Epochaler Kirchenbau in Barcelona

Von Wolfgang Martin · 17.12.2012
Sie zählt zu den Hauptattraktionen Barcelonas - die Kirche Sagrada Familia des Architekten Gaudí. Seit über 100 Jahren befindet sich der "Sühnetempel" im Bau, fertig ist er immer noch nicht. Jetzt kommt der Film "Sagrada – Das Geheimnis der Schöpfung" des Schweizers Stefan Haupt in die Kinos.
Vor der Sagrada Familia in Barcelona stehen die Touristen Schlange, an der Kirche mit den tropfsteinartigen Türmen wird immer noch gebaut. Der Grundstein wurde bereits 1892 gelegt. Es sollte ein "Sühnetempel" für die "Sünden der Großstadt" werden, finanziert durch Spendengelder. Von Anfang war es ein widersprüchliches Projekt: Einerseits repräsentatives Bauwerk eines aufstrebenden katalanischen Bürgertums, andererseits auch antimodernes Symbol eines konservativen Katholizismus und alles gestaltet von Antoni Gaudi, einem innovativen, außergewöhnlichen Architekten. Den Schweizer Dokumentarfilmer Stefan Haupt faszinierte besonders die vielschichtige Entwicklung des Bauwerks:

"Ich finde es tatsächlich hoch spannend an der Sagrada Familia, wie viele Schichten sich da aufblättern lassen. Und an dieser Geschichte lässt sich enorm viel zeigen, spannend ist ja auch, dass die Sagrada Familia zu jener Zeit, als sie gebaut wurde, außerhalb des Stadtkerns, wirklich auf freiem Feld begonnen wurde. Heute würde das niemand merken, sie ist mittendrin. Und auch für mich selbst war das hoch spannend, wie immer eine neue Facette hinzukam. Auch dass es dann zum Symbol des Katalanismus eigentlich wurde, auch dass da zum Teil Leute mitarbeiten, die wirklich tief religiös sind."

Für andere war sie Symbol einer verhassten Staatskirche, so für jene Anarchisten, die den unfertigen Bau zu Beginn des spanischen Bürgerkrieges 1936 plünderten und dabei Gaudís Pläne und Modelle für den Weiterbau zerstörten. Nach dem Sieg Francos und seines Nationalkatholizismus sollte der "Sühnetempel zur Heiligen Familie" fertig gestellt werden. Gegen diesen Umgang mit Gaudis Erbe protestierten namhafte Architekten wie Walter Gropius und Le Corbusier. Mitunterzeichner war damals auch der britische Stadtplaner und Architekt David Mackay. Auch fast 60 Jahre nach dem Beginn des Weiterbaus sieht er sich in seiner Ablehnung bestätigt:

"Meiner Meinung nach ist es falsch, das den Besuchern als Gaudí zu verkaufen. Es ist ein ´Postgaudí`. Natürlich basiert es auf seinen Ideen. Aber Gaudí hat, wie alle Architekten jener Zeit, am Ort entworfen. Das war noch kreatives Entwerfen, aber dies hier ist alles von Computern gemacht, und das sieht man. An Gaudis Original-Türmen sieht man noch den Reichtum der Handarbeit. Das kann man mögen oder nicht. Der Nachbau kommt fast an ein Disneyland heran. Man fühlt sich unwohl. Es versucht, die Vergangenheit zu rekonstruieren. Aber wofür?"

Aber gerade dieser Anachronismus, die Folge unterschiedlicher Baustile reizte Regisseur Stefan Haupt:

"Ich muss sagen, selber vertrete ich nicht diese Hardliner-Line, die besagt, da darf man nichts mehr dran rumwerkeln, das ist ein Werk des Genies Gaudis. Ich finde das eigentlich spannend, dass weitergearbeitet wird, und wenn man sich zum Beispiel gotische Kathedralen anschaut, sehr sehr viele hatten schon in romanischer Zeit begonnen, und an vielen sieht man, wie die Zeit mitgearbeitet hat. Und ich finde es eigentlich auch toll, und es bedeutet auch so etwas wie eine Verbindung zu unseren Wurzeln zu früheren Zeiten, wenn weitergebaut wird."

Der Film SAGRADA beantwortet keine Fragen, sondern provoziert ständig neue. Mit wechselnden Perspektiven und einer beweglichen Kamera, die sucht statt zu unterstreichen, zeigt er die Baustelle als vielschichtigen kreativen Prozess.

"Also, da besteht eine gewisse Kongruenz zur Sagrada Familia. Es ist überhaupt in keiner Art und Weise abgeschlossen. Ich bin quasi von meiner Faszination und meinem Interesse ausgegangen. Ich hab dann auch nicht als erstes dicke Bücher gelesen und gescheite Architekturbücher, was mir auch eine heftige Kritik einer Architektin, die im Film vorkommt, eingetragen hat, sondern einfach meiner Neugierde gefolgt, der Frage, mit wem könnten wir wohl zusammenarbeiten, und wir haben auch die Leute im Pressebüro, die unsere Ansprechpartner waren, ziemlich durcheinander gebracht, weil wir nicht wie Fernsehen funktioniert haben. Also, wir sind nicht einmal gekommen, haben das Stativ aufgestellt und eine halbe Stunde ein Interview geführt, sondern wir sind immer wieder gekommen, wir waren sechs Mal insgesamt dort und haben gewisse Leute vier fünf Mal interviewt. Ich wollte unbedingt auch ganz normale Arbeiter interviewen und begleiten. Und immer, wenn ich gefragt habe, haben wir vom Pressebüro wieder irgendwelche neuen ´Head of Departments` zugewiesen erhalten, und diesen einen Vorarbeiter, den man im Film kennenlernt, Jaume Torreguitart, den habe ich einfach, irgendwann ist er mir aufgefallen, und ich hab gesagt, aber den will ich auch haben, und das war nicht ganz einfach, aber schließlich haben wir die Bewilligung gekriegt, dass wir auch mit ihm filmen dürfen."

So ist am Ende kein Werbefilm für die katholisch konservative "Sagrada Familia Stiftung" entstanden, die bis heute alle Belange des Bauwerkes unter Kontrolle hat. Stefan Haupt zeigt vielmehr ein vielstimmiges Panorama, zeigt Menschen und Schicksale um den Kirchenbau herum, Fenstermaler, Handwerker und Bauarbeiter mit den verschiedenen ideologischen und religiösen Implikationen, zeigt, dass eine Baustelle spannender und interessanter sein kann als die perfekteste Kirchenfassade.

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