"Er würde dem Land gut tun"

Navid Kermani im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 30.06.2010
Der Islamwissenschaftler Navid Kermani sitzt bei der Wahl des Staatsoberhauptes für die Grünen in der Bundesversammlung - und lobt den Kandidaten Joachim Gauck.
Jörg Degenhardt: Jetzt Fragen an den Islamwissenschaftler und Schriftsteller Navid Kermani. Sein bekanntestes Buch, das kennen Sie vielleicht, "Der Schrecken Gottes". Herr Kermani ist als Wahlmann für die Grünen bei der Bundesversammlung mit dabei, und ich hoffe, Herr Kermani, Sie hören uns jetzt.

Navid Kermani: Ja, ich höre Sie. Guten Tag!

Degenhardt: Herr Kermani, Ihr Kandidat, Herr Gauck, der dürfte ja heute – wir haben schon drüber gesprochen - eher Außenseiterchancen haben. Wie sehr betrübt Sie das?

Kermani: Das finde ich schon bedauerlich, weil ich wirklich von Herzen glaube, dass Joachim Gauck ein idealer Bundespräsident wäre, deshalb bin ich ja auch hier. Und wenn so ein Kandidat dann nicht gewählt wird, ich glaube, er würde dem Land gut tun, aber nun gehört das zu den demokratischen Spielregeln, dass man bei Wahlen auch verlieren kann.

Degenhardt: Und warum wäre er ein idealer Kandidat? Ich könnte jetzt mal ketzerisch sagen, ich habe von Herrn Gauck relativ wenig gehört, zum Beispiel zum Krieg in Afghanistan oder auch zu Fragen der Finanz- und Wirtschaftskrise.

Kermani: Joachim Gauck steht für die Wertschätzung des Gemeinwesens, das wir haben, für die Freiheit und dafür, dass für diese Freiheit auch gekämpft, für die Freiheit auch gestritten wird. Die Generation, der ich in Westdeutschland angehöre, also 67 geboren, 70er-Jahre, 80ern aufgewachsen, wir haben ja keine aktive, keine eigene Erinnerung mehr daran, was eigentlich unfrei bedeutet, was es bedeutet, wenn Schriftsteller ihre Bücher nicht publizieren dürfen, wenn Studenten in den Hörsälen nicht sagen dürfen, was Sie wollen, wenn in den Klassen Geheimdienstmitarbeiter oder Agenten sitzen oder die Lehrer Geheimdienstagenten sind - also all das kennt meine Generation in Westdeutschland nicht.

Ich kenne es durch meinen Bezug zu Iran, und ich weiß, dass das, was wir heute haben, auch die Wahl heute, dass das nichts Selbstverständliches ist, dass wir das wertschätzen müssen, dass wir es vor allem auch mit Blick darauf, dass so etwas ja niemals sicher ist, auch immer wieder verteidigt und neu erkämpft werden muss.

Und Joachim Gauck steht für diese fundamentale Erfahrung, für diesen fundamentalen Kampf für Demokratie, und er ist einfach auch durch seine Biografie – das stellt für mich jedenfalls alles in den Schatten, was anders, was einige westdeutsche politische oder andere Biografien so zu bieten haben. Ich habe ihn schon während des Aufbruchs in der DDR schon verfolgt und bewundert, und dass so jemand 20 Jahre nach der Einheit dann die Chance hätte, Bundespräsident zu werden, das wäre wirklich eine, ja, das wäre einfach so großartig.

Degenhardt: Sie haben es anklingen lassen, Herr Kermani, Freiheit, das ist ein elementarer Grundbegriff im politischen Wirken von Joachim Gauck. Ist Freiheit wichtiger als Gerechtigkeit?

Kermani: Ich denke, beides gehört zusammen, aber da ist Joachim Gauck durchaus auch gerade durch seine theologische Grundierung ist er niemand, der dem Begriff der Gerechtigkeit entgegenstehen würde, ich glaube, die beiden bedingen sich. Aber Freiheit, und dafür steht er eben auch, Freiheit bedeutet auch Verantwortung.

Freiheit bedeutet nicht, alles einfach zu tun, zu tun zu können, was man gerade möchte, sondern Freiheit bedeutet, dass man damit umgeht. Und das leitet er her aus seinem christlichen Weltbild, aus seiner theologischen Ausbildung und seinem theologischen Amt – das kann man auch anders säkular herleiten.

Aber er tut es auf eine Weise überzeugend, dass gerade auch für jüngere Generationen und auch für die Generation der aktiven Politiker, die ja auch keine eigene Erinnerung mehr an Krieg haben, auch keine eigene Erinnerung mehr an die 50er-Jahre, die ja auch noch relativ dumpf waren, wäre das eine große Bereichung, wenn er ...

Degenhardt: Ganz kurz noch: Wenn es dann doch Christian Wulff wird, Herr Kermani, was von den Eigenschaften eines Joachim Gauck sollte er dann übernehmen?

Kermani: Er sollte genauso überparteilich sein wie Joachim Gauck. Er sollte versuchen, so echt und so natürlich zu sein, wie er kann, und sollte natürlich Bundespräsident aller Bürger, ob nun mit deutscher oder nicht deutscher Herkunft sein. Aber das traue ich ihm auch durchaus zu.