"Er kennt die Welt nicht mehr"

Hans Petter Moland im Gespräch mit Alexandra Mangel · 05.12.2010
Ein verurteilter Mörder wird nach langen Jahren aus dem Gefängnis entlassen und muss sein Leben komplett neu sortieren. Was dabei so alles passieren kann, erzählt Hans Petter Moland in seiner Komödie "Ein Mann von Welt".
Alexandra Mangel: Gleich zu Beginn Ihres Films steht der Wärter mit dem gefangenen Ulrik am Gefängnistor und mahnt ihn ganz eindringlich, bevor er ihn in die Freiheit entlässt, dass er vorwärts schauen soll, nicht zurück. Und sofort steht vor uns diese klassische Figur des Kinos: der Mann, der aus dem Gefängnis kommt und den seine gewalttätige Vergangenheit einholt. Was hat Sie an dieser Figur gereizt?

Hans Petter Moland: Nun, das ist ein sehr guter Ausgangspunkt für eine Komödie. Hier wird jemand aus dem Gefängnis rausgejagt – normalerweise jagt man ja einen Täter ins Gefängnis hinein. Und er ist ein bisschen naiv und er kennt die Welt nicht mehr, weil er ist ja in den 90er-Jahren ins Gefängnis gekommen und er trägt auch immer noch seine alten Klamotten, die er damals in den 90ern anhatte.

Mangel: Man kann einen solchen Helden ja in eine brutale Gangstergeschichte verwickeln, man kann Klamauk draus machen – die "Olsenbande" wäre ein gutes skandinavisches Beispiel dafür. Sie machen aus ihm einen Gangster mit goldenem Herzen, einen anständigen Menschen, der sich ändern will, der wieder ein ganz normales Leben führen will und der es schwer hat, das zu erreichen, das auch seiner Umgebung gegenüber durchzusetzen. Wie macht man aus einem Mörder einen Sympathieträger?

Moland: Nun, das ist einfach ein Mann, der einfach eine schlechte Berufswahl getroffen hat, aber er ist jetzt an einem Punkt in seinem Leben, wo das Herz da einfach nicht mehr mit dabei ist, wo er das einfach nicht mehr machen möchte. Aber er hat keine Rentenpläne, er hat auch überhaupt keine Pläne für die Zukunft. In dieser Art ähnelt er vielleicht auch anderen gleichaltrigen Menschen in seiner Generation, weil man sich ja an dem Punkt seines Lebens immer fragt: Was ist das Leben und was habe ich aus meinem Leben gemacht? Und es ist auch so, dass er ja nun kein Massenmörder ist – er tötet nicht jeden Tag, er tötet nicht aus Freude, er ist kein Psychopath –, er ist irgendwie da hineingefallen in seinem früheren Leben, in diese Rolle. Und jetzt stellt er sich die Frage: Was mache ich mit dem Rest meines Lebens?

Mangel: Ohne den besonderen Humor dieses Films würde das alles ja gar nicht funktionieren, das ist ein ganz trockener Humor – man lacht, obwohl es eigentlich so traurig ist, eine Lakonie, eine Langsamkeit, die einen auch an Kaurismäki erinnert. Ist das ein sehr skandinavischer Humor, etwa wenn der Chef der Autowerkstatt mit Herzflimmern auf dem Boden seiner Garage liegt und seine Mitarbeiter stehen ratlos um ihn rum und er erklärt ihnen von unten, dass sie nun dafür zu sorgen haben, dass die Leute ihre Sommerreifen kriegen, um ins Gartencenter fahren zu können. Und das ist auf so eine Art böse – muss guter Humor auch böse sein?

Moland: Nein, so weit würde ich nicht gehen, ich würde nicht sagen, dass Humor böse sein muss, um gut zu sein, und ich würde auch in diesem Fall sagen, das ist kein böser Humor, er ist nur sehr absurd. Das ist schon so eine Obsession von dem Besitzer dieser Autowerkstatt, dass er diese Treue zu den Kunden weiter behält, dass dieses Credo, was er hat, dieses Lebenscredo, das behält er bei. Für ihn ist es einfach wichtig, dass über das Jahr hinaus die Kunden gut mit Reifen versorgt werden. Und dabei ist er total todernst, und das ist genau das Absurde, weil er sich ja vielleicht in seiner Situation ein bisschen um andere Dinge kümmern sollte, zum Beispiel um seine Gesundheit. Aber nein, er philosophiert über die Aufgabe der Autowerkstatt. Er hat eben eine Funktion, er füllt eine Rolle aus.

Mangel: Kann man sagen, dass Sie Humor nie nutzen, um sich über jemanden lustig zu machen, sondern eigentlich um das Wesen Ihrer Figuren ausdrücken zu können, was sonst, wenn man das ohne Humor machen würde, furchtbar kitschig wäre?

Moland: Ulrik ist eben eine Figur, die eine gewisse Hoffnungslosigkeit in sich trägt, aber da setze ich jetzt keine Geigen ein, um das irgendwie zu verdeutlichen. Ulrik hat Probleme, und diese Probleme sind auch etwas, was uns interessiert als Zuschauer, und man fragt sich immer, was geschieht ihm jetzt als Nächstes. Aber das ist in keinster Weise böse, sondern sind wir doch mal ehrlich: Wir Menschen, wir sind albern, wir sind irrational, wir machen dummes Zeug und trotzdem ist es besser, das nicht auf eine sarkastische Art und Weise zu zeigen. Und ich glaube, in dem Moment, wo man zeigt, wie lächerlich und wie dumm wir Menschen sein können, zeigt man auch, wie menschlich wir sind. Wenn man keine Empathie zu seinen Figuren hat, in dem Moment wird man böse.

Mangel: Wir sprechen im "Radiofeuilleton" mit dem norwegischen Regisseur Hans Petter Moland über seinen Film "Ein Mann von Welt", und über den kann man nicht sprechen, ohne auf Ihren großartigen Hauptdarsteller zu kommen, der Schwede Stellan Skarsgård, der ja längst ein internationaler Star ist. Und man spürt hier, dass seine Körpersprache, seine Mimik mit Ihrer Sprache, mit der Sprache Ihres Films wirklich eins ist, dass die Chemie einfach stimmt. Wie funktioniert diese Zusammenarbeit?

Moland: Nun, wir arbeiten auf eine Art und Weise zusammen, ohne allzu viel Kraft zu verschwenden, so könnte man das vielleicht sagen. Es ist unser dritter Film, und ich bin mit Ihnen einverstanden, er ist ein großer Schauspieler, einer der größten Schauspieler überhaupt unserer Zeit, und ich hab schon mit einigen großen Schauspielern gearbeitet, also ich kann das wirklich sagen. Was ihn ausmacht, ist, er ist unglaublich großzügig. Und wir beide, wenn wir zusammenarbeiten, wir müssen nicht viel nachdenken, wir tun es einfach, wir wollen einfach diese Figur ergründen, die wir uns da zusammen ausgedacht haben. Was uns vielleicht auszeichnet, ist, dass wir in dem Moment, wo wir zusammenarbeiten, einfach vergessen, wie gefährlich und wie risikoreich es ist, letztendlich Filme zu machen. Es ist so, dass wir beim Drehen auch so ein bisschen den Plan vergessen, den wir mal hatten. Es ist nicht so, dass ich nicht vorher plane, ganz im Gegenteil, aber weil ich so genau vorher geplant habe, kann ich mich dann auch wieder befreien und kann beim Regieführen auch neue Details anbringen, kann eine neue Qualität mit hineinbringen.

Und es ist genauso diese Dialektik, die ich da mit Stellan habe: Ich hab eine Meinung, er hat eine andere Meinung, dann kommen wir vielleicht darüber hinaus zu einer dritten Meinung, und es ist ein unglaublich lebendiger Prozess. Und ich glaube einfach, Filmemachen hat was mit einem Prozess zu tun. Bei Stellan ist das einfach so, dass wenn ich ihm zuschaue, wie er einen Take dreht, wie er eine Szene dreht, dass mich das total fasziniert und dass ich dann oft auch Dinge sehe, die ich bei ihm noch nicht gesehen habe. Aber gleichzeitig, weil ich so begeistert bin, habe ich eine neue Idee und denke mir, wenn wir schon so weit gekommen sind, dann lass uns doch noch mal was anderes ausprobieren. Und dann komme ich zu ihm und ich flüster ihm ins Ohr und sag ihm, vielleicht spielst du das jetzt noch ein bisschen ängstlicher oder vielleicht auch ein bisschen unschuldiger, und Stellan sagt dann, ja, gute Idee und versucht es dann wenigstens. Und das ist das, was uns auszeichnet: Wir spielen gerne.

Mangel: Eins ist mir noch aufgefallen, und zwar die Frauen in Ihren Filmen sind ja unwesentlich gesprächiger als die Männer, auf jeden Fall fragen sie nicht lang, wenn sie Sex wollen, sie ergreifen die Initiative, manchmal ziemlich rigoros, deswegen leiden sie aber nicht weniger unter der Gewalt und auch unter der Gefühllosigkeit von Männern. Ist das Ihr Eindruck, dass bei aller Emanzipation, bei aller Selbstbestimmtheit eigentlich wenig vorangeht im Miteinander der Geschlechter?

Moland: Nun, ich glaube, Männer und Frauen werden in ihrer Koexistenz für immer massive Probleme miteinander haben, aber ich glaube, was Männer und Frauen in diesem Film wirklich vereint, ist, sie haben ihre besten Jahre einfach schon hinter sich. Und mit diesem Rest Jahren, die sie haben, die versuchen sie einfach in Würde und auch in einem großen Selbstrespekt sozusagen noch miteinander zu erleben. Jeder hat da einfach andere Mittel, wie er zu dieser Würde gelangen möchte. Wenn man über eine gewisse Länge einfach schon mal gelebt hat, wenn man eine gewisse Lebenszeit hinter sich hat, dann teilt das Leben einfach Schläge aus. Das ist einfach so.

Mangel: Stellan Skarsgård ist Schwede, Aki Kaurismäki ist Finne, Sie sind Norweger – gibt es aus Ihrer Sicht heute so ein Zentrum des skandinavischen Films, und wo wäre das?

Moland: Talentierte Leute, talentierte Filmemacher gibt es natürlich überall, und die Bedingungen, die wir haben, sind ähnlich, weil Film ist nun einmal einfach sehr, sehr teuer. Dänemark hatte wirklich sehr, sehr gute Jahre und war vielleicht lange auch so das stärkste dieser Länder, aber ich würde jetzt sagen, dass Norwegen da doch jetzt vielleicht so diese neue Kraft ist in diesem Verbund. Das hängt auch damit zusammen, dass es eine wirklich große politische Bereitschaft gibt, Kino eben auch finanziell stark zu unterstützen. Dann dürfen wir natürlich nie vergessen, letztendlich wird Kino eben von Persönlichkeiten gemacht, jeder hat da seine eigene Individualität, und das macht Kino aus.

Mangel: Ich hoffe sehr, dass Ihre besten Jahre noch nicht hinter Ihnen liegen. Vielen Dank für das Gespräch, Hans Petter Moland!

Moland: Thank you very much!

Mangel: Und der Film "Ein Mann von Welt" mit dem großartigen Schauspieler Stellan Skarsgård kommt am kommenden Donnerstag in die Kinos.