Engagierte Gemeinschaften

Von Detlef Grumbach · 26.07.2006
Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten sich die ersten Konsumgenossenschaften nach englischem Vorbild in Deutschland. Das Prinzip, das die Mitglieder auch über die Zukunft und Ausrichtung der Genossenschaft mitbestimmen, setzt sich auch heute fort, egal ob es dabei um Öko-Strom, Zeitungen oder Landwirtschaft geht.
Musik: " Miteinander geht es besser, miteinander geht es gut"

Burchard Bösche: "Die Konsumgenossenschaften hatten keineswegs das Ziel, unbedingt billige Lebensmittel zu liefern, sondern im Vordergrund stand die gute Qualität zu einem fairen Preis. Und so sind sie die Pioniere geworden der Lebensmittelgroßproduktion, der Produktion im industriellen Maßstab und dabei sind sie die Pioniere geworden für Lebensmittelhygiene, für einwandfreie Produktverfahren."

So markiert Burchard Bösche den Beginn der Genossenschaftsbewegung, an deren Spitze er heute steht. Im Hamburger Stadtteil Sasel hat der Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften 1953 ein Schulungszentrum errichtet. Heute wird es vom DGB genutzt. Bösche, Vorstand des Zentralverbands, führt uns hier durch eine kleine Ausstellung zur Geschichte seiner Organisation:

Burchard Bösche: "Das war früher keineswegs selbstverständlich. Deswegen haben wir an dieser Stelle auch noch einmal erinnert an die Hamburger Sülze-Unruhen von 1919, wo es eine riesige Auseinandersetzung in der Stadt gegeben hat, weil festgestellt wurde, dass in einer Sülzefabrik unter anderem Hunde-, Ratten- und Katzenfleisch zu Sülze verarbeitet worden ist. Diese Auseinandersetzung lief so weit, dass es zahlreiche Tote gegeben hat. Übrigens war das der Auslöser, dass dann die Polizei überall die Grundlage erhalten hat, um Hygieneinspektionen in Lebensmittelbetrieben durchzuführen."

Bernd Wulf: "Die Zeit war reif. Es hat ja schon Bio-Betriebe gegeben, wenn auch sehr wenige, insofern war das Angebot da und suchte seine Nachfrage. Es gab aber einen zweiten Anlass, das war der Reaktorunfall in Tschernobyl. Im Zuge dessen haben sich in Lübeck viele Eltern gefragt, was geben wir uns, was geben wir unseren Kindern, was können wir zu Hause überhaupt noch zubereiten, ohne dass wir uns gesundheitlich schädigen. "

Es war eine der größten Umweltkatastrophen der Nachkriegszeit, die in Lübeck den Anstoß gab: Verbraucher haben sich zusammengeschlossen: erst zu einem Verein, später zu einer Genossenschaft. Weil sie die Herren im eigenen Lebensmittelladen sein wollten, weil sie wissen wollten, woher Obst und Gemüse kommen, die sie zu Hause zu sich nehmen. Und weil das den Bauern den Vertrieb erleichterte, waren sie bald auch dabei. Bernd Wulf gehört heute dem Aufsichtsrat der Erzeuger- und Verbrauchergenossenschaft Landwege e.G. an:

Bernd Wulf: "Wir haben einmal als Genossenschaft das Ziel, unsere Kunden mit hochwertigen Produkten zu versorgen zu günstigen Konditionen, so weit das im Bio-Bereich möglich ist. Wir haben weiter auf unserer Agenda, dass wir den regionalen Landbau fördern. Das ist vielen Kunden auch wichtig, dass wir das tun. Dazu gehören die kurzen Wege, die Frische. Und die Ziele können wir sehr gut verfolgen unter dem Mantel der Genossenschaft, da wir als Genossenschaft nicht verpflichtet sind, größt möglichen Gewinn zu erzielen, sondern unser Hauptziel ist, zum Nutzen unserer Mitglieder tätig zu sein. "

Robert Werner: "Auf der einen Seite wollten wir den Beweis liefern, dass man nach dreißig Jahren Forderung Atomausstieg das auch tatsächlich realisieren kann, dass das auch technisch geht. Auf der anderen Seite wollten wir ein verbraucherfreundliches Modell schaffen, wo die Kunden gleichzeitig Eigentümer sind. Und da blieb die Genossenschaft."

Greenpeace Energy versorgt seine Mitglieder und Kunden mit hundertprozentig sauberem Strom. Robert Werner sitzt im Vorstand der Genossenschaft.

Robert Werner: "Die Unternehmensform ist eigentlich ein Kind der Not. Aus der Not heraus haben sich Menschen zusammen getan und Gemeinschaften gebildet. Für uns war das aber reizvoll. Wir haben jetzt keinen Notstand festgestellt bei der Gründung von Greenpeace Energy, sondern wollten einfach ein innovatives Gegenmodell zur etablierten Stromwirtschaft aufbauen. Wenn man sich heute diese ganze Debatte anschaut über Regionalisierung und Globalisierung und über Wirtschaftskreisläufe, wo die Wertschöpfung in der Region bleibt, wo Mitsprache eine ganz andere Bedeutung hat, dann ist die Genossenschaft ein topaktuelles, innovatives Modell."

Musik: " Miteinander geht es besser, mit dem Konsum geht es gut. "

Die Idee der Genossenschaft ist über 150 Jahre alt. Es gibt genossenschaftliche Kredit- und Sparvereine, aus denen später Banken hervorgingen, Genossenschaften im Wohnungsbau, in der Landwirtschaft und im Handwerk. Steuerberater organisieren ihre Betriebssoftware in der Genossenschaft Datev, und wer bei der Denic eine Internetadresse für die eigene Website beantragt, hat es ebenfalls mit einer Genossenschaft zu tun.

Werbung: "Ah, Frau Fröhlich hat den Zirkel-Kaffee entdeckt. Übrigens ein guter Kaffee."

Konsumgenossenschaften stiegen bald in den eigenen Import und in die Produktion ihrer Angebote ein: Kaffee, Fleischkonserven, Zigarren und Zigaretten, Seife und Waschpulver.

Werbung: "Geschirr ist schnell gespült mit Fix ab!"

GEG, die Abkürzung der Großeinkaufsgesellschaft deutscher Consumvereine, wurde zum bekannten und beliebten Markenzeichen.

Werbung: "Fix ab! Ein echtes GEG-Erzeugnis."

Die Konsumgenossenschaft für sauberen Strom, Greenpeace Energy, steigt auch in den Anlagenbau, also in die Produktion ein. Oft genug gab und gibt es aber auch Mischformen. In der Erzeuger- und Verbrauchergenossenschaft Landwege treffen sich die Interessen von Bauern und Kunden, und in der Taz-Genossenschaft sitzen die technischen Hersteller, die Redaktion und die Leser an einem Tisch, um das Erscheinen ihrer unabhängigen Tageszeitung zu sichern.

Musik: "Miteinander geht es besser
Miteinander geht es besser und wir kommen besser aus
wer in Konsum kauft ist anders und den anderen weit voraus."

So breit gefächert die Betätigungsfelder von Genossenschaften auch sind, im Kern haben sie sich Mitte des 19. Jahrhunderts im klassischen Bereich des Konsums entwickelt - also im Konsum. Denn bei den Krämern wurde oft falsch gewogen, wurde dem Mehl Gips beigefügt, wurde gemahlener Kaffee mit Sand gestreckt und Milch mit Wasser. Krämer, die die Rechnungen auch noch anschreiben ließen, machten ihre Kundschaft abhängig. Neben den Gewerkschaften gründeten Arbeiter deshalb die ersten Konsumgenossenschaften, um die Versorgung mit Lebensmitteln in die eigenen Hände zu nehmen.

Mit ihren Anteilen gaben die Mitglieder ihrem eigenen Unternehmen billiges Geld, damit es überhaupt wirtschaften konnte. Kaufen durften zunächst aber nur die Mitglieder. Weil es aber nicht darum ging, dass das Unternehmen Gewinn machte, wurde die sogenannte Rückvergütung eingeführt. Wenn am Ende des Geschäftsjahrs ein Überschuss in der Kasse war, wurde den Mitgliedern ein Teil des Umsatzes rückvergütet. Auch heute noch keine steuerpflichtige Gewinnausschüttung auf eingezahltes Kapital also, sondern ein nachträglicher Preisnachlass auf getätigte Einkäufe.

Musik: "Miteinander geht es besser
Was an großen Dingen auch entstand, niemand schuf es je allein,
immer wirkten viele Hand in Hand, miteinander im Verein.
miteinander geht es besser..."

Burchard Bösche: "Und hier beginnen wir dann mit der Darstellung der Geschichte der Konsumgenossenschaften."

Zurück nach Hamburg-Sasel, in die Ausstellung zur Geschichte der Genossenschaften. Als Blickfang dient eine große Regenbogenfahne, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zum Symbol der internationalen Genossenschaftsbewegung wurde und heute vor allem in Italien noch im Bewusstsein verankert ist. Die Regenbogenfahnen, die während des Golfkriegs mit der italienischen Aufschrift "Pace" für Frieden an vielen Orten warben, hatten hier ihren Ursprung, kamen aus der italienischen Genossenschaftsbewegung. Begonnen hatte aber alles in England:

Burchard Bösche: "Das Banner zeigt das englische Vorbild. Tatsächlich waren die Engländer ja Vorreiter, was die Industrialisierung angeht und die Konsumgenossenschaften sind ein Kind der Industrialisierung und so ist das Vorbild weltweit für alle Konsumgenossenschaften die Genossenschaft oder Assoziation der redlichen Pioniere von Rochdale oder Manchester, hier haben wir den ersten Laden einer Konsumgenossenschaft, der dann dauerhaft überlebt hat, den gibt es bis heute als Museum."

"Jedes Mitglied hat eine Stimme, unabhängig von der Höhe der Einzahlung, und jedermann kann der Genossenschaft jederzeit zu den gleichen Bedingungen beitreten, wie die bisherigen Mitglieder."

So lauten die ersten beiden Rochdaler Grundsätze aus dem Jahr 1844, die noch heute gelten. Und weiter:

"Verkauf zu Tagespreisen nur gegen Barzahlung, und je mehr ein Mitglied bei der Genossenschaft kauft, um so größer soll seine Beteiligung am Überschuss sein."

Burchard Bösche: "Es hat in der Zeit eine ganze Reihe von Gründungsinitiativen gegeben. Auch in Hamburg 1851, in Süddeutschland an vielen Stellen, wir sehen hier verschiedenen Beispiele, das ist hier der Laden der Pro, wir sehen hier ein früheres Beispiel, der Ulmer Konsumverein, der hier angibt, wann man Wein kaufen kann, 1866, dass also der Laden in der Mohrenapotheke geöffnet ist Mittwochs von zwei bis fünf Uhr, um dort also den Wein in rot und in weiß günstig zu kaufen."

Sie hießen "Produktion" oder kurz: "Pro", "Ermunterung" oder "Eintracht und Kraft". Sie schlossen sich zu Einkaufsgemeinschaften zusammen, bildeten im Jahr 1903 einen Zentralverband, um ihre Arbeit effektiver zu gestalten. Zu den Grundsätzen gehörten auch:

"Politische und religiöse Neutralität; Gleichberechtigung von Mann und Frau und Bildungsveranstaltungen für die Genossenschaftsmitglieder."

Burchard Bösche: "Ja, das ist hier auch eine Besonderheit der Pro. Die Genossenschaft hat sich immer um ihre Leute gekümmert - nicht nur im Sinne von Verkaufen. Diese Kohlensparkarte hat den Sinn, dass im Sommer die Menschen Geld zurücklegen für den Winter, um dann Kohlen kaufen zu können. Da wurden regelmäßig Marken gekauft und in die Kohlensparkarte eingeklebt und wenn im Herbst die Kohlen geliefert wurden von der Pro, konnte man das mit der Kohlensparkarte bezahlen. Wie überhaupt auch die Rückvergütung eine Sparkasse war. Die Rückvergütungsquote bei der Pro lag ungefähr bei 5 % des Umsatzes und die Rückvergütung wurde auch ausgezahlt im beginnenden Herbst und sie diente unter anderem dazu, die Kartoffeln für den Winter zu finanzieren."

Bernd Hupel: "Die erste Eintragung ist am 28. Januar 1903, an diesem Tage sind weitere 89 Genossen in die Liste der Mitglieder eingetragen worden. Daraus schließe ich, dass an diesem Tag in Osterburg die Gründungsversammlung stattgefunden hat. "

Musik: " Heute kaufe ich im Konsum ein, viele schöne Eier, ja das ist fein."

Seehausen in der Altmark, ein schön restauriertes Städtchen in einem Fleckchen Erde, dass bis 1990 ziemlich im Abseits lag: eingeklemmt in dem kleinen Zipfel Land südlich von Wittenberge zwischen Elbe und deutsch-deutscher Grenze. Bernd Hupel hält hier über 100 Jahre Geschichte in den Händen - die Mitgliederliste der Konsumgenossenschaft, die in Osterburg in der Altmark gegründet wurde und später von Seehausen aus geführt wurde.

Musik: " Heute kaufe ich im Konsum ein, einen runden Käse, ja das ist fein."

Hupel, der mit seinen 65 Jahren heute im Vorstand der Genossenschaft die Verantwortung trägt, ist seit den 50er Jahren dabei. Er blättert durch die Jahre:

Bernd Hupel: "Das sind viele kleine Leute, sage ich mal. Zimmermann, Arbeiter steht hier. Maurer. Ackerbürger. Wieder Arbeiter. Alles in Deutsch geschrieben. Sütterlinhandschrift. 1916, dann geht das weiter 1927, 31. Jetzt wird das kritisch. 1937 sind etliche Seiten rausgeschnitten, als wollte man hier während der Nazizeit die Mitgliedschaft in der Genossenschaft nicht dokumentieren - so sieht das aus."

Die Konsumgenossenschaften waren den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Sie galten als die "roten" Genossenschaften. So beschränkten sie zunächst die Möglichkeit der Rückvergütung, also den nachträglichen Preisnachlass auf die getätigten Einkäufe. Damit wurde eine Mitgliedschaft in einer Genossenschaft weniger interessant. Im Februar 1941 wurden die Genossenschaften dann aufgelöst und ihr Eigentum in das sogenannte Gemeinschaftswerk der Deutschen Arbeitsfront überführt.

"Befehl des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration - Oberkommandierenden der Gruppe der Sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland Nr. 176. Inhalt: Wiederherstellung der Konsumgenossenschaften in der sowjetischen Besatzungszone. Berlin, 18. Dezember 1945."

Mit diesem Befehl wurden die Genossenschaften in der sowjetischen Zone wieder hergestellt, in den Westzonen geschah dies Anfang 1946. Nach dem Krieg wurde auch die Beschränkung aufgehoben, dass die Konsumgenossenschaften nur an ihre Mitglieder verkaufen durften. Jetzt stand der Konsum allen offen.

Musik: " Heute kaufe ich im Konsum ein, eine saure Gurke, ja das ist fein
Heute kaufe ich im Konsum ein, einen süßen Kuchen, ja das ist fein"

1949 eröffnete die Hamburger Pro den ersten Selbstbedienungsladen in Deutschland. In der Bundesrepublik endete ein großer Teil der Konsumgenossenschaften allerdings in einem Skandal, der in der Überführung von Genossenschaften in die Coop-AG, in eine Aktiengesellschaft also, seinen Anfang nahm. Dramatische Skandale und Misswirtschaft erschütterten die AG, am Ende wurden die Geschäfte an die Metro verkauft.

Ähnlich ging es der gewerkschaftlich-genossenschaftlichen Lebensversicherungsgesellschaft Volksfürsorge. Sie ist heute eine profitable Tochter des Generali-Konzerns. Übrig blieben kleine unabhängige Konsumgenossenschaften, aber auch größere Verbände wie die Coop Schleswig-Holstein, die heute weit über die Landesgrenzen ein weit geknüpftes Netz von Läden betreibt.

In der DDR entwickelten sich nach strenger Maßgabe der sozialistischen Planwirtschaft die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften LPG, die Produktionsgenossenschaften Handwerk PGH und - neben dem staatlichen Handel HO - auch die Konsumgenossenschaften. Diese agierten vor allem in den ländlichen Gebieten.

Bernd Hupel: "Überhaupt war die Tendenz, die Menschen nahe ihres Wohnortes zu versorgen. Es war ja auch genauso eine Aufgabe, nahe des Wohnortes die Arbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten. Die Genossenschaft hat sich um Kulturarbeit bemüht, hatte eine eigene Sängergruppe, hat sich bemüht, Wohnraum für Mitarbeiter zu schaffen, wir haben Kinderferienlager durchgeführt, mit den Mitarbeitern Reisen gemacht."

Auf den ersten Blick scheint die Idee der Genossenschaften etwas Staub angesetzt zu haben. Jeden Abend vermitteln die Nachrichten mit Live-Berichten aus der Frankfurter Börse den Eindruck, ganz Deutschland sei im Aktienfieber. Wie viele Zuschauer jedoch interessiert die aufgeregte Berichterstattung über das tägliche Auf und Nieder der Standardwerte wirklich? 20 Millionen Deutsche sind dagegen Mitglieder von Genossenschaften.

Musik: " Miteinander geht es besser, miteinander geht es gut,
Miteinander geht es besser"

Den größten Anteil davon stellen die Genossenschaftsbanken mit etwas 15 Millionen Mitgliedern. Danach folgen die Wohnungsbaugenossenschaften mit etwa 3 Millionen, mit je knapp einer Millionen Mitgliedern die ländlichen Genossenschaften und die Konsumgenossenschaften.

Gerade dort, wo Bürger von unten und mit neuen Ideen auf die Herausforderungen der Zeit zu reagieren, geben neue Genossenschaften den wirtschaftlichen Rahmen dafür. So war es für Hildegard Lüning ganz selbstverständlich, Genossin der Taz zu werden, als diese in den Jahren 1990/91 in eine bedrohliche Krise schlitterte:

Keine Taz mehr - ohne mich!

Hildegard Lüning: "Jedenfalls war es klar, dass ich etwas tun muss, als die Taz endlich entstand, denn wir brauchten so ein alternatives Presseorgan, das war mir auch klar. Und dass ich dann, wenn ich die Gelegenheit habe, meinen Teil dazu tue, und dann habe ich 1991 10.000 D-Mark da hineingegeben."

"Die Taz-Genossenschaft ist eine engagierte Gemeinschaft. Wer hier mitmacht, findet eine politische Rendite wichtiger als finanzielle Gewinne. Denn eine Investition in die Taz ist immer auch ein Engagement für die Pressefreiheit."

Das Wort Rückvergütung ist der Taz-Genossenschaft ein Fremdwort. Im Gegenteil: Viermal in den vergangenen fünfzehn Jahren hat die Genossenschaft der Taz das Leben gerettet. Das Geld ist weg, muss sich eigentlich jeder sagen, der hier investiert. Aber Hildegard Lüning, 69 Jahre alt, hat als Redakteurin beim Süddeutschen Rundfunk gut verdient und noch einmal einen Batzen Geld nachgeschossen.

Hildegard Lüning: "Nein, das ist ja nicht weg. Das arbeitet ja. Das arbeitet vernünftig, finde ich, und darauf kommt es an. Aber in der Tat habe ich davon sonst nichts. Ich persönlich nicht, aber ich denke, dass das für die Presselandschaft sehr wichtig ist und dass sowieso Leute, die mehr Geld haben, als sie wirklich zum Leben brauchen - und für einige Dinge noch - die sollten teilen."

Johannes Greiner: "Das Entscheidende für die Taz ist die Unabhängigkeit, dass die Taz nicht abhängig ist von einem Verlag, von einem Konzern, sondern dass sie ihren Lesern gehört. Die Taz hat die Freiheit über das zu berichten, was sie wichtig findet."

Lange konnte sich das Blatt, so Johannes Greiner von der Taz-Genossenschaft, mehr schlecht als recht durchlavieren. Als nach der deutschen Vereinigung die besonderen Berlin-Förderungen gestrichen wurden und dann auch noch der Anzeigenmarkt zusammenbrach, wäre die kleine, freche Tageszeitung fast pleite gewesen.

Johannes Greiner: " Die Taz stand eben vor der Entscheidung, entweder verkauft sie sich an einen Verlag - damals war der Spiegel eben interessiert - oder eben die zweite Möglichkeit: Sie wird eine Genossenschaft und damit kaufen die Leser die Zeitung und sichern eben weiter die Unabhängigkeit der Zeitung. Die Mitarbeiter haben sich mit Mehrheit für den Weg der Genossenschaft entschieden und es haben damals im ersten Jahr 1992/92 fast 3000 Menschen Genossenschaftsanteile gezeichnet. Also die Genossenschaft ist die Existenzgrundlage der Taz."

Mit mindestens 500 Euro waren im Jahr 2004 immerhin knapp über 500 neue Mitglieder dabei. 6000 Genossinnen und Genossen halten heute 6 Millionen Euro Kapital. Und wie bei jeder Genossenschaft haben die Mitglieder auch bei der Taz ganz entscheidende Mitspracherechte:

"Die Genossinnen und Genossen können an der jährlichen Generalversammlung teilnehmen und aus ihrer Mitte den Aufsichtsrat wählen. Außerdem beschließen sie, was mit ihren Einlagen passiert. So konnte 1999 zum Beispiel die Entwicklung und Installation eines neuen Redaktionssystems aus Geldern der Genossenschaft finanziert werden."

Musik: " Wo man miteinander lebt und schafft, bei der Arbeit und beim Spiel
da erreicht man mit vereinter Kraft, ja viel besser jedes Ziel.
eines Tages bist auch du soweit, und kommst selber zu dem Schluss,
dass es miteinander jeder Zeit, ja viel besser gehen muss."

Demokratische Strukturen, Mitspracherechte wie im eigenen Haus - das sind große Vorteile der Genossenschaften. Darüber hinaus: Es gibt keinen Interessengegensatz zwischen Anbietern und Kunden, und heute besonders wichtig: die Treue zum eigenen Unternehmen, das, was woanders, so Burchard Bösche, Kundenbindung genannt wird und wofür viel Geld ausgegeben wird:

Burchard Bösche: "Überall werden einem jetzt Plastikkärtchen angeboten und irgendwelche Treuepunkte vergeben und Kundenmagazine verteilt und Ähnliches. Das sind alles Versuche, den Kunden nicht nur, nachdem er an der Kasse bezahlt hat, zu verabschieden, sondern schon mal dafür zu sorgen, dass er wiederkommt. So, und die Genossenschaft hat dafür die idealen Voraussetzungen, denn der Kunde ist gleichzeitig Inhaber des Geschäfts. "

Gerade viele traditionelle Genossenschaften vernachlässigen heute aber die Betreuung und die Werbung neuer Mitglieder. Oder sie haben, wie Bernd Hupel in Seehausen, kaum eine Chance dazu. Denn die Wende 1989 hat dort erst mal alles auf den Kopf gestellt.

Bernd Hupel: "Anfang 1990 gab es in Berlin einen richtigen Vorgang, nicht nur HO, also den staatlichen Handel zu privatisieren, sondern das Konsum gleich mit einzuschließen. Und da ist der Verband der Genossenschaften heftig aufgetreten und hat gesagt, die Genossenschaften wurden schon einmal - in der Nazi-Zeit - enteignet, das macht ihr kein zweites Mal, und da ist das zurückgepfiffen worden."

Doch dann hat erst das Angebot im Westen, gleich hinter der Niedersächsischen Grenze, gelockt, dann hat angesichts der großen Arbeitslosigkeit die Geiz-ist-geil-Mentalität gesiegt. Nicht die Qualität zählt, sondern der Preisvergleich mit Aldi, Lidl, Neukauf und anderen. Gerade die Zeit der Wende war wohl die härteste in Bernd Hupels Genossenschaftsleben:

Bernd Hupel: "Man will’s aufbauen, man will’s retten, das Konto ist immer blank. Kontokorrentkredit kostet 12 %, mir hat das Herz manchmal bis zum Hals geschlagen. Ich möchte diese Zeit nicht wieder erleben. Wirklich nicht. "

Doch immerhin 8000 Mitglieder von 13.000 im Jahr 1989 zählt die Genossenschaft noch, von 800 Beschäftigten damals arbeiten heute noch 115. 50 Gaststätten hat die Genossenschaft zu DDR-Zeit betrieben, insgesamt über 200 Objekte. Heute sind es sieben moderne Supermärkte, vier Läden mit Haushaltswaren und Bekleidung, die Feinkostfabrik Fekoma, die alles rund um den Hering herstellt, und immerhin noch zehn Dorfläden wie die in Lückstedt oder Boock - das sind Ansiedlungen mit kaum mehr als 300 Einwohnern.

Diese Dorfläden werden aus den Gewinnen der Supermärkte bezuschusst, was keine Supermarktkette heute noch machen würde. Allein dafür lohnte sich die Arbeit der ganzen Genossenschaft, denn wo sollten die meist alten Leute dort sonst einkaufen? Aber ob die Genossenschaft Seehausen eine Zukunft hat, ob wieder neue Mitglieder eintreten und die Idee lebendig halten? Bernd Hupel ist skeptisch.

Bernd Hupel: "Das wird eines Tages neu zu entscheiden sein. Also sieben müssen es bleiben. Nach dem heutigen Recht. "

Robert Werner: "Es ist sehr wichtig, dass Mitglieder einer Genossenschaft so etwas wie einen Comunity-Gedanken verspüren, einen Spirit, wie die Amerikaner sagen. Dieser Spirit schafft natürlich Identifikation. Und das ist die Grundlage einer Genossenschaft, und auch für die genossenschaftliche Arbeit."

Gut reden hat dagegen ein Genossenschaftler wie Robert Werner von Greenpeace Energy. Sein Geschäft liegt ganz im Trend der Zeit und bei immer mehr Leuten wird es geradezu schick, dabei zu sein:

Robert Werner: "Das Mitglied und der Kunde bekommt regelmäßig Informationen, wir sind extrem transparent. Nicht nur, was unseren Strom-Mix angeht, also unser eigentliches Produkt. Das Mitglied erfährt, wo wir unseren Strom einkaufen, auch die Zusammensetzung des Preises. Das zweite ist natürlich, dass wir nicht nur Strom verkaufen - wir sind auch politisch aktiv. Wir haben sehr um die Stromkennzeichnung gekämpft und das gefällt den Mitgliedern. Die wollen nicht nur einen wirtschaftlichen Vorteil sehen, sondern die wollen auch, dass die Leute, die hier arbeiten, dass die aktiv sind, dass sie auf der politischen Bühne präsent sind und auch in den Medien präsent sind und aktiv sind. "

Bernd Wulf: "Unsere Stärke ist, dass wir unser Geschäft gemeinsam organisieren. Die Gemeinschaftlichkeit hat eine ganz große Bedeutung und die Gemeinschaftlichkeit wirkt auch nach außen. Also jeder, der hier arbeitet und das Prinzip verstanden hat, der strahlt etwas aus, das stimmig ist mit dem, was wir tun."

Gemeinsame Ideen, gemeinsames Engagement - mit diesem Kapital haben die Genossenschaften einst begonnen, und mit diesem Kapital haben sie auch eine Zukunft. Ökologie ist so eine Idee. Die EVG Landwege in Lübeck hat ihre Arbeit in einer Garage angefangen, in der das von den Bauern angeliefert Obst und Gemüse verteilt wurde:

Bernd Wulf: "Da gab’s Bestellgruppen, in jedem Stadtteil gab es einen Haushalt, wo das dann angeliefert wurde und dort ging man hin und holte sich seinen persönlichen Bedarf ab. Und das war eine hochkommunikative Situation, da sind ganz feste Bindungen entstanden, dieses ein Mal die Woche an der Haustür treffen, ein bisschen miteinander reden, über das Sortiment sprechen und wissen, man kommt in der nächsten Woche wieder."

Aus der Garage zog sie in eine Lagerhalle, dann in ein kleines Ladengeschäft in einem alternativen Stadtteilzentrum und heute stehen wir in einem großen Öko-Supermarkt am Rand der Lübecker Altstadt. Und wo es kaum einen Kredit von den Banken gibt, springen die Mitglieder ein:

Bernd Wulf: "Als wir in den Verhandlungen standen, diesen Laden zu mieten, da hatten wir im Mietvertrag eine Klausel, dass wir ein Rücktrittsrecht vereinbart hatten, und diese Zeit haben wir uns genommen, um unter den Mitgliedern um Bürgschaften zu werben. Wir brauchten damals in DM eine Viertelmillion Bürgschaft. Die haben wir in 5000er-Portionen gestückelt und wir waren in zwei Monaten in der Ferienzeit durch damit und hatten die Viertelmillion zusammen. Unter unseren Mitgliedern. Das muss man sich mal vorstellen."

In der Genossinnenschaft Windfang produzieren Frauen sauberen Strom, die in der männerdominierten Sphäre von Wirtschaft und Technik kritische und alternative Akzente setzen wollen. Behinderte schließen sich zu sogenannten Assistenzgenossenschaften zusammen. Sie wollen mit ihren Bedürfnissen nach Assistenz, Unterstützung und Pflege nicht am Ende einer Kette von Sozialämtern und Einrichtungen stehen, sondern am Anfang. Ihre Genossenschaft, also sie selbst stellen Kräfte ein, organisieren die Dienstpläne und rechnen mit den Kostenträgern ab.

Rückvergütung? In vielen Fällen beschließen die Genossinnen und Genossen, Überschüsse im Unternehmen zu lassen und in die Zukunft zu investieren. Das ist genau das, was die Taz-Genossenschaft in ihrem Prospekt eine politische Rendite nennt. Für Hildegard Lüning bedeutet das konkret:

Hildegard Lüning: "Also erstens, dass sie von einem kleinen, oft auch ideologisch sehr festgezurrten, fand ich, Presseorgan zu einer Tageszeitung geworden ist mit klarer Haltung und Meinung, aber doch für viel mehr Menschen lesbar und in der öffentlichen Meinung in Deutschland spielt sie weit über ihre Auflage hinaus eine große Rolle. Die Taz wird unglaublich oft zitiert, sie hat nicht nur immer wieder ganz originelle Ideen, sondern sie bringt auch Dinge, die man woanders einfach nicht lesen kann. "

Die Taz würde es heute ohne die Genossenschaft in der Form nicht mehr geben. Robert Werner und Burchard Bösche über die Zukunft der Genossenschaften:

Robert Werner: "Ich kann mir auch im Verkehrssektor Genossenschaften vorstellen. Die gibt es ja sehr umfangreich und sehr traditionell auf der Fahrbetriebsseite. Aber denken Sie an Car-Sharing-Projekte, die sich als Genossenschaft organisieren oder die Mobilität anbieten. Keine Ahnung, wie die Bundesbahn mit Fahrgastgenossenschaften umgehen, die versuchen, sich zusammenzuschließen, um gemeinsam gute Konditionen für Mobilität zu erwirtschaften oder was auch immer."

Burchard Bösche: " Eine Kapitalgesellschaft ist nichts anderes als ein Haufen Geld, hinter dem Leute stehen, und der Sinn des Haufen Gelds ist es, diesen Haufen größer zu machen. Das ist die Kapitalgesellschaft. Und die Genossenschaft ist eine Ansammlung von Menschen, die von ihrem Unternehmen wollen, dass es dazu beiträgt, dass es ihnen besser geht. Und zwar nicht durch zusätzliches Geld, sondern durch das, was es konkret leistet. Es ist nicht die Aufgabe von Greenpeace Energy, die Einlagen zu vermehren, sondern sauberen Strom zu liefern. Und es ist nicht die Aufgabe der Taz-Genossenschaft, möglichst viel Geld aus dem Verlagsgeschäft zu holen, sondern eine Zeitung zu liefern. "
Lebensmittel in einem Supermarktregal
Konsumgenossenschaften sollten für Lebensmittel von guter Qualität sorgen.© Stock.XCHNG / lurba
Apfelernte
Auch in der Landwirtschaft schließen sich Bauern zu Erzeugergenossenschaften zusammen.© AP