Eltern-Kind-Bindung

Blick aufs Smartphone statt aufs Kind

Ein Vater trägt ein Baby an der Brust und schaut dabei auf sein Smartphone
Smartphone und Handy: Viele Eltern blicken ständig auf ein Display © imago stock&people
Von Astrid von Friesen · 14.11.2017
Es gibt sie gerade gut zehn Jahre, aber sie haben sich in unseren Alltag geschraubt wie kaum eine andere Maschine zuvor. Kaum ein Moment, in dem wir nicht auf unsere Smartphones schauen. Das hat Folgen, mahnt die Psychotherapeutin Astrid von Friesen.
Sehen Sie auf den Straßen auch so viele junge Eltern kinderwagenschiebend gleichzeitig in ihre Handys sprechen? Was machen eigentlich die Kleinkinder währenddessen in ihren Buggys mit Blick in die Ferne? Völlig ohne Kontakt zu den beschäftigten Eltern.

Kinder gedeihen durch die Blicke ihrer Eltern

Natürlich fällt einem sofort die Bindungstheorie von John Bowlby aus den 1940er Jahren ein. Und der wunderbar klassische Satz der Säuglingsforscher, dass Kinder nur gedeihen durch die Spiegelung in den liebevollen Blicken ihrer Eltern, in denen sie Geborgenheit, Schutz, Zuwendung, Zärtlichkeit und Weltbestätigung erfahren. Stellen Sie sich als Erwachsener einmal vor, sie würden flach auf einer Liege in Kniehöhe durch belebte Straßen geschoben: Auf der Höhe von hunderten von Beinen, von rasenden Autorädern, von Hundenasen, von bewegten Fahrradketten usw.
Meine Phantasie sagt: Das würde mir extreme Angst machen, mich verwirren, Hilflosigkeit und Einsamkeit provozieren. Zumal ohne ein vertrautes Gesicht zum Festhalten, welches Verlässlichkeit ausstrahlt in diesem Straßen- und Weltgewühl.

Mit der Reizüberflutung allein gelassen

Wie wirken diese Kleinkinder? Ich registriere oft leere Blicke, sie stieren unbeteiligt vor sich hin, wirken wie nach innen gestülpt, keineswegs wach, neugierig, interessiert. Denn die Eindrücke sind zu überwältigend, die Reizüberflutungen in der lärmenden, hektischen, noch unerklärbaren Umwelt übermächtig.
Zumal sie diese alleine aushalten müssen, denn die Eltern sind ja nicht zu sehen und stets beschäftigt. – Das Leiden an der Reizüberflutung, die Unfähigkeit zwischen wichtigen und unwichtigen Reizen zu filtern, gehört zum Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom. Und wird wiederum verstärkt durch übermäßige Reize, durch zu viele unstrukturierte Situationen.

Handys sind "Übergangsobjekte" geworden

Viele Eltern blicken ständig auf ein Display. Setzen sie deswegen ihr Kind in den Kinderwagen, um nicht gestört zu werden? Handys gelten bei Analytikern bereits als Übergangsobjekte für Erwachsene, so wie Puppen und Teddys früher. Ganz leicht daran zu messen, dass sie ebenfalls enorme Verlustängste bis wirkliche Panik provozieren, wenn sie abhandenkommen.
Später wird vielleicht ein Kind handyverliebter Eltern seinem Analytiker von folgenden Defiziten erzählen: "Meine Mutter hatte ständig eine schiefe Kopfhaltung und einen nach unten gewandten Blick. Sie blickte mich nie an, nur wenn sie meckerte, ich solle Ruhe geben. Und sie erwiderte auf meine Wut: Mein Kind, ich habe immer auf mein Handy gucken müssen, das war wichtiger als du, als deine Wünsche nach Ruhe und Kontakt!"

Ausdruck von Bindungsstörung

Natürlich nicht in allen Fällen, aber in etlichen ist dieses Szenario ein Ausdruck von bewusster oder unbewusster Bindungsreduzierung, welche auf Bindungsstörungen hinauslaufen. Und bindungsgestörte Kinder haben, so die berühmte Bindungstheorie, ein hartes, oftmals unglückliches Leben vor sich. Denn ihnen fehlt Urvertrauen und Geborgenheit.
Wenn Babys heute subjektiv das Gefühl bekommen, die Handys seien beim Stillen, bei allen Mahlzeiten, beim Zubettgehen, eigentlich ständig wichtiger für die Eltern als sie selbst, werden sie innerlich erstarren, nicht satt mit Mitmenschlichkeit werden. Sie werden entweder in die innere Emigration gehen, wie die leeren Blicke der Babys bereits andeuten, oder in die Wut, die Hektik und Unruhe: Der Schmerz des Ungeborgenseins, des Nichtgemeintseins – wird sich Bahn brechen, irgendwann, und zur wirklichen Wut führen.
Aber es gibt auch kluge Eltern, die scharf aufpassen, dass Kleinkinder noch nicht einmal einen Blick von weitem auf die blinkenden Lichter jeglicher Displays erhaschen. Stärken wir sie alle, indem wir sie loben, unterstützen, bewundern!

Astrid von Friesen ist Diplom-Pädagogin, Gestalt-, Trauma- und Paar-Therapeutin in Dresden, sie unterrichtet an der TU Freiberg, und macht Lehrerfortbildung und Supervision. Gemeinsam mit Gerhard Wilke schrieb sie: "Generationen-Wechsel: Normalität, Chance oder Konflikt? Für Familien, Therapeuten, Manager und Politiker" (LIT-Verlag, 2016)

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