Emanuel Bergmann: "Der Trick"

Die Enkel der Überlebenden melden sich zu Wort

Zauberstab
Mit Hilfe eines Zaubererers will der zehnjährige Max in "Der Trick" die Ehe seiner Eltern retten. © imago
Von Jochanan Shelliem · 19.08.2016
Emanuel Bergmanns Geschichte der Familien Goldenhirsch und Cohn über mehr als ein Jahrhundert eröffnet neue Perspektiven auf das Erbe der Shoah. Ein Enkel der Überlebenden schreibt - eloquent, mit Charme und voller Sensibilität, sagt unser Kritiker.
Die Enkel haben schreiben gelernt. Anders aber als die Wir-sind-das-Volk-Darsteller in Deutschlands neuem Osten, wissen die Nachkommen jüdischer Familien sehr wohl, wer wann wo eingewandert ist und welchem Glücksfall sie ihre Existenz verdanken. Darum geht es in Emanuel Bergmanns Roman "Der Trick".
Emanuel ist der Sohn von Michel Bergmann, und der ist Sohn jüdischer Überlebender, die wie die Daniel-Cohn-Bendits im Frankfurter Ostend strandeten. Vater Bergmann hat die Zeit in einer fulminanten Trilogie über jüdische Überlebende in Frankfurt am Main verarbeitet: Die Teilacher, Machloikes und das vergnügliche Kammerspiel Herr Klee und Herr Feld. Nun debütiert der Sohn, die Enkelgeneration meldet sich zu Wort. Verführerisch, wie in einem Märchen aus lang vergangener Zeit, beginnt dieser Roman.
"Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts lebte in Prag ein Mann namens Laibl Goldenhirsch. Er war ein bescheidener Mensch, ein Rabbiner, ein Schriftgelehrter, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Geheimnisse, die uns umgeben zu verstehen."

Aufwachsen wie auf einem Friedhof

Weit öffnet sich die Schere, mit der Emanuel Bergmann diese Familiengeschichte erzählt. Wobei die Atmosphäre seiner Kindheit, die er in der ängstlichen Gemeinde von Saarbrücken erlebt hat, durch den Zauber dieses Handlungsstrangs veredelt wird. Emanuel Bergmann:
"Für einen jungen Juden in Deutschland aufzuwachsen ist, als würde man unter Toten aufwachsen, wie auf einem Friedhof. Überall, wo man hingeht ist ein Mahnmal. Auf meinem Weg zur Schule stand eine Plakette. 'Hier war mal eine Synagoge, aber wir haben sie abgebrannt.' Und das ist einfach ungesund, in dem Schatten der Shoah aufzuwachsen."
Nach der Trennung seiner Eltern zieht Emanuel mit seiner Mutter in die USA. Zunächst nach Texas, da ist er zwölf, dann nach Los Angeles, wo er wie sein Vater Michel Bergmann für verschiedene Filmstudios arbeitet und heute als Deutschlehrer und Übersetzer lebt.
Und hier spielt auch der zweite Handlungsstrang seines Romans, 88 Jahre nach der Geburt des heiß ersehnten Sohnes von Laibl Goldenhirsch in Prag, der seinen orthodoxen Rabbinervater verlassen und zum Zirkus gehen wird, später einem Kommissar im Dritten Reich bei der Ermittlung eines Serienmörders helfen und es unter dem Künstlernamen Zabbatini bis ins finstere Herz der abergläubischen Nationalsozialisten schaffen wird – eine Tour de force mit vielen Anspielungen auf historische Gegebenheiten voller Ironie.

Kampf um die Kindheit

"Eine lange Zeit danach, zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts, lebte in der Neuen Welt, in der Stadt der Engel, ein Junge namens Max Cohn."
Max erfährt eines Tages, dass er künftig ein Scheidungskind sein wird.
"Knapp drei Wochen vor seinem elften Geburtstag gingen seine Eltern mit ihm in ein japanisches Restaurant am Ventura Boulevard und sagten ihm, dass sie sich scheiden lassen würden. Natürlich rückten sie nicht sofort damit heraus. Sie brachten den Großteil des Abends damit zu, so zu tun, als wäre alles wie immer. Aber Max ahnte, dass etwas nicht stimmte. Sie waren einfach viel zu nett zu ihm"
Max will die Scheidung nicht. Er kämpft um seine Kindheit. Und wie bei allen Kindern, die um ihre Kindheit kämpfen, liegt die Lösung in der Magie. Und was ist magischer als die Relikte der Vergangenheit
"Es war eine flache, schwarze Scheibe, die halb aus einer Art Pappumhüllung gerutscht war. Max wusste, was es damit auf sich hatte, sein Dad hatte ihm davon erzählt. Solche Dinger hatte es in der grauen Vorzeit vor seiner Geburt gegeben."
Und was der Mann mit dem Zauberstab auf dieser Scheibe versprach, das wusste Max genau, das würde seine Eltern wieder zusammenführen, und zwar auf ewig.
"Mit zitternden Händen zog er die schwarze Platte ganz aus der Hülle. Der Titel stand in großen, gelben Buchstaben in der Mitte der Scheibe: 'Zabbatini: Seine größten Tricks.'"

Angenehme und unprätentiöse Hörbuchfassung

Ob man sich im Labyrinth dieser Sehnsuchtsgeschichte verirrt oder ob man bloß Tränen lacht, die tragikomischen Wendungen des Schicksals der Familien Goldenhirsch und Cohn über mehr als ein Jahrhundert eröffnen gänzlich neue Perspektiven auf die Shoah und deren schweres Erbe. Perspektiven, die nur ein Enkel jüdischer Überlebender auf eine derart leichte und sensible Weise in Szene setzen konnte.
Und Stefan Kaminski, der uns das Buch vorliest, begreift sich auf sehr angenehme und unprätentiöse Weise als bloßes Medium. Der Diogenes Verlag hat mit der Edition von Bergmanns Debütroman "Der Trick" einen sehr guten Griff getan. Die Enkel der Überlebenden melden sich wie gesagt zu Wort, eloquent, mit Charme und voller Sensibilität.

"Emanuel Bergmann: Der Trick"
Diogenes-Verlag 2016, 400 Seiten, 22 Euro
Hörbuchausgabe gelesen von Stefan Kaminski, 9 Stunden 43 Minuten, 18,95 Euro