Epidemie

Ebola für Pharmaindustrie "nicht lukrativ genug"

Ein Arzt in Guinea bereitet sich auf einen Ebola-Einsatz vor
Zunehmend hilflose Helfer: Bereits mehr als 700 Ebola-Tote in Westafrika © picture alliance / dpa / Sam Taylor / Ärzte ohne Grenzen
Stephan Günther im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 02.08.2014
Angesichts der schlimmsten Ebola-Epidemie aller Zeiten fordert der Hamburger Virologe Stephan Günther mehr öffentliche Mittel zur Bekämpfung der Krankheit und den Einsatz neuer Wirkstoffe eventuell auch ohne die üblichen Tests.
Liane von Billerbeck: Kontrollen an Flughäfen, Quarantänen und Versammlungsverbote, damit versucht man die Ausbreitung der Ebola-Epidemie in Westafrika einzudämmen, bisher ohne Erfolg. Denn anders als bei früheren Ebola-Epidemien, die immer auf eine relativ geringe Zahl von Menschen begrenzt waren, unterscheidet sich dieser Ausbruch. In den besonders betroffenen westafrikanischen Ländern Liberia, Guinea und Sierra Leone sind inzwischen mindestens 729 Menschen an der Seuche gestorben. Und das Virus wütet weiter.
Zwar gibt es schon Impfstoffe gegen die Krankheit, die wurden jedoch bisher nur an Affen getestet, nicht an Menschen. Der Virologe Stephan Günther ist derzeit ein gefragter Mann, er leitet am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg nämlich die Abteilung Virologie. Herr Günther, ich grüße Sie!
Stephan Günther: Ja, guten Tag!
von Billerbeck: Sie waren im März im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation WHO in Guinea – hat Sie die Hartnäckigkeit der jetzigen Epidemie überrascht?
Günther: Ja, also die hat auch nicht nur mich überrascht, sondern die hat letztendlich alle Experten überrascht. Da können Sie fragen, wen Sie wollen, das ist für alle außerhalb dessen, was sich jeder vorstellen konnte. Wie lange das dauert und welche großen Zahlen von Infizierten inzwischen vorliegen, das hat man vorher noch nicht gesehen und auch nicht erahnt.
von Billerbeck: Wie erklären Sie sich die Hartnäckigkeit dieser Epidemie?
"Man sagt, Ebola ist eine göttliche Krankheit"
Günther: Also wir haben hier offensichtlich ein anderes Verhalten der Bevölkerung verglichen zu den früheren Epidemien. Man weiß immer, dass es schon problematisch ist, mit der Bevölkerung sozusagen wirklich gut in Kontakt zu treten, dass die die Hilfsmaßnahmen annehmen, dass sie in die Isolierzentren gehen und sich behandeln lassen. Das weiß man, dass das problematisch ist, aber dass es so problematisch werden kann, wie man es jetzt sieht, gerade in Liberia und Sierra Leone, das hat man eben nicht vermutet, dass also die Resistenz gegenüber den Maßnahmen so groß ist, dass sich Kranke verstecken, dass Verstorbene versteckt werden oder auch noch transportiert werden, dass man die Erkrankung wirklich negiert, dass man sagt, es gibt gar kein Ebola, das ist von außen hereingebracht oder es ist eine göttliche Krankheit oder das Virus gibt's gar nicht, und wir kooperieren auch überhaupt nicht mit den Hilfskräften.
Das ist eine Dimension, die man vorher so nicht gesehen hatte. Und das neben der Mobilität, die man in diesen drei Ländern hat, grenzüberschreitend, hat offensichtlich zu dieser katastrophalen Situation geführt.
von Billerbeck: Woran liegt das denn eigentlich, haben die Leute dort, die sich infiziert haben, oder ihre Angehörigen Misstrauen gegenüber westlichen Helfern?
Günther: Ja, es ist ja nicht nur das Misstrauen gegenüber westlichen, es ist ja sogar das Misstrauen gegenüber ihren eigenen Helfern. Die meisten Helfer stammen ja aus den Ländern. Das, was ich in den Dörfern ... Die Familien sagen, nein, wir bringen unsere Erkrankten nicht ins Krankenhaus, und Gerüchte aufkommen, also bis hin dahin, dass man sagt jetzt, die Krankheit wird durch die Helfer gebracht, also gar nicht so, die Helfer kommen, weil die Krankheit da ist, sondern umgekehrt, und es wird kolportiert, dass in den Isolierstationen die Organe entnommen werden und man bekommt dann bloß die Reste zurück.
Es scheinen da auch vielleicht die einen oder anderen, würde ich mal sagen, einen Vorteil daraus ziehen zu können, solche Gerüchte in die Welt zu setzen. Es sind ja ethnische Probleme in der Region, es ist Bürgerkriegsregion, Mythenreligion, alles das ergibt ein Gemisch, was für uns nachher wirklich nicht mehr nachvollziehbar ist.
"Übertragung des Virus aus dem Tierreich"
von Billerbeck: Nun ist das ja eine andere Epidemie, als wir sie bisher kannten von Ebola. Die vorige, die ist 2012 in Uganda ausgebrochen. Wie kommt es zu diesen langen Ruhephasen zwischen solchen Epidemieausbrüchen?
Günther: Na ja, die Epidemien, Ebola-Epidemien in Afrika werden ja gestartet durch die Übertragung des Virus aus dem Tierreich auf den Menschen. Also eigentlich kommt Ebola im Tierreich vor, und man vermutet, dass es in bestimmten Fledermäusen oder Flughunden vorkommt, die es auch in Guinea gibt. Das ist eine Möglichkeit der Übertragung auf den Menschen, die Tiere werden auch gegessen, die Tiere werden gejagt, auch in Höhlen kann man sich zum Beispiel daran infizieren.
Die zweite häufigere Möglichkeit ist die Infektion über infizierte Affen – Affen werden auch krank. Da auch Affen Nahrungsquelle sind, hat der Mensch dann auch wieder Kontakt zu Affen und kann sich daran infizieren. Das erklärt natürlich diese großen Abstände.
von Billerbeck: Was machen Sie denn im Institut für Tropenmedizin, um dagegen vorzugehen, dass sich diese Epidemien ausbreiten?
Günther: Im Moment ist das Entscheidende, was wir machen, wir sind in Guinea aktiv mit einem Labor und betreiben dort Diagnostik, seit März. Das ist ein europäisches Projekt, an dem nicht nur das BNI beteiligt ist, sondern viele andere europäische Institutionen, auch andere deutsche Institutionen beteiligt sind. Ansonsten beschäftigen wir uns damit, nach, sagen wir mal, existierenden Wirkstoffen zu schauen, die eventuell auch gegen Ebola aktiv sind, also keine Medikamentenentwicklung in dem Sinne, sondern sehen, ob bestimmte andere Medikamente vielleicht auch eine Wirksamkeit für Ebola haben, denn die könnten dann relativ einfach eingesetzt werden.
"Dafür sind es in der Tat zu wenig Infizierte"
von Billerbeck: Was sind das für Stoffe?
Günther: Das sind zum Beispiel Hemmstoffe, die für andere Viren entwickelt worden sind. Wir haben in einem Mausexperiment festgestellt, dass ein Wirkstoff, der in der Zeit in der Entwicklung für Influenza ist, eben eigentlich auch ganz gute Wirksamkeit gegen Ebola hat. Wir hoffen natürlich, dass der dann als Influenzawirkstoff auch auf den Markt kommt, dann könnte er eben auch gegen Ebola eingesetzt werden.
von Billerbeck: Bisher waren ja die Epidemien immer auf wenige Hundert Menschen in Afrika beschränkt, zumindest das, was man davon mitbekommen hat. Zynisch gefragt, waren es einfach bisher zu wenig Tote, dass es sich gelohnt hat für die Pharmaindustrie, da einen Wirkstoff zu entwickeln?
Günther: Also ich denke, dass unabhängig von der Zahl der Toten die Ebola-Erkrankung für die Pharmaindustrie nicht lukrativ genug ist, um wirklich Wirkstoffe zu entwickeln, dafür sind es in der Tat zu wenig Infizierte. Es betrifft Afrika, das nicht finanzstark genug ist, um dann gegebenenfalls auch Medikamente in größerem Maßstab kaufen zu können oder auch Impfstoffe kaufen zu können. Bisher sind alle Entwicklungen von der öffentlichen Hand bezahlt worden, Kanada und USA sind da führend, und um die jetzt in größerem Maßstab industriell herzustellen, ihre Wirksamkeit zu prüfen, sind also auch noch deutlich mehr Finanzmittel von öffentlicher Hand erforderlich.
von Billerbeck: Aber warum sträuben sich beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation und auch die betroffenen Länder, solche experimentellen Wirkstoffe, die es ja schon gibt, auch einzusetzen?
"Kein Beweis für die Wirksamkeit am Menschen"
Günther: Ich würde nicht sagen, dass sie sich sträuben, sie sind etwas vorsichtig damit. Das eine ist, dass in der Epidemie, die wir jetzt sehen, natürlich die Situation so desaströs ist, dass es äußerst kompliziert ist, zusätzlich jetzt noch Wirkstoffe zu testen. Man muss man ja sagen, dass für die meisten – es gibt zwar Affenexperimente, es sind Affenexperimente gemacht worden, aber es gibt keinen Beweis für die Wirksamkeit am Menschen. Das heißt, nach den üblichen Regeln einer Medikamententestung oder auch einer Impfstofftestung muss die Wirksamkeit beim Menschen ja auch nachgewiesen sein, das bedeutet klinische Studien. Klinische Studien unter diesen Bedingungen jetzt durchzuführen in Afrika, halte ich auch fast für unmöglich.
von Billerbeck: Aber es gibt ja so was, wie Sie das mal in einem Interview genannt haben, wie Forschung im Ausbruch. Was kann man da tun?
Günther: Genau. Ich sag nicht, dass man jetzt gar nichts machen soll, sondern man muss sich eben genau überlegen, welche Protokolle man entwickeln könnte, um sowohl Impfstoffe als auch Medikamente unter diesen Bedingungen zu testen, auf welche üblichen Testschritte man vielleicht verzichten kann, ob man vielleicht gewisse Therapien, gewisse Impfstoffe auch ohne den Wirksamkeitsnachweis beim Menschen jetzt schon in bestimmten Situation anwenden kann, vielleicht bei Krankenhauspersonal, um es zu schützen. Dazu kommen natürlich die finanziellen Hürden, das bedeutet viel zusätzliches Geld.
Man muss einfach jetzt angesichts dieser Epidemie darüber nachdenken und sich an einen Tisch setzen und sehen, was möglich ist.
von Billerbeck: Das sagt der Virologe Stephan Günther vom Hamburger Institut für Tropenmedizin. Danke Ihnen für das Gespräch!
Günther: Ja, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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