Elektro-Smog

Die unsichtbare Belastung

Ein schwarzes Mobiltelefon liegt mit zersplittertem Display auf dem Boden.
"Ständige Störfaktoren" für unsere Gesundheit: Handys strahlen Elektro-Smog ab. © dpa / picture alliance / Peer Grimm
Von Tina Hüttl · 27.02.2015
Wie ein Detektiv sucht der Geobiologe Dieter Kugler nach elektromagnetischer Strahlung – nicht selten macht sie Menschen krank. 17 Prozent der Bevölkerung gelten als elektrosensibel und leiden unter immer mehr Mobilfunk, Hotspots oder digitalen Netzen.
Um neun Uhr morgens beim Bäcker in Salzwedel erklärt Dieter Kugler, wie der Mensch funktioniert:
"Jetzt mal ganz simpel gesagt von der Biologie her: Unser Körper braucht 60 Millivolt Gleichstrom, damit das System funktioniert. Wir haben 500 Kilometer Hauptnervenbahnen, eine Milliarde Schaltungen im Gehirn pro Sekunde, wir brauchen ein Millionstel Volt, dass eine Nervenzelle etwas tut. Das heißt, ohne Elektrizität funktioniert unser System nicht. Bis vor 100 Jahren war das ungestört. Und jetzt schauen Sie sich an, was wir in letzten 30 Jahren gemacht haben."
Die Hand greift nach dem Butterstreuselkuchen am Teller vor ihm, den Mund öffnet das elektrische Gehirnsignal – und während Dieter Kugler nun rhythmisch kaut, doziert er weiter über das, was in den letzten 30 Jahren hier passiert ist. Seiner Meinung nach der Wahnsinn: flächendeckender Ausbau von UMTS-, D-, E- und digitalem Fernseh-Netz, 7,4 Milliarden Handys weltweit im Einsatz, Hotspots selbst in Krankenhäusern, W-LAN in der Wohnung und am Arbeitsplatz – alles elektromagnetische Strahlung, die den Mensch beeinflusst:
"Faszinierend, was wir damit machen können, aber wir gehen ständig in unser System rein mit Störfaktoren. Der eine verträgt es gut – aber so unterschiedlich wie wir aussehen, so unterschiedlich reagieren wir."
Erschöpfung und Herzrasen
Kugler ist 73, weißes Haar, wache Augen hinter randloser Brille und ein kraftvoller Körper, der jünger wirkt. 600 Kilometer hat er heute schon von seinem Heimatort Bad Heilbrunn mit dem Auto zurückgelegt. Er rührt im schwarzen Kaffee, rund 40.000 Kilometer fährt er im Jahr. Meist zu verzweifelten Menschen, die über Kopfweh, Erschöpfung, Schlaflosigkeit oder Herzrasen klagen.
17 Prozent der Bevölkerung seien offiziell elektrosensibel, sagt er. Die Geschichten seiner Kunden, die er in weichem Bayrisch erzählt, klingen schön wie Märchen, in denen am Ende er als Retter auftaucht. Sein letzter Kunde rannte ein dreiviertel Jahr von Arzt zu Arzt, weil er sich kraftlos wie ein alter Mann fühlte, bis Kugler bei ihm zu Hause das W-LAN ausgeschaltet hat:
"Langer Rede, kurzer Sinn – eine gute Woche später ruf ich ihn an und habe eine jugendliche Stimme am Telefon. Und dann sag ich noch, ich dachte, das ist der Sohn: Du kannst mir deinen Vater geben, dann sagt er: Na, des bin i schon selbst. Und dann sage ich: Und wie geht's? Und dann sagt er: I bin a neier Mensch. Ich bin ein neuer Mensch, mir fehlt nichts mehr, ist der Wahnsinn, gibt's doch gar nicht. So einfach ist das, das habe ich oft."
Noch 80 Kilometer bis zum niedersächsischen Bleckede, wo er erwartet wird. Gräfin Claudia von Bernstorff rief an, weil sie unter Rückenschmerzen leidet und elektromagnetische Erd- und Mobilfunkstrahlen als Ursache vermutet. Dieter Kugler ist kein Arzt. Als Geobiologe spürt er mit der Wünschelrute Wasseradern auf und mit Messgeräten hochfrequente Strahlung von Mobilfunkantennen und W-LAN-Adaptern.
Der Smog-Spion schlägt höllisch an
Auf seiner Auto-Konsole steht ein kleines Gerät, Walky Talky-groß, der Super Esmog Spion, Kugler schaltet ihn ein. In Mikrowatt misst er jede elektromagnetische Strahlung. Als er sich der Ortseinfahrt Bleckede nähert, macht der Spion einen Höllenlärm, schlägt voll in den roten Bereich über 1000 Mikrowatt aus. Kugler hat ihn auch schon gesehen, den stillgelegten Getreidespeicher mit den vielen Antennen am Dach. Er scheint Spaß daran zu haben, Detektiv zu spielen. Mit 73 Jahren müsste er den Job eigentlich nicht mehr machen:
"Das ist ja eine Unverschämtheit. Ja, da ist alles mögliche drauf. Da ist sogar schon Tetra-Behördenfunk mit drauf und so weiter. (wildes Piepen) Und so was stellt man in einen Ort hinein, wo Wohnhäuser sind und das machen die natürlich, weil die ganze Energieversorgung schon da ist, so sparen sie einen Haufen Geld, wenn sie hier aufs Feld gehen würden, was viel vernünftiger ist, aber da müssen sie Strom legen. Also hier Kosten sparen, ach die Anwohner haben dann halt Pech gehabt. Na bravo, damit rechnet man normalerweise nicht."
Kugler hält vor dem Haus der Kundin, steigt aus, begrüßt Claudia von Bernstorff mit festem Händedruck:
"Hallo, grüße Sie!"
"Tag, das hat aber gut geklappt. Und was üben Sie hier schon?"
"Sie haben ja da vorne Sender stehen ohne Ende. Und das mitten auf dem Land! Da wohnen Sie so herrlich und dann haben Sie hier Mobilfunkbelastung von der Großstadt. Das ist Wahnsinn."
"Ja, das ist echt Wahnsinn. Ja, ist 'ne richtige Katastrophe, aber man kann sich nicht wehren."
Wichtig sei jedoch die Belastung im Haus. 10 Millionen Mikrowatt sind von der Industrie als Strahlungsgrenzwerte zugelassen, Kugler sagt: ein Irrsinn. Beim Schlafen sollte man nicht mehr als 10 Mikrowatt ausgesetzt sein. Claudia von Bernstorff führt ihn ins Schlafzimmer, wunderschöne alte Möbel vor restauriertem Fachwerkgemäuer:
Kugler: "Hier drin schaut es schon besser aus. (starkes Rauschen) Nein! Wir sind hier drin bei 1000 MW!"
Bernstorff: "Ja, das ist nicht so schön!"
Kugler: "Ja so was ist ärgerlich, weil Sie fast nichts tun können. Das heißt, Sie können sich nur hausintern abschirmen, was bei Ihnen aber nicht so einfach ist. Mit Abschirmfarben kann man was machen, mit Abschirmvorhängen, zur Not einfache Lösung: ums Bett einen Baldachin machen."
Von Bernstorff sagt, sie schlafe gut: "Ich reagiere auf die Handystrahlen offensichtlich gar nicht, sondern ich habe nur wahnsinnig auf Erdstrahlen reagiert."
Auch Erdstrahlen können das System stören
Schon vor Jahren hat von Bernstorff ihr Haus von einem Wünschelrutengänger ausruten lassen, auch Kugler beherrscht dieses uralte Wissen, das ihm ein Bauer beigebracht hat. Denn nicht nur Elektro-Smog, auch natürliche Erdverwerfung wie Wasseradern und Erdstrahlen stören das menschliche System. Von Bernstorff hat ihr Bett längst umgestellt:
"Ich bin früher, wenn ich in die Hotels kam, ich kriegte Asthma, Urlaub und so ging nicht. Und seitdem ich diesen Schlafplatz habe und da für mich Ruhe habe, weil da keine Erdstrahlen sind, kann ich auch wieder in Hotels übernachten. Also das dauert jetzt so zehn Tage, wenn ich mich auf alte Stellen lege, dann kommt das wieder."
Manchmal sei es schwer, ihren Mitmenschen das zu vermitteln, sagt sie.
Kugler kennt das Problem, 20.000 Schlafplätze hat er untersucht. Viele seiner Kunden wurden für verrückt gehalten. Im Gegensatz zu Radioaktivität etwa kann man im Körper bisher nicht objektiv messen, welche Auswirkungen elektromagnetische Strahlung hat. Tausende Studien kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, wer sie finanziert. Kugler warnt davor, in Panik zu verfallen. Wichtig sei, dass man sich beim Schlafen keinem Störungsfeld aussetzt:
"Wenn man wirklich die meiste Zeit in der Regenerationsphase einen freien Platz hat, kann man das aushalten. Das macht nichts, man muss nichts übertreiben. Aber wer da sensibel ist, der ist ein armes Schwein. Seien Sie froh, dass Sie nicht auf Funk reagieren."
Anders von Bernstorffs Nachbarin. Seit sie in Bleckede neben dem Mobilfunkmasten wohnt, findet sie nachts keine Ruhe mehr. Kugler wird auch ihr Haus untersuchen, allerdings das neue. Das alte steht zum Verkauf, weil die Familie es dort nicht mehr aushält.
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