Eliot Weinberger: "Vogelgeister"

Wo die Dinge sinnlos sind

Buchcover Eliot Weinberger: Vogelgeister
"Vogelgeister" - ein schillerndes Buch © Berenberg-Verlag / imago
Von Nico Bleutge · 22.12.2017
Der Essayist Eliot Weinberger hat in "Vogelgeister" Texte aus mehreren Jahrhunderten arrangiert. Texte, die sich über weite Assoziationsketten verknüpfen und dem Leser mit Zufälligkeiten statt Eindeutigkeiten konfrontieren.
"Meister Sheng Kung, der berühmte buddhistische Mönch, predigte an einem Fluss am Fuße des Bergs Hu-ch’iu. Tausend Menschen nahmen teil, und keiner von ihnen konnte verstehen, was er sagte. Die ungeschliffenen Steine im Fluss aber erhoben und verneigten sich vor ihm und nickten zur Antwort."
Der Amerikaner Eliot Weinberger ist eine Art Zen-Meister der Essayistik. Ein Meister der Offenheit, der allenfalls dadurch, wie er gefundenen Texte komponiert, etwas Deutung zwischen die Zeilen streut.

Textliche Miniaturen

"Vogelgeister" hat er seinen jüngsten Essayband genannt. Wobei "Essay" eigentlich nicht die passende Bezeichnung ist für dieses Ensemble von Geschichten, die Beatrice Faßbender sehr schön übersetzt hat. "Eine Sammlung merkwürdiger Erzählungen", wie es an einer Stelle heißt, trifft es schon besser. Ein Schöpfungstext aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert steht hier neben der Beschreibung einer Meeresreise aus dem 8. Jahrhundert und einer langen Fahrt auf dem Colorado River im Jahr 1869, an den sich zwei chinesische Miniaturen aus dem 11. und 12. Jahrhundert anschließen. Texte aus den unterschiedlichsten Zeiten und Kulturen hat Weinberger arrangiert, ohne Überleitung, ohne Kommentar, allein ein paar Motive und Wiederholungen führen den Leser durch das Buch.
Es ist ein bisschen so wie in der titelgebenden Geschichte von den Vogelgeistern: Keine menschliche Stimme ist hier zu hören, nur das Gezwitscher der Vögel. Doch können diese Vögel sprechen. "Tauben sind wie ein Haufen Aale am Stock", sagt einer von ihnen. "Enten sind Vielfraße", antwortet ein anderer. Ein Dritter meint: "Ein bärtiger Mann bringt einen Kormoran zum Brechen". In dieser Art, ohne logische oder kausale Verbindungen, einzig zusammengehalten von ein paar Fädchen der Assoziation, ist das gesamte Buch angelegt.

Ein schillerndes Buch

Aber Vorsicht, man sollte immer im Hinterkopf haben, was ein vierter Vogel zwitschert: ",Hiwa! Kia hiwa!’ ,Seid wachsam! Seid sehr wachsam!’". Was Weinberger mit seiner verschmitzten Ironie nämlich nur andeutet, ist in einem "Text des Steinkalenders" ausformuliert: Es könnte sich bei dem Verfasser um einen oder um mehrere Autoren handeln. Und das Spiel geht noch weiter: "Zweifel wurden laut, ob es diese Texte, die alle verloren sind, tatsächlich gegeben hat." Man darf sich also nie sicher sein beim Streunen durch diesen Band. Weinberger mag die Texte in irgendwelchen entlegenen Quellen entdeckt haben. Genauso gut vorstellbar ist es aber, dass er sich manche von ihnen einfach ausgedacht hat. "Vogelgeister" ist ein schillerndes Buch über die Zufälligkeit aller Zeichen. Denjenigen, die verbissen nach Eindeutigkeit suchen, hält Eliot Weinberger die wunderbare Einsicht entgegen, dass die Dinge nicht selten auf sehr angenehme Art und Weise "sinnlos" sind.

Eliot Weinberger: Vogelgeister
Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender
Berenberg-Verlag, Berlin 2017
144 Seiten, 22 Euro

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