"Er war ein sehr, sehr guter Prinzipal"

Moderation: Joachim Scholl · 22.03.2010
Im Umgang mit dem Werk seines Großvaters sei Wolfgang Wagner sehr konservativ gewesen, sagt der Regisseur Jürgen Flimm. Andererseits habe er aber auch den Mut gehabt, junge risikofreudige Regisseure zu Inszenierungen einzuladen. "Er war ein großer Impressario", urteilt Flimm.
Joachim Scholl: Wolfgang Wagner, der Patriarch von Bayreuth, der Prinzipal, der Enkel von Richard Wagner – über ein halbes Jahrhundert hat er die Geschicke der Bayreuther Festspiele geleitet. Gestern ist Wolfgang Wagner im Alter von 90 Jahren gestorben, und wir wollen an ihn erinnern. Sein Wesen, sein Temperament, seine Leistungen für die Festspiele und für die Tradition dieser geistig so einflussreichen Familie. Damit willkommen zum "Radiofeuilleton" am Nachmittag hier im Deutschlandradio Kultur. Am Mikrofon sind Joachim Scholl und Martin Riesel. Und am Telefon begrüße ich nun den Regisseur Jürgen Flimm. Guten Tag, Herr Flimm!

Jürgen Flimm: Ja, guten Tag, Herr Scholl!

Scholl: Sie haben im Jahr 2000 den "Ring des Nibelungen" in Bayreuth inszeniert, die Inszenierung war bis 2004 zu sehen. Wie haben Sie den Herbergsvater Wolfgang Wagner erlebt, wie ist er Ihnen begegnet?

Flimm: Ja, er war ein sehr knurriger Mann. Er war nicht wirklich charmant oder so, wie manchmal gesagt wird. Die Arbeit war sehr schwierig mit ihm. Er hatte natürlich seinen eigenen Kopf auf und auch seine Wünsche an eine Aufführung – das ist natürlich beim "Ring" ein bisschen schwierig, weil das Ding so lang ist, vier Stücke sind es, hintereinander – und das war nicht immer lustig. Er war aber dann wieder sehr fröhlich und konnte unglaubliche Schnurren erzählen von früher und von seinem Bruder und alles, aber die Arbeit war nicht einfach mit ihm.

Scholl: Ich wollte Sie nach der Arbeitsatmosphäre fragen, also völlig freie Hand hatten Sie nicht. Es wird ja auch kolportiert, wie Wolfgang Wagner gemeinsam mit seiner Frau Gudrun bei den Proben so im Zuschauerraum saß und mit seiner Meinung keineswegs hinter dem Berg gehalten hat.

Flimm: Doch, das hat er. Er hat mit seiner Meinung – das war das Unangenehme – er hat mit seiner Meinung hinter dem Berg gehalten. Es gab im Vorfeld große Diskussionen, aber während der Arbeit, wo eigentlich man irgendjemand fragen möchte, wie findest du das, ist das denn richtig oder so, da saß er immer mit Gudrun im Zuschauerraum während der Proben, und bevor der letzte Ton verklungen ist, war er schon wie Schmitzkatze aus dem Zuschauerraum raus. Das war etwas schwierig. Aber er war ein ganz großer Impressario, das ist überhaupt keine Frage.

Scholl: Über was haben Sie sich denn dann so auch inhaltlich gestritten? Also was waren denn so seine Vorstellungen, die von Ihren verschieden waren?

Flimm: Ja, er war, wie man eben schon in dem Dokument hörte, natürlich sehr konservativ im Umgang mit dem Werk des Großvaters, und einer seiner Sätze, die sich immer wiederholten, war: Nein, das hat mein Großvater so nicht gewollt und das hat er so nicht gemeint. Und da musste man ihm dann mühsam klarmachen und sagen, das war damals und das war heute. Im Übrigen hat Ihr Großvater auch gesagt, man muss die Sache immer wieder neu von vorne beginnen und man muss immer wieder neu denken, und die Zeiten sind jetzt alle ein bisschen anders als in den Fifties oder in den Sixties, man arbeitet das anders.

Dennoch ist das Tolle an ihm gewesen, dass er sich diese jüngeren Regisseure eingeladen hat und dass die was völlig anderes machten, als er sich je hat vorstellen können, und er hat sie dann eingeladen. Also er hat den Chéreau eingeladen, er hat ja diese ganzen Leute an sein Haus geholt. Das war schon toll.

Scholl: Das ist da das eigentlich Interessante und auch bisschen Paradoxe, also er selbst wurde in seinen Inszenierungen eher so herablassend als Traditionalist gewertet, mit wenig ästhetischem Mut in seinen Inszenierungen.

Flimm: Das war auch so.

Scholl: Und dann hat er aber Leute geholt wie Patrice Chéreau, Heiner Müller, Sie Jürgen Flimm, oder dann eben auch Christoph Schlingensief. Wie erklären Sie sich eigentlich so diesen Widerspruch? Es hat ihm ja nicht gefallen können, was er dann auf der Bühne sah, nach seinen Vorstellungen, oder?

Flimm: Einmal muss man sagen, andere waren noch nicht da, also das muss man auch mal sagen. Er hat aber damals schon den jungen Götz Friedrich gehabt, der da für Aufruhr gesorgt hat, oder Harry Kupfer, das waren auch nicht so pflegeleichte Leute. Das hat er immer gemacht. Also ich weiß nicht, was das war. Vielleicht hat er gehofft, dass er irgendwie mit den modernen Jungs und den alten Stoffen irgendetwas zusammenbringen konnte. Er hatte immer so eine Sehnsucht nach was anderem, konnte das aber nicht genau formulieren. Er hat natürlich seinen Laden total in Schuss gehabt, muss man sagen, er war irgendwie ein sehr, sehr guter Prinzipal.

Scholl: Und er hat auch den Regisseuren durchaus die Stange gehalten. Ich meine, nach den ...

Flimm: Danach, danach, ja.

Scholl: ... nach den Aufführungen hat es ja dann doch oft auch Kritik gehagelt, gerade von der Seite der konservativen Wagnerianer, und da hat er sich eigentlich immer schützend vor sie gestellt, oder?

Flimm: Ja, manchmal hat er auch einfach nichts gesagt. Also das war … auch dort differenziert zu sehen. Bei Chéreau hat er davorgestanden, nicht wahr, das hat er mir erzählt, dass die französischen Wagnerianer ihm Geld angeboten haben, um eine neue Produktion vom "Ring" zu finanzieren, weil die Franzosen haben sich geschämt für Chéreau, und das hat er natürlich dann nicht gemacht. Da hat er gesagt, das geht nicht, man kann in Bayreuth keine Ästhetik kaufen.

Scholl: Und heute gilt gerade jener "Ring" von Patrice Chéreau immer noch als der Jahrhundertring, also man verklärt das natürlich in der Rückschau.

Flimm: Ist auch okay.

Scholl: Herr Flimm, ich meine, Beobachter haben immer so auch diese sozusagen volkstümliche Wirkung geschätzt, dass also Wolfgang Wagner mit dem Bühnenarbeiter genauso jovial und vertraut umgegangen ist wie mit den Künstlern, und manche sagen, dass dieser Stil viel dazu beigetragen hätte, Bayreuth auch am Laufen zu halten. Wie ist Ihr Eindruck oder wie war Ihr Eindruck?

Flimm: Ja, das war wohl früher so. Also zu meiner Zeit war das schon nicht mehr so, da war das Verhältnis zu den Künstlern nicht so einfach. Früher war das ganz stark so, also in den allerersten Phasen sozusagen – das hat mir der Everding noch genau erzählt –, war das wohl ein sehr lustiger Haufen, der da immer anreiste im Sommer und dann Bayreuth unsicher gemacht hat. Das war wohl sehr schön.

Das hat sich dann später geändert. Das ist immer ein bisserl starrer geworden, und ich habe das immer mit so einer Wagenburg verglichen. Die haben sich sehr eingeigelt und haben irgendwie versucht, den Zeitgeist draußen zu halten, was ihnen natürlich nicht gelungen ist, weil der geht ja durch alle Ritzen. Aber ja, ich habe das erlebt in so einem Umbruch, in einer Umbruchphase muss man sagen.

Scholl: Ich meine, Sie haben 2004 dann die Festspiele doch recht scharf kritisiert und von einem sehr egozentrischen Betrieb gesprochen. Wird denn nun, was glauben Sie, mit den Töchtern ein wirklicher Epochenwechsel stattfinden?

Flimm: Ja, ganz sicher. Die Eva ist eine sehr kundige Frau, die weiß genau, wie heute produziert wird. Die hat in der ganzen Welt gelebt, die hat in Paris gearbeitet, jetzt zuletzt in Aix-en-Provence gearbeitet. Das ist wirklich eine hochklassige Managerin. Und die Katharina ist ja jung und ungestüm, und die geht immer nach vorne. Ich glaube, dass das schon eine große Veränderung ist. Und der Alte hat ja noch eine Tat getan, dass er sozusagen zugunsten dieser beiden Töchter zurückgetreten ist. Das war noch einmal eine große Geste von ihm.

Scholl: Was wird Ihnen von Wolfgang Wagner am stärksten im Gedächtnis bleiben, Jürgen Flimm?

Flimm: Na, so kleine Geschichten halt. Ich hatte einen Streit mit ihm, und dann bin ich mal weggefahren, ich musste nach Hamburg, und mein Auto stand unter einem Baum, einer Linde, glaube ich, im Hof. Und ich habe dann ein bisschen verzweifelt geguckt, weil das Auto ganz verklebt war. Und dann kam er an, und zum ersten Mal redete er nach Wochen eigentlich wieder mit mir, und dann kam er an und sagt: Solch ich das Auto wegfahren lassen, da wo's nicht so, hm, Herr Flimm? Und da war ich ganz gerührt, da habe ich gesagt: Na, lassen Sie es da stehen, jetzt ist es eh schon verklebt. Ja, ich kann mich aber drum kümmern, ich werde das machen. Hat er auch gemacht.

Scholl: Na, sehen Sie.

Flimm: Und da war er wieder da. Über so eine blöde Geschichte haben wir uns dann wieder verstanden und wieder vertragen.

Scholl: Ich danke Ihnen. Jürgen Flimm war das. Der Regisseur hat 2000 den "Ring des Nibelungen" inszeniert. Ihnen alles Gute, Herr Flimm!

Flimm: Ja, danke schön, Herr Scholl, tschüss!