Epidemie

Kritik an "unzureichender" Ebola-Hilfe der Bundesregierung

Ein Mann schiebt am 15. September 2014 in der liberianischen Hauptstadt Monrovia eine Karre mit Brot über eine Straße. Im Hintergrund hängt ein Schild mit der Aufschrift Stop Ebola.
"Immer schneller immer schlimmer": Am stärksten von Ebola betroffen ist Liberia © pa/dpa
Florian Westphal im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 18.09.2014
Offiziell sind bisher 2500 Menschen der Ebola-Epidemie in Westafrika zum Opfer gefallen. Die Dunkelziffer liege jedoch bis zu zehnmal höher, meint Florian Westphal von Ärzte ohne Grenzen und fordert mehr Hilfe der Bundesregierung.
Korbinian Frenzel: Wahrscheinlich bekommt Angela Merkel eine ganze Menge Briefe, aber zwei haben es geschafft, aus einer untätigen Bundesregierung eine etwas aktivere zu machen. Es geht um Ebola, es geht um den Kampf gegen diese sich schnell verbreitende Krankheit. Liberias Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf hatte Merkel geschrieben und eindringlich appelliert, ohne mehr direkte Hilfe der deutschen Regierung würde ihr Land diese Schlacht gegen Ebola verlieren. Es gab einen zweiten Brief, der ganz ähnlich klang, von Ärzte ohne Grenzen, deren Geschäftsführer ist jetzt am Telefon, Florian Westphal. Guten Morgen!
Florian Westphal: Guten Morgen!
Frenzel: Die Bundesregierung will nun tatsächlich mehr tun, das ist die Ankündigung von gestern – die Frage ist, ist dieses Mehr, das Berlin da ankündigt, ist dieses Mehr genug?
Westphal: Das kommt jetzt ein bisschen darauf an, das ist ja noch nicht alles so klar, was die Bundesregierung eigentlich vorhat. Wenn es darum geht – das war einer der Vorschläge, die wohl diskutiert wurden –, ein mobiles Krankenhaus zum Beispiel der Bundeswehr zu schicken, dann wäre das sicherlich so gut, soweit dieses Krankenhaus auch wirklich von ausgebildetem Personal sowie Laborkapazitäten begleitet wird. Denn ohne Personal, nur mit dem Material alleine wird man vor Ort nicht viel ausrichten.
"Unzureichende" Reaktion der Bundesregierung auf die Krise
Frenzel: Aber das ist ja ganz offenbar das, was die Bundesregierung vorhat, sie will das Hospital, diese Station schicken, aber ohne Personal. Macht das Sinn?
Westphal: Nein, das Problem ist einfach, dass man vor Ort dieses Personal momentan nur schwer findet. Das örtliche Gesundheitspersonal ist ja von dieser Krise schwerst betroffen worden. Es sind Leute gestorben, viele sind erkrankt und viele andere haben Angst, sind auch nicht in Zweifelfällen dementsprechend ausgebildet. Und dann, die Frage stellt sich natürlich auch, ob sich das Personal auch dementsprechend schützen könnte. Also deswegen haben wir immer wieder auf diesen Bedarf nicht nur an Material, sondern auch an ausgebildetem Personal hingewiesen.
Frenzel: Warum schickt die Bundesregierung nicht einfach die Ärzte mit, ja auch aus dem Bereich der Bundeswehr, die wir ja haben, ist das auch Angst, wissen Sie das, hat man mit Ihnen gesprochen?
Westphal: Nein, das kann ich nicht so klar beantworten, das ist aber genau die gleiche Frage, die wir der Bundesregierung natürlich auch stellen und weswegen wir die bisherige Reaktion auf diese Krise auch als unzureichend bezeichnet haben. Ich bin mir nicht sicher, dass man sich hier in Berlin des Ausmaßes dieser Krise wirklich bewusst geworden ist, obwohl wir mehrfach versucht haben, darauf hinzuweisen in den letzten Wochen.
Frenzel: Sie haben ja auch gefordert, dass die Bundeswehr eben mit eingesetzt werden soll. Präsident Obama hat ja bereits vorgestern reagiert, 3.000 Soldaten schicken die USA. Soldaten gegen eine Krankheit, das klingt ja erst mal absurd.
Die Krankheit breitet sich exponentiell aus
Westphal: Na, es geht hier einfach darum, dass alle vorhandene Kapazität und vor allem alles vorhandene Personal eingesetzt werden kann. In dieser Krise, jetzt zu diesem jetzigen Zeitpunkt, ist es eigentlich gar nicht so vorrangig wichtig, ob das jetzt zivile oder militärische Kräfte sind, Hauptsache ist, dass sie so schnell wie möglich auf den Weg kommen und dort vor Ort Leuten helfen können.
Frenzel: Was passiert denn, Sie haben es gerade schon angedeutet, wenn wir zu wenig tun, wenn wir jetzt nicht schnell genug und gut genug helfen? Was ist das Schreckensszenario aus Ihrer Sicht?
Westphal: Na ja, man muss leider davon ausgehen natürlich, dass die Dunkelziffer der Infizierten und der eigentlichen Toten sehr viel höher ist als die offizielle Zahl, die wir bis jetzt hören, das kann sicherlich bis zu zehnmal so hoch ausfallen. Die Krise, die Epidemie breitet sich weiterhin exponentiell aus, das heißt, tendenziell wird die Verbreitung immer schneller, und man kann leider auch nicht ausschließen, dass Nachbarländer, zum Beispiel die Elfenbeinküste, die direkt an Liberia angrenzt, mittlerweile auch schon betroffen ist, sowie Teile von Sierra Leone, zum Beispiel die Hauptstadt Freetown, von der man jetzt noch nicht so viel gehört hat. Also wenn nichts getan wird, dann muss man leider damit rechnen, dass diese Krise immer schneller immer schlimmer wird.
Das Rote Kreuz in Liberia in einer Nachbarschaft in Banjor, in der Ebola-Fälle aufgetreten sind.
Das Rote Kreuz in Liberia in einer Nachbarschaft in Banjor, in der Ebola-Fälle aufgetreten sind.© AFP / Dominique Faget
Frenzel: Aus Sierra Leone wissen wir, dass da heute etwas passieren soll, nämlich eine, ja, eine Art Komplettquarantäne für das ganze Land, das hat die Regierung wahrscheinlich in ihrer Hilflosigkeit so erlassen, die Leute sollen nicht rausgehen. Ist das ein Schritt, der Sinn macht aus Ihrer Sicht?
Westphal: Es ist schon so natürlich, dass in Sierra Leone jetzt so schnell wie möglich jeglicher Versuch gestartet werden muss, um die Kranken, die bis jetzt noch nicht identifiziert worden sind, zu finden und um sie weitgehend zu isolieren. Unser Vorbehalt gegenüber dieser Komplettquarantäne ist im Endeffekt, dass wir befürchten, dass sie das ja eh schon angeschlagene Vertrauen der Bevölkerung in das Gesundheitssystem weiter erschüttert und in den Staat und dass es außerdem für die, die dann praktisch von Haus zu Haus gehen sollten, um zu sehen, ob da noch Kranke sind, enorm schwierig wird, das zu machen. Und letztendlich – und da kommen wir wieder zur Frage der Kapazität –, dass es leider momentan einfach gar nicht genug Betten im Land gibt, um noch so viele zusätzliche Infizierte wirklich behandeln zu können und isolieren zu können.
Überfüllte Behandlungszentren: Kranke müssen wieder nach Hause geschickt werden
Frenzel: Sie haben Mitarbeiter natürlich vor Ort. Welche Erfahrung machen die, was sind die Geschichten, was sind die Nöte, die Sorgen, die Sie da berichtet bekommen?
Westphal: Also was wir von unseren Mitarbeitern hören, ist schon wirklich erschütternd. Besonders bewegt hat mich die Geschichte von unserem Kollegen, der in Monrovia vor dem Behandlungszentrum mehrere Tage stehen musste und den Menschen erklären musste, dass sie dort ihre Kranken eben nicht mehr reinbringen konnten, weil das Behandlungszentrum schon völlig überfüllt war. Das heißt, er musste diese Menschen zurückweisen, wohl wissend, dass sie dann vielleicht in ihre Familie zurückkehren und wahrscheinlich noch weitere infizieren und größtenteils auch sterben werden. Das sind natürlich die extremsten Erfahrungen, es gibt aber auch positive Erfahrungen. Es sterben ja nicht alle, es verlassen auch Leute Behandlungszentren von Ärzte ohne Grenzen, die leben und die weiterleben. Und das ist natürlich auch für unsere Kollegen vor Ort ganz wichtig, wirklich diesen Erfolg auch zu würdigen, wenn er dann mal kommt.
Frenzel: Sie haben die Personalengpässe angesprochen, haben Sie selbst auch Probleme, Mitarbeiter, Mediziner zu mobilisieren, gibt es da auch Ängste?
Westphal: Also es gibt sicherlich Ängste, und das kann man ja auch bestens verstehen. Bis jetzt gelingt es uns glücklicherweise, die Mitarbeiter immer noch zu finden, aber die Mitarbeiter sind natürlich einer der Gründe, warum wir gesagt haben als Organisation, dass wir jetzt unseren Einsatz dort nicht mehr weiter ausweiten können. Die Mitarbeiter dürfen ja nur etwa fünf Wochen dort bleiben, vor allem die, die sich direkt um Patienten kümmern, sonst ist das zu anstrengend und zu riskant, und danach müssen sie nach Hause und müssen praktisch drei Wochen lang sich dicht an einem Krankenhaus aufhalten, damit im Falle einer Infektion sie sofort behandelt und isoliert werden können. Das sind enorme Anstrengungen. Das heißt, es geht nicht nur um die Mitarbeiter, die wirklich präsent vor Ort sind, sondern auch darum, dass man sie ständig rotieren muss. Man braucht also eigentlich doppelt so viele, die bereit sind, wie die, die wirklich vor Ort tätig sind.
Frenzel: Florian Westphal, der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Westphal: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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