Epochaler Einbruch in fest gezimmertes Weltbild

Von Arnd Brummer, Chefredakteur Chrismon · 23.02.2013
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden. Partner in einer sogenannten Homo-Ehe dürfen Kinder adoptieren, die der andere Partner in die Beziehung mitgebracht hat. Gut so. Dies entspringt der schlichten juristischen Logik eines modernen, liberalen Rechtsstaates. Nicht mehr und nicht weniger.
Es geht um die Kinder, die eine Vater- oder Mutterbeziehung auch in dem Fall haben müssen, wenn der leibliche Elternteil stirbt. Punkt.

Für die Bewahrer sogenannter Traditionen sind solche Entscheidungen epochale Einbrüche in ihr fest gezimmertes Weltbild.

Aber das war schon immer so.

Die Ehe, also die vertragliche Absicherung der Paarbeziehung, haben Anhänger der bis dato üblichen Polygamie als unerträglich empfunden.

Dabei ist die vertragliche Fixierung einer geschlechtlichen Beziehung zu keiner Zeit primär eine moralische Angelegenheit gewesen, sondern wurde von den dominierenden Milieus einer Gesellschaft nach soliden Nützlichkeitskriterien beschlossen.

Die bürgerliche Ehe begann im Mittelalter ihren Triumphzug in den Häusern der Kaufleute. Sie symbolisierte die juristische Absicherung der legitimen Erben und der ökonomischen Beziehungen zwischen Familien. Wer zu heiraten war und wer nicht, war übrigens keine Frage der Liebe, sondern alleine Angelegenheit der Sippenbosse, der Patriarchen.

Wenn der Junior sich eine Frau rausgesucht hatte - aus Liebe - die dem Clan-Chef nicht passte, wurde er einfach enterbt - und zwar nach geltendem Recht.

Heutzutage unvorstellbar. Gott sei Dank.

Bis 1977 galt, dass der Ehemann aufgrund seines Geschlechts die Entscheidungsmacht über die gemeinsamen Kinder hatte und seine Frau ohne seine Zustimmung kein Arbeitsverhältnis eingehen konnte. Und der Zwang zum gemeinsamen Ehenamen fiel am 15. März 1991, weil einige Frauen, darunter übrigens auch die meine, und ein Tübinger Richter vor das Bundesverfassungsgericht gezogen waren, das in ihrem Sinne entschied.

Solche rechtlichen Veränderungen sind Ergebnisse des ständigen Wandels der Lebenswelten und sie kommen nie zu einem Ende.

Und auch das, was heute als die Keimzelle der Gesellschaft gilt, die Einehe und die bürgerliche Kleinfamilie - Vater, Mutter und die Kinder - sind nicht seit ewig da, sondern das Resultat ökonomischer Bedürfnisse.

Die Industriegesellschaft brauchte vor 150 Jahren mobile, kleine Einheiten, die zum Beispiel von der schwäbischen Alb oder aus Polen dorthin gingen, wo man Arbeitskräfte brauchte - ins Ruhrgebiet, ins Saarland, an den Rhein.

Das war das Ende der herrschenden Struktur, das Ende der Sippe und der sie führenden Patriarchen.

Die große unterschwellige Angst in konservativen Parteien oder entsprechenden römisch-katholischen Bischofskreisen ist die Angst vor dem Untergang von bewährten Formen und Normen. Und die darf in einem gesellschaftlichen Diskurs über Reformen auch geäußert werden.

Homophobe Ängste allerdings begründen sich gerade aus dem Diktat der Formen, die ihre Verteidiger so schätzen.

Missbrauch, auch homosexueller, gedieh am besten dort, wo Menschen ihre Liebe, ihre Beziehungen nicht offen und transparent leben können, sondern sie im Stillen, in den Familien und Internaten praktizieren mussten, oft und gerne kriminell, weil mit schweigsamen, ihnen unterlegenen Anvertrauten.

Diese Lehre haben die evangelischen Kirchen weitestgehend gezogen und in offener Diskussion eine andere Dimension christlicher Lebensgemeinschaft möglich gemacht.

Die überwältigende Mehrheit der deutschen Katholiken wie der Unionswähler wünscht sich dies übrigens auch.

In Bischofskonferenzen und Parlamentsfraktionen sollte man nun mit Besonnenheit und Vernunft dem folgen, was das Bundesverfassungsgericht in rechtsethischer Nüchternheit festgestellt hat.
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