. Freund Eberhard sitzt am Ammersee, Buhre (Anmerkung 4) schreibt vom Tegernsee, ist in Rottach gelandet. „Sonst?“ Da sind noch Grüße aus Schliersee.
Zitat: „Die oberbayrischen Seen scheinen ihre Anziehungskraft auch im Krieg nicht eingebüßt zu haben.“
Kapitel 5 „Notabene! Merkt's euch gut!“
Zitat: „P. in Bayern, 18. Juni 1945. Seit vorgestern bin ich für ein paar Tage bei Familie Weiß … auf dem schönen Gutshof im Moos. Es ergab sich ganz plötzlich. Ulrich Haupts Kumpan, der tätowierte Oberstleutnant, hatte wieder einem Jeep samt Fahrer übrig. Am Donnerstag läßt er uns zurückholen. Womöglich kommt er selber“.
Für 10 Tage gibt das Tagebuch nun Auskunft aus P. in Bayern, also vom Zitzstaudenhof, dem heutigen Wolfganghof / Olching. Himbeergeist aus der Flasche beflügelte die Anfahrt.
Vor ein paar Jahren starb die alte Resl, damals Magd und Haushälterin auf dem Hof. Die erzählte, wie der Kästner ankam. 1945. Mitten in der Nacht. Die Aufregung auf dem Hof, wie sie aus dem Bett sprang und alles herrichtete für den späten Gast. Und wie Kästner am Tisch zulangte, als habe er drei Wochen lang keine Scheibe Wurst gesehen. Einen solchen Appetit hatte der Erich, dass den Gutsbesitzern nach ein paar Tagen angst und bange um ihre Vorräte wurde. Und nach einer Woche bedeuteten sie ihrem Besucher, dass auch ihre Gastwirtschaft einmal ein Ende haben könnte.
Und nun? Wie weiter? Und wo weiter? Freund Eberhard kalkuliert schon: Kästner „politisch unbescholten, kann Filmstoffe und Drehbücher liefern“ … und ... Kästner zögert – mit der Ansiedlung am Ammersee. Nicht aber mit München.
Zitat: „Am Mittwoch wollen wir nach München. Kennedy (5) im Büro aufsuchen. Und die Nase in die Kammerspiele stecken. Das Theater ist ja zum Glück stehengeblieben. Vielleicht treffen wir … Bekannte.“
Ach so, was all das zu tun hat mit „Notate bene! Merkt‘s euch gut“? Hier, bitte.
Zitat: (Heute ) „P. in Bayern, 19. Juni 1945. (...) heute brachte jemand eine Zeitung ins Haus. Eine Zeitung! Es war wie ein Wunder, und ich las das Wunder dreimal hintereinander. (...) Es gibt, vor aller Öffentlichkeit, wieder mehrerlei Meinungen! Früher einmal war das selbstverständlich. Notabene: Es ist ganz und gar nicht selbstverständlich. Notate bene! Merkt’s euch gut
Kapitel 6 „Hübsche Mädchen ... Weniger rar als gute Texte“
Zitat: „20. Juni 1945. Heute morgen waren wir … in München. (…) In den Büros und Korridoren wimmelte es von deutschen Schauspielern, Regisseuren, Journalisten und Filmleuten. (…) Man will Auskunft. Man sucht Anschluß. Man hat Pläne. (…) Ich traf Wolfgang Koeppen und Arnulf Schröder und später, im Hof der Kammerspiele, Rudi Schündler und Arthur Maria Rabenalt. Die beiden wollen hier im Theater … ein Kabarettprogramm starten. (…) Hübsche Mädchen seien weniger rar als gute Texte, und aktuelle Chansons fehlten ihnen völlig. Mich schicke der Himmel. Ich müsse mitmachen.“
Zitat: „21. Juni 1945. Heute früh waren wir schon wieder in München. (…) Wenn man zu charakterisieren sucht, was man ringsum erlebt, fallen einem ganz, ganz altmodische Wörter ein, wie >Hoffnungsschimmer<, >Morgenröte>, >Schaffenskraft<, >Glücksrausch< und >Lebensmut<. Der Magen knurrt, doch die Augen blitzen.“
Da ich in P. ein Exemplar von >Herz auf Taille< entdeckt hatte, schlug ich Schündler vor, den Text >Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?> ins Programm aufzunehmen und, das sei wichtig, auf das Entstehungsdatum des Gedichts kurz hinzuweisen.“
„P. in Bayern, 22. Juni 1945. Die Schuhe, die ich trage, hat mir Horst Kyrath geborgt. Meine Knickerbockerhose ist so fadenscheinig geworden, daß ich mich kaum noch zu setzen wage … Wenn ich mich setze, lasse ich mich ganz vorsichtig nieder. Ich nehme Platz. Wie eine Dame in großer Abendtoilette. Außerdem habe ich nur noch ein einziges sauberes Taschentuch. Wenn bloß dieser verdammte Jeep käme!“
Kapitel 7 „Es ist schade um die Deutschen“
Der Jeep nach München. Es ist höchste Zeit. Kästners Passierschein ist seit ein paar Tagen ungültig. Und auch die Logierzeit ist abgelaufen, die Gastgeberin hat bedeutet, sie werde die beiden Gäste vor die Tür setzen.
Zitat: „29. Juni 1945. Gestern mittag kam der Jeep! (…) … mit einem gültigen Passierschein … (…)“
In München werden sie erwartet, am Schliersee beziehen sie (Anmerkung 6) Quartier.
Zitat: „9. Juli 1945. (…) Die neue Adresse heißt : Schliersee, Unterleiten 6.
Wenn unbekannt bleibt, wo man wohnt, ist man heute unauffindbar. Man ist verschollen. Man ähnelt Tolstois Lebendem Leichnam. Das wird sich so mancher zunutze machen, der die Vergeltung fürchtet. Er bringt sich um und lebt weiter. Nichts ist leichter. (…) Wenn er ein tüchtiger Mörder, hat er dafür gesorgt, daß kein Zeuge übrigblieb. )
Die neue Umgebung führt zu neuen Bekanntschaften und zu den alten Diskussionen. Immer wieder wird der amerikanische Vorwurf, die deutschen Gegner der Diktatur hätten kläglich versagt, als ungerecht empfunden. (…) Es ist schade um die Deutschen. Sie haben eine Tugend und ein Talent zuwenig. Es fehlt ihnen das Zeug zur Nation.“
Kästner hat ein neues Asyl gefunden, schläft in der Bodenkammer. Tags weiten ihm Ereignisse die Augen wie der Anschlag am Rathaus, der von „haltlosen Denunziationen“ spricht.
Kästner befreundet sich mit Andy, einem US-Stabsfeldwebel, einem Quäker, der sich zu den Sanitätern gemeldet hatte, weil er „nicht schießen, sondern helfen wollte.“
Zitat: „Schliersee, 2. August 1945. Heute schickte Andy einen gewissen Kr. herüber, einen jener Häftlinge, die mehr tot als lebendig, in den Konzentrationslagern vorgefunden wurden und am Leben erhalten werden konnten. (…)
Kr. kam, um zu erzählen, und was er erzählte, war grauenhaft. (…) Es sind beispiellose Beispiele. Die Mörder waren Tiere, die sich für Menschen hielten. Die Opfer waren Menschen, die man für Tiere hielt. Die Geschehnisse gehören nicht in die Geschichte, sondern in des Teufels Gesangbuch. (…) Und nun … ein paar Nummern aus dem Katalog: ...“
Die können wir Ihnen, lieber Hörer, nicht ersparen. Sie Daheim, lesen Sie nach. Es steht geschrieben! Da, 4 Seiten, im Tagebuch von Erich Kästner. 2. August 1945. Damit endet es. Notabene 45.
Nachspiel Nachtrag 2015
Fünf Uhr nachmittags auf dem Bogenhausener Friedhof in München. Still ist es hier, mitten in der Stadt. Die breite Steinmauer schluckt allen Lärm und jede Hektik. Hier, rund um das Kirchlein St. Georg, sind sie alle versammelt, die Münchner Künstler und Bohemiens. Liesl Karlstadt und Rolf Boysen, Fassbinder und Fernau, Oskar Maria Graf und Walter Sedlmayr, Eichinger und Dietl, Knappertsbusch und… Kästner!
Da ruht er, rechts vom Eingang, ein einfaches Grab. Geboren 1899, gestorben 1974. In dem schlichten, hellen Grabschild spiegelt sich die Abendsonne. Frische Blumen liegen auf dem Beet, bunt und duftend. Ganz anders als auf dem wuchtigen Nebengrab, einem schwarzgrauen, schmucklosen Block aus Stahl. Dort ruht … Ernst Hanfstaengl (anmerkung 7). Der einstige Auslands-Pressechef der Nazis berichtete 1933 aus Berlin, wie Kästners Bücher brannten. Nun ist der „Putzi“, wie Hitler ihn nannte, auf ewig Kästners Grab-Nachbar. Kästner hätte darauf sofort einen Text parat gehabt.
Anmerkungen
Alle Zitate sind der von Eich Kästner veröffentlichen Fassung „Notabene 45“ entnommen, erschienen 1961 im Atrium Verlag, Zürich.
Zum Vergleich lag das Original-Tagebuch „Das Blaue Buch. Kriegstagebuch und Roman-Notizen“ vor. Reihe „marbachermagazin“ (111/112), / 2. durchgesehene Auflage 2007.
1 Eberhard Schmidt, UFA-Produktionsleiter
2 DKW 2-Sitzer, Karosserie aus Holz gefertigt
3 Die Nachbargemeinde von Olching heißt Puchheim
4 Werner Buhre, Dresdner Schulfreund Kästners und Autor
5 Bob Kennedy, Presseoffizier bei der US-Army. In München traf Kästner auch den Schriftsteller Peter de Mendelssohn wieder, nun als brit. Presseoffizier. Auf beide bezieht sich Kästner in seinem Schreiben an den Landrat des Kreises Miesbach vom 12. Juli 1945, in dem er um die „vorläufige Aufenthaltsgenehmigung für Schliersee“ bittet.
6 Erich Kästner und Luiselotte Enderle (UFA-Dramaturgin)
Mehr zum Thema