Ende der EU-Quote

Bauern befürchten fallende Milchpreise

Kühe im Versuchsstall der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen in Kleve
Die Milchquote für EU-Bauern läuft Ende März endgültig aus. © dpa / picture alliance / Caroline Seidel
Von Jörg Münchenberg · 04.03.2015
Ende März läuft die Milchquote für die europäischen Bauern endgültig aus. Nach über 30 Jahren der Regulierung müssen sich die Landwirte damit plötzlich dem Wettbewerb stellen - und es gibt bei der Milchproduktion keine Auflagen mehr.
Amel in Ostbelgien. In der kleinen deutschsprachigen Gemeinde mitten in den Ardennen hat auch Erwin Schöpges seinen Milchbetrieb, der 50-Jährige ist Bauer aus Leidenschaft und Überzeugung:
"Ja, hier ist mein Stall mit 60 Kühen. Zwei Drittel sind Fleckviehkühe, ein Drittel sind noch Holsteinkühe. Ich habe mich für die Fleckviehkühe entschieden, weil sie der Fleisch-Typ sind. Und geben viel Milch, sind robust und ein bisschen pflegeleichter als die anderen."
Es ist ein vergleichsweiser kleiner Betrieb – alle müssten ran, damit es am Ende zum Leben reicht, erzählt der Bauer:
"1983 bin ich gestartet. Hier in dem alten Stall nebenan, den ich mittlerweile umgewandelt habe in einen Jungviehstall. Damals hatten wir 25 Kühe und 160.000 Liter Milchquote. Heute habe ich eine Milchquote von 500.000 Liter, die ich aber nicht voll ausnutze, weil ich ein bisschen weniger produziere. Und so haben wir jetzt über eine Generation von 30 Jahren den Hof im reinen Familienbetrieb aufgebaut. Wo mein Sohn mithilft, wo Nachbarn mithelfen. Natürlich meine Frau geht noch arbeiten nebenbei. 20 Stunden als Buchhalterin. Was absolut wichtig ist, um ein zusätzliches Einkommen auch zu haben."
Der anstehende Wegfall der Milchquote, das ist natürlich auch auf dem Hof von Bauer Schöpges seit Monaten das beherrschende Thema. Denn die damit einhergehende Liberalisierung hat auch unmittelbare finanzielle Konsequenzen für alle, die in diesem System von Mengenzuteilung groß geworden sind. Wer mehr Milch produzieren wollte als die eigene Quote erlaubt, der musste teuer zukaufen:
"Was mich sehr bedrückt – ich habe da in den letzten Jahren auch sehr viel Geld investiert in diese Milchquote. Ich rechne mit einem Durchschnittswert von 50 Cent. Wenn ich das hochrechne, dann verspiele ich über Nacht ein Eigenkapital von 200.000 bis 250.000 Euro. Darüber kann man natürlich diskutieren, aber dieses Kapital hatte immer auch einen Wert. Wenn man zur Bank ging und wollte einen neuen Schlepper, eine Maschine oder einen kleinen Schuppen bauen. Da gab es immer eine Sicherheit für die Bank und diese Sicherheit fällt jetzt weg."
Doch der streitbare Milchbauer in den Ardennen, der zusammen mit Kollegen in Bel-gien auch ein eigenes Milchlabel unter dem doppeldeutigen Namen "Fairebel" vertreibt, fürchtet auch die langfristigen Konsequenzen. Und fühlt sich dabei von der Politik im Stich gelassen:
"Diese Liberalisierung des Marktes wird auch bedeuten, dass der Milchpreis fällt. Wir sind gerade inmitten einer Krise, die vielleicht noch schlimmer ist als 2008/2009. Und das stellt uns schon vor gewisse Herausforderungen. Und ich befürchte, dass viele Höfe dem nicht gewachsen sind."
Ausrichtung auf das globale Geschäft
130 Kilometer südöstlich in Thalfang, einer knapp 2000-Seelen-Gemeinde im Hunsrück, herrscht dagegen Aufbruchstimmung. Hier hat die Molkerei Hochwald ihren Hauptsitz, eine der ganz Großen unter den deutschen Molkereien. Umsatz 2013 knapp 1,4 Milliarden Euro. Die Edelstahltürme für die Milchkühlung dominieren das Ortsbild und bei der zentralen Annahme reiht sich Milchlaster an Milchlaster. Stolz erklärt Produktionsleiter Andreas Endres den Ablauf:
"Wir stehen hier an der Rohmilchannahme. Hier kommen die Tankwagen, die die Rohmilch bei unseren Erzeugern einsammeln, an und werden hier abgetankt. Die Milch kommt hier in den Prozess rein. Wir bekommen hier am Tag zwischen 800.000 und 1 Million Kilogramm Rohmilch hier von unseren Mitgliedern zu unserer Genossenschaftsmolkerei geliefert. Die Milch wird hier verarbeitet von unseren 130 Mitarbeitern zu Kondensmilch in der Dose als Hauptprodukt, Magermilchpulver und Butter. Wir füllen ab von Montag sechs Uhr bis Samstag 14 Uhr. Und zu Spitzenzeiten, sprich, wenn die Auftragslage gut ist, dann werden wir noch zusätzliche Sonderschichten dazu nehmen."
In der Produktions- und Abfüllanlage selbst ein nicht enden wollender Strom von Kondensmilch-Dosen, die vom Roboter im Minutentakt verpackt werden. Hochwald Foods hat sich der Konzern inzwischen genannt, Anspruch und Ausrichtung auf das globale Geschäft sind schon im Firmennamen unüberhörbar:
"Wir stehen jetzt gerade in der Verpackungslinie der Produktion in Thalfang. Und der überwiegende Teil der Produkte wird tatsächlich überwiegend exportiert. Die Kondensmilch geht überwiegend in den afrikanischen Raum. Nach Saudi Arabien, Libyen, Algerien. Das sind die Länder, in denen Kondensmilch sehr stark nachgefragt wird."
... erklärt Unternehmenssprecherin Kathrin Lorenz das Geschäft. Wie andere Großmolkereien hat sich auch Hochwald auf den Wegfall der Milchquote und in Erwartung steigender Exportmöglichkeiten vorbereitet. Millionen wurden in eine neue Anlage zur Trocknung von Molke investiert und die Zusammenarbeit mit anderen Molkereien, etwa in Belgien ausgebaut. Getreu dem eigenen Motto – Milch aus Thalfang für die ganze Welt:
"Die Milchquote galt ja nur für die EU. Der Rest der Welt konnte schon immer so viel produzieren, wie er wollte. Und weltweit steigt die Nachfrage nach Milchprodukten, in Deutschland ist die Nachfrage eher stagnierend. Wir setzen insbesondere auf den saudi-arabischen Markt. Wir haben Projekte in Südostasien, wo wir schauen, welche Projekte sich dort ergeben. Und der ganze afrikanische Markt spielt eine große Rolle für uns."
... schwärmt die Marketingchefin ob der globalen Wachstumsaussichten. Und dabei werde die Molkerei auch die Zulieferer nicht im Regen stehen lassen, die sich nach dem 1. April plötzlich auf einem liberalisierten Milchmarkt zu Recht finden müssen. Das bedeutet: mehr Wettbewerbsdruck und heftige Ausschläge bei den Preisen:
"Wir werden auch nach Wegfall der Quote die Menge an Milch, die von unseren Landwirten und Genossenschaftsmitgliedern angeliefert wird, abnehmen. Und natürlich auch schauen, dass wir dafür die bestmöglichste Vermarktung erzielen können. Wir haben da einen sehr engen Kontakt zu unseren Landwirten. Gerade der Wegfall der Quote hat da einen erhöhten Gesprächsbedarf erzeugt. Wir haben ein Projekt durchgeführt, das nennt sich Mengenmanagement. Da fragen wir ab, wo die Reise hingeht. Da werden Planmengen für die Milchmengen bei den Landwirten erfasst. Und wir versuchen da, Prognosen abzuleiten, damit wir dann auch die notwendigen Kapazitäten bereitstellen zu können."
Gibt es bald zwei Preise?
Doch wie hoch der Preis für den Liter Milch sein wird, den die Molkerei am Ende den Bauern bezahlen wird, sagt die Pressesprecherin von Hochwald nicht. Viele Experten erwarten, dass die Molkereien nach dem Fall der Quote wohl zwei Preise bezahlen werden – einen höheren für die vereinbarte Liefermenge Milch. Und einen niedrigeren für jene Milch, die zusätzlich abgegeben wird. Das Ende der Quote bedeutet für die Bauern also nicht nur Chance, sondern eben auch Risiko:
"Also, ich finde es besteht großer Anlass zur Sorge. Für die gesamte Milchbranche. Schon jetzt haben wir Überkapazitäten. Die Menge liegt weit über dem, was wir in Europa an Bedarf haben. Und die Preise sind im freien Fall. Also, wir haben wieder Preise, die dem nahe kommen, was die letzte Krise ausgelöst hatte 2009. Man muss damit rechnen, dass sagen alle Experten, dass nach Wegfall der Quote noch mehr Milch auf den Markt kommt. Das wird bedeuten, dass die Preise noch mehr unter Druck kommen."
... sagt der Agrarexperte der Grünen, Martin Häusling, früher Milchbauer, jetzt Abgeordneter im EU-Parlament. 1984 war die Quote eingeführt worden. Die EU wollte damit die jahrelange Überschussproduktion bei Milch und Butter bekämpfen. Denn die Überschüsse der Landwirte wurden damals zum Garantiepreise aufgekauft. Die Folge – die berühmt-berüchtigten Milchseen und Butterberge, die dann über die Milchquote verschwinden sollten, erinnert sich der CDU-Abgeordnete im Europäischen Parlament, Peter Jahr, ebenfalls im Zweitberuf noch Landwirt:
"Die Europäische Union war ja damals hochsubventioniert. Die hatten eine vom Weltmarkt abgeschottete Produktion. Wir hatten auch ein vom Weltmarkt abgeschottetes Preisniveau. Nämlich ein viel höheres. Und dieser Gefechtslage, als die Landwirte dann immer mehr produziert hatten – und man konnte ja nur mit Exportsubventionen die Produkte vom Weltmarkt absetzen – war das das einzige Mittel, das zur Verfügung stand."
Also wurden den einzelnen Ländern bestimmte Quoten zugeteilt, die dann wieder auf die Landwirte verteilt wurden. Wollte ein Bauer mehr produzieren, musste er an der Milchbörse Quoten zukaufen. Andernfalls wurden Strafen fällig, die sogenannte Superabgabe. Ein starres System, das nur bedingt funktioniert hat. Aus der Quote wurde ein Besitzstand: Jungbauern mussten für eine Erweiterung des Hofes teuer bezahlen. Ein klarer Wettbewerbsnachteil gegenüber der internationalen Konkurrenz, rechnet man auch noch mögliche Strafen durch die Überproduktion dazu. Zudem hat die Quote das Sterben bei den Milchbauern nicht verhindern können. Gab es 1984 noch 380.000 Milcherzeuger in Deutschland, waren es im letzten Jahr nur noch 80.000. Die Quote, so Jahr, sei nicht mehr zeitgemäß:
"Eingangs hat man sich mal vorgenommen, die Milchquote sollte dazu dienen, um Bedarf und Produktion in Einklang zu bringen. Wir haben aber in den letzten 20 Jahren zugelassen, dass immer mehr produziert worden ist als eigentlich gebraucht wurde. Da war die Politik nicht konsequent genug, also hat die Quote auch selber entwertet. Ich gehe davon aus, dass der Markt verlässlicher ist als die Politik."
Der Preisdruck wird sich verschärfen
Doch die neuen unternehmerischen Freiheiten stoßen auch schnell wieder an Grenzen. Die Landwirtschaft, nicht nur in Europa, sondern auch in den USA bleibt extrem hoch subventioniert und reglementiert. Die starke Stellung des Einzelhandels, der Molkereien und Landwirten die Preise diktiert, wird auch nach dem Wegfall der Quote weiter Bestand haben. Dazu kommt: die neuen internationalen Märkte sind zwar verlockend, aber auch krisenanfällig. So hat das Russland-Embargo für europäische Milchprodukte die Branche teilweise empfindlich getroffen. Und nach anfänglicher Euphorie hat sich – zumindest vorübergehend – auch die Nachfrage aus China nach europäischer Milch und Butter wieder deutlich abgekühlt. Faktoren, die wiederum die Talfahrt des Milchpreises in den letzten Monaten zusätzlich beschleunigt haben. Und der Wegfall der Quote, so der Grüne Häusling, wird den Preisdruck weiter verschärfen:
"Die Verbraucher wird das nur bedingt freuen. Weil das natürlich nur auslösen wird, dass eine Menge kleinerer Erzeuger wirklich ins Gras beißen müssen. Weil sie keine Chance mehr am Markt haben. Und man am Ende nur Großstrukturen bei den Erzeugern, aber auch den Molkereien gegenüber steht, die am Ende das Spiel bestimmen werden. Das kann nicht im Interesse des Verbrauchers sein. Wir brauchen diese regional strukturierte kleine Landwirtschaft. Und in vielen Regionen spielen ja die Kühe eine ganz wesentliche Rolle in der Erhaltung der Kulturlandschaft. Ob für die deutschen Mittelgebirge oder das Alpenvorland. Wenn da keine Kühe mehr stehen. Also es könnte den Verbraucher teurer kommen, wenn wir diese Kulturlandschaften dann staatlicherseits pflegen müssen."
Tatsächlich sind sich die meisten Experten einig: der Wegfall der Milchquote dürfte den Strukturwandel in der Landwirtschaft erheblich beschleunigen. Im Schnitt stehen derzeit in deutschen Kuhställen 56 Tiere – doch der Trend geht hin zu Ställen mit 400 bis 500 Kühen. Möglichst nah an der Küste gelegen, dort, wo Kraftfutter im großen Stil angebaut werden kann und Wasser ausreichend vorhanden ist.
"Also wenn ich natürlich im flachen Land Milch produzieren kann, dann ist das natürlich viel, viel einfacher, als wenn ich an die Gebirgsregionen denke. Und dort, wo wir Milchproduktion noch haben wollen, dort wo möglicherweise der Urlauber eine Kuh noch im Freien sehen will, dass wir das dann auch unterstützen müssen, um diese Nachteile auszugleichen."
... betont selbst der überzeugte Markwirtschaftler Jahr. Doch schwieriger ist die Antwort auf die Frage, ob die EU den Wegfall der Quote mit einem Preisbeobachtungssystem begleiten soll. Um dann bei einem rapiden Preisverfall die Milchmengen doch wieder begrenzen zu können. Die Verfechter des Wettbewerbs wollen lediglich ein Notfallsystem zur Preisstützung zulassen. Die Skeptiker der Marktliberalisierung wie Martin Häusling von den Grünen fordern dagegen mehr:
"Es ist die Frage, ob man so ein Instrument ausbaut. Zum einen, ob man den Markt weiterhin beobachtet. Das heißt, die Europäische Union hat ja jetzt nach Ende der Milchquote überhaupt keine Daten mehr. Das heißt, man weiß gar nicht, was die einzelnen Mitgliedstaaten produzieren. Wo das hingeht. Also wir brauchen zumindest eine Markttransparenz. Und dann könnte man dieses Instrument dahin ausbauen, das man versucht, über Länder und Regionen bestimmte Mengen festzusetzen, die dem Markt in Europa angepasst sind."
Großer Milchdurst in Schwellenländern
Eine neue Milchquote sozusagen durch die Hintertür. Die Diskussion aber zeigt: die Nervosität vor dem Stichtag 1. April ist riesig. Niemand kann genau vorhersagen, wie sich der Milchmarkt nach dem Wegfall der Quote entwickeln wird. Die Prognosen reichen von Revolution bis hin zu einer drohenden Katastrophe. Die Großmolkereien hoffen auf die Prognosen der Experten, wonach die weltweite Nachfrage nach Milcherzeugnissen in den nächsten Jahren deutlich ansteigen wird. Gerade in den Schwellenländern wie etwa in Indien oder Pakistan. Auch die Bauern werden am Ende entscheiden müssen, ob auch sie auf den großen Milchdurst setzen. Und wie sie grundsätzlich zu ihrem Beruf stehen. Ardennenbauer Schöpges in Ostbelgien hat die Entscheidung längst getroffen:
"Ich habe einen Sohn von 22 Jahren. Der wird jetzt in diesem Jahr fertig mit seiner Metzgerslehre. Leider traurig zu sagen, dass man seinem Sohn eigentlich abraten soll, in die Milchproduktion einzusteigen. Wir werden abwarten. Ich denke, er wird den Hof übernehmen. Nur ob er hier weiterhin Milch produzieren wird, müssen wir schauen, abwarten. Auf jeden Fall werden wir hier keinen Hof bauen von 200, 300 oder 500 Kühen. Und keine industrielle Landwirtschaft aufbauen."
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