"Er war wie mein Spiegel"

Lola Dueñas im Gespräch mit Holger Hettinger · 08.08.2010
In dem Film "Me too" verliebt sich der Hauptdarsteller mit Downsyndrom in seine 'normale' Kollegin. Eigentlich sei die von ihr dargestellte Laura, die jede Normalität scheut, 'behindert', sagt Lola Dueñas.
Matthias Hanselmann: Lola Dueñas spielt die weibliche Hauptrolle in "Me too". Sie wurde 1971 in Barcelona geboren, hat am Institut del Teatre de Barcelona studiert und in vielen Filmen mitgespielt - drei in der Regie von Pedro Almodóvar sind dabei: Mein Kollege Holger Hettinger hatte vor drei Tagen Gelegenheit mit dem Star zu sprechen. Er wollte zunächst wissen, wie denn ihre erste Begegnung war mit Pablo Pineda,dem männlichen Hauptdarsteller, der als erster Europäer mit Downsyndrom ein Hochschuldiplom gemacht hat.

Lola Dueñas: Das erste Zusammentreffen war sehr speziell. Die Regisseure baten uns, dass wir uns gegenübersitzen, so ungefähr wie jetzt hier im Studio, und dass wir uns angucken und dass wir nicht reden. Er sah mich sehr, sehr intensiv an. Also es war so, dass ich dann weinen musste. Und dann wiederum ging es so nach innen, dass ich lachen musste, und dann lachte er auch. Also, er war wie mein Spiegel.

Holger Hettinger: Das klingt erstaunlich und, ja, lässt ja auch eine sehr intensive Zusammenarbeit vermuten, die man dann auch auf der Leinwand sieht. Aber dennoch, so dieses Miteinander-Spielen, das bedeutet ja auch, man muss füreinander so was wie schauspielerische Normalität entwickeln, man muss sich auch aneinander aussetzen. Wie haben Sie das gemacht?

Dueñas: Das war keine normale Arbeit, das war ja auch kein normaler Film. Nicht weil er das Downsyndrom hat, sondern weil er kein Schauspieler war. Und das war von Anfang an eine ganz besondere Beziehung. Ich hab gearbeitet als Schauspielerin, aber ich habe gemerkt, ich war abhängig von ihm, ich habe mich sozusagen auf ihn eingestellt, und das war für mich als Schauspielerin sehr gut.

Hettinger: Pablo Pineda hat in einem Interview gesagt, dass er fast darüber erschrocken gewesen sei, wie sehr Sie in dieser Rolle der Laura aufgegangen sind. War es eine normale Herangehensweise jetzt an die filmischen Herausforderungen, die ihn so verwunderte, oder – Sie haben es ja eben angedeutet – mussten Sie da noch ganz andere Tasten in sich selbst suchen?

Dueñas: Ich arbeite immer so. Ich bin verrückt! Ich bin verrückt in meiner Arbeit, weil sie gefällt mir sehr. Und ich lass mich auch immer in die Rollen richtig tief reinfallen, und das kann schon sein, dass Pablo darüber sehr erschrocken war.

Hettinger: Der Film lässt offen, ob dieses ungleiche Paar, ob Daniel und Laura es überhaupt ertragen können als derart, ja, widersprüchliche und unähnliche Personen auf Misstrauen und Unverständnis zu stoßen. Wie ist Ihre Prognose?

Dueñas: Die müssen gar nicht zusammenbleiben, das muss in dem Film gar nicht sein. Was sie müssen, ist, sich gegenseitig retten, weil jeder ist auf seine Art unfähig zu lieben, und sie lernen in dem Film zu lieben. Und wenn sie das geschafft haben, dann können sie sich auch trennen.

Hettinger: Interessant, was Sie da sagen, denn ich hab mich gefragt, wer von den beiden ist denn der stärker Getriebene – Daniel, der sich sehnlich normale Erfahrungen wünscht, oder Laura, die ihre Normalität letztlich nicht aushält und in Clubs dann die Nächte durchfeiert, um dann ihr Familienschicksal zu vergessen.

Dueñas: Als die Behinderung zum Thema stand, dann haben wir sozusagen überlegt, wer ist eigentlich behindert. Im ersten Moment, auf den ersten Blick ist es natürlich er, aber wenn man wirklich in die Tiefe schaut, in die Lebensmöglichkeit und Lebensstärke, dann ist es eigentlich Laura, die behindert ist.

Hettinger: Pablo Pineda hat gesagt, er hat im Lauf der Dreharbeiten von der Figur, die er da verkörpert auf der Leinwand, einiges gelernt, also dass es gut ist, Initiative zu ergreifen, dass es was bringt, Entscheidungskraft an den Tag zu legen, Verwegenheit – was haben Sie gelernt?

Dueñas: Ich habe sehr großes Glück gehabt mit dieser Rolle, und ich habe meistens, wenn ich in den Rollen arbeite, immer jemanden, der mir hilft. Und in dem Fall war es eine Chica, die Esther, ein Mädchen, die mir geholfen hat, und sie ist eine sozusagen traurige Gestalt aus der Geschichte der Laura. Sie ist vergewaltigt worden in der Jugend, sie hat eine sehr, sehr schwere Zeit hinter sich gehabt. Und sie hat mir dann geholfen. Sie ist jeden Freitag zu mir nach Hause gekommen und hat mir von ihrem Schicksal erzählt. Sie hat erzählt und ich hab aufgeschrieben. Und sie hat mir mit dieser Schilderung sehr geholfen, weil ich hab mir das dann in Ruhe angehört und konnte mich dann in aller Ruhe in diese Rolle reinversetzen. Und sie ist für mich eine Heldin, dass sie so etwas überlebt hat.

Hettinger: Sie haben also gerade, wenn man Filme hat, die ein, ja, ich sag mal so ein menschlichen Anliegen haben, da hat man natürlich auch eine gewisse Erwartung, dass sich was ändert, dass die Leute reingehen, nachdenken, ihr Verhalten ändern – oft ist diese Erwartungshaltung eine Illusion. Was glauben Sie, was wird der Film bewirken?

Dueñas: Ojalá! Also wäre es doch so, dass der Film etwas ändern würde. Als wir so mittendrin waren und langsam zum Ende kamen, dachte ich, was ich möchte von diesem Film, dass eine Frau aus dem Kino rausgeht und sich in Pablo verliebt. Damit wäre ich sehr glücklich. Das wäre wirklich etwas, was wunderbar wäre. Sein Wunsch ist ja, dass er Lehrer wird, aber sie lassen ihn nicht. Wenn ich Kinder hätte, ich würde sie zu ihm in die Schule schicken. Pablo ist ganz sicher ein wunderbarer Lehrer. Er möchte Lehrer sein für kleine Kinder, aber sie lassen ihn nicht – und das ist ein Problem. Und wenn das geändert würde davon, wenn jemand seine Kinder, seine kleinen Kinder zu ihm schicken würde wollen, das wäre ein Erfolg.

Hettinger: Ich bin selber kein Schauspieler und kann das nicht so richtig nachvollziehen, aber ich stelle mir vor, dass wenn man so eine intensive Erfahrung macht mit so einem wundervollen, mit so einem außergewöhnlichen Menschen, das wirkt ja auch in irgendeiner Weise auf einen. Was haben Sie mitgenommen aus dieser Begegnung?

Dueñas: Wie ich schon gesagt habe, ich hatte Glück und auch der Film ist Glück, und ich glaube, wenn man jemanden im Leben trifft, dann merkt man manchmal erst später, was man davon mitgenommen hat. Eines Tages werde ich merken, was ich an ihm hatte. Und das, was ich gesehen habe, vielleicht das Wichtigste, ist, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Pablo und mir.
Der spanische Schauspieler Pablo Pineda wird bei den 57. Filmfestspielen in San Sebastian mit der Silbernen Muschel als bester Darsteller ausgezeichnet.
Pablo Pineda wurde bei den 57. Filmfestspielen in San Sebastian mit der Silbernen Muschel als bester Darsteller geehrt.© AP
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