Erfahrungen einer Hamburger Notfallambulanz

Überfüllte Kliniken, überlastete Ärzte

Notaufnahme-Schild
Notaufnahme-Schild in einem Krankenhaus © picture alliance/dpa/Foto: Marijan Murat
Von Axel Schröder  · 15.01.2018
Die Notaufnahmen der Krankenhäuser sind überfüllt. Aber das heißt nicht, dass die Patienten kränker werden oder die Arztpraxen schlechter. Ein Krankenhaus mit vielen Spezialärzten verströme Geborgenheit und Sicherheit, sagte der Mediziner Martin Scherer. Und das suchen die Patienten.
Das Wartezimmer ist voll, die Arzthelferinnen in der Notaufnahme der Asklepios-Klinik in Hamburg-Harburg haben gut zu tun. Gerade humpelt ein junger Mann auf Krücken in Richtung Anmeldetresen und legt seine Versichertenkarte vor. Dr. Sara Sheikhzadeh leitet die Notaufnahme. Sie weiß, dass nicht alle der Wartenden wirklich dringend behandelt werden müssen.
"Im niedrig-dringlichen Sektor, das heißt, Patienten, die Husten, Schnupfen, Heiserkeit haben, Rückenschmerzen, ist es schon so, dass gerade an den Wochenenden der Zulauf der Patienten deutlich ansteigt. Es gibt auch eine Studie, die gezeigt hat, dass Patienten mit niedrig-dringlichen, nicht-dringlichen Erkrankungen häufiger kommen."
Und genau daran stößt sich die Interessenvertretung der niedergelassenen Ärzte, die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg. Die Husten-, Schnupfen- und Heiserkeitspatienten gehören, erklärt deren Vorstandschef Walter Plassmann, in die Praxen von niedergelassenen Allgemeinmedizinern und Fachärzten:
"Wir bestreiten ja nicht, dass ein Teil der Behandlungen notwendig sind und da richtig sind. Wir sagen: 30 Prozent gehören da wahrscheinlich nicht hin. So dass man sagen kann: 30 Prozent des Geldes, dass wir im Moment für die Notfallbehandlungen in Krankenhäusern zahlen, könnte auch im niedergelassenen Bereich abgedeckt werden und dann auch da als Honorar anfallen."

Eine Notfallpraxis neben der Notaufnahme

Es geht ums Geld. Um 35 Euro pro Patient. Plus die Kosten für zusätzliche Untersuchungen. Aber wie viele Patienten ohne dringenden Behandlungsbedarf sitzen in den Notaufnahmen der Krankenhäuser?
"In den letzten fünf Jahren gibt es da Berichte - ich sage das bewusst sehr vorsichtig -, dass die Inanspruchnahmezahlen steigen. Sie steigen nicht in jeder Klinik gleichermaßen. Da gibt es Unterschiede. Aber die Belastung der Notaufnahmen sind hoch!"
Martin Scherer ist Professor am Institut, an der Poliklinik für Allgemeinmedizin des Hamburger Uni-Klinikums. Im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung hat er fünf Kliniken in Hamburg und Schleswig-Holstein und deren überfüllte Notaufnahmen untersucht. 1299 Patienten befragte Scherers Team nach den Gründen, warum sie in die Notaufnahme gekommen sind. Das Ergebnis der Umfrage fasst der Professor so zusammen:
"Ein Krankenhaus verströmt Geborgenheit und Sicherheit. Und je nachdem, wie ausgeprägt die subjektive Dringlichkeit der Erkrankung ist, desto mehr wünschen sich Patientinnen und Patienten dann in einem Haus behandelt zu werden, in dem für jede denkbare Fachrichtung auch rund um die Uhr ein Facharzt, eine Fachärztin vorgehalten wird."

Die "Full-Service-Agentur"

Das Krankenhaus als "Full-Service-Agentur", in der es "alles aus einer Hand" gibt: dort stehen Mediziner aller Fachrichtungen bereit. Und können auf Labore, Röntgenapparate und wenn es sein muss, auch Kernspintomographen zurückgreifen. Denn wer weiß schon, was hinter einer ganz banalen Erkrankung, hinter Kopfschmerz, Durchfall oder Halsschmerzen wirklich steckt?
"Der banale Fall ist erst dann banal, wenn ich es wirklich weiß."
Und genau das betont auch Sara Sheikhzadeh, die Leiterin der Notaufnahme im Asklepios-Klinikum Hamburg-Harburg.
"Jeder Patient muss einmal angeschaut werden, jeder Patient braucht eine Anamnese. Und je jünger und unerfahrener der Arzt ist, der diese Patienten behandelt, auch niedrig-dringliche behandelt, desto länger dauert es. Ein erfahrener Arzt kann mit einem Husten, Schnupfen sehr gut umgehen. Der guckt, der kann dann auch differenzieren, ob der Husten, Schnupfen doch eine Pneumonie, ja oder nein. Das geht relativ rasch, der Aufwand ist nicht so groß."
…am Ende, erklärt Sara Sheikhzadeh, seien die manchmal übervollen Notaufnahmen aber kein besonders profitabler Bereich für das Klinikum in Hamburg-Harburg. Die Lösung für das Problem wird seit letzten Herbst genau hier erprobt: vis-à-vis der Notaufnahme hat die Kassenärztliche Vereinigung eine Praxis eröffnet, auf dem Klinikgelände. Von etwa 120 Patienten schickt das Team von Sara Sheikhzadeh jeden Tag zwischen 20 und 30 rüber in die Notfall-Praxis. Zum Beispiel Valerian Börner, der am Anmeldetresen der Notfallpraxis steht.

Kopfschmerzen und ein Drücken im Augenbereich

"Ich habe Kopfschmerzen. Im Augenbereich, Stirnbereich. So ein Drücken, so benebelt."
Immer mal wieder habe er diese Beschwerden, erklärt er. – Nach der Untersuchung erklärt Dr. Nursen Kurt, wie die Notfallpraxis funktioniert:
"Wenn die Hausärzte geschlossen haben, dann öffnen wir quasi. Am Freitag öffnen wir schon einen Ticken früher. Und auch am Mittwoch, wo viele Hausärzte mittags geschlossen haben. Und am Wochenende haben wir den ganzen Tag geöffnet. Also bis null Uhr."
Die Nähe zum AK Harburg ist für Nursen Kurts Praxis ein großer Vorteil: die Hälfte ihrer Patienten wird von den Krankenhausärzten nach einem kurzen Check zu ihr geschickt, die andere Hälfte kommt direkt in ihre Praxis. Und wenn sie doch aufwendigere Diagnose-Geräte braucht, kann die Ärztin die Menschen dafür ins Krankenhaus schicken.
"So finde ich das eigentlich, wenn man das von dem Patienten aus sieht, ziemlich klasse. Und für die Ärzte im Krankenhaus ist das sicherlich eine enorme Entlastung."
Ihre Kollegin nebenan, Dr. Sara Sheikhzadeh, pflichtet ihr bei. Kurz und knapp:
"Wir freuen uns, wenn die KV da ist und uns bei den niedrig-dringlichen da unterstützen kann. Nicht: abnimmt, sondern: unterstützen kann."
Ein bisschen unterkühlt ist das Verhältnis in Hamburg-Harburg noch immer. Die Notfallpraxis der Kassenärzte und die Notaufnahme der Klinik, 20 Meter voneinander entfernt, behalten sich etwas misstrauisch im Blick.
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