EKD-Ratsvorsitzender: Verantwortliche für Loveparade-Unglück klar benennen

Nikolaus Schneider im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 30.07.2010
Es sei wichtig, die Verantwortlichkeiten für die Katastrophe während der Loveparade in Duisburg öffentlich zu machen, sagt Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Jan-Christoph Kitzler: Trauer herrscht in Duisburg, und Wut entlädt sich nach dem Unglück bei der Loveparade am vergangenen Samstag. Neben vielen, die Kerzen aufstellen, die sich ins Kondolenzbuch eintragen, gab es gestern auch eine Demonstration vor dem Duisburger Rathaus – "Sauerland raus" war da zu hören von Demonstranten, die einen Schuldigen suchen oder zumindest einen Verantwortlichen, und die meinen, es sei der Oberbürgermeister.

Die Frage der Schuld und der Verantwortung und wie man Trost finden kann, wird auch Tausende beschäftigen, die morgen zur offiziellen Trauerfeier kommen werden. Dort spricht unter anderem Nikolaus Schneider, der EKD-Ratsvorsitzende und Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Guten Morgen!

Nikolaus Schneider: Schönen guten Morgen!

Kitzler: Duisburg ist Ihre Heimatstadt, Sie sind dort geboren, haben dort als junger Pfarrer Ihre erste Stelle gehabt – heißt das auch, dass Sie einen ganz persönlichen Blick auf das Unglück haben?

Schneider: Ja natürlich. Der Ort ist mir vertraut und ich bin in der Zeit, als die Loveparade schon in Planung war, auch mehrere Male über die A 59 da vorbeigefahren und habe immer darauf geschaut und mich gefragt, wie das da alles wohl abgehen wird.

Kitzler: Die, die überlebt haben, die, die das Ganze miterlebt haben, die suchen jetzt einen Schuldigen, haben die nicht ein Recht darauf, einen Schuldigen zu finden, um ihre Trauer zu kanalisieren?

Schneider: Also es gehört sicher dazu, dass die Verantwortlichen klar benannt werden, und das ist auch ein wichtiges Element für Menschen, die trauern. Sie wollen dann wissen, wer hat welche Verantwortlichkeit für sich zu respektieren und auch zu bekennen, und unter Umständen auch daraus Konsequenzen zu ziehen. Das ist ein völlig berechtigtes Anliegen. Es muss nur mit der nötigen Sorgfalt und der nötigen Fairness geschehen.

Kitzler: Schuld ist ja bei uns vor allem eine juristische Frage, die Aufarbeitung dauert oft ziemlich lange und befriedigt die Hinterbliebenen bei solchen Katastrophen oft nicht so richtig. Wie kann man da Abhilfe schaffen?

Schneider: Ja, das ist in der Tat sehr schwierig. Ich glaube, eine kluge Informationspolitik ist wichtig, von daher finde ich es richtig, dass die Polizei an die Öffentlichkeit gegangen ist, und auch die Stadtverwaltung konnte durchaus die Vorgänge bei sich öffentlich machen. Das heißt ja noch nicht, dass man auf Einzelne mit dem Finger zeigt, sondern der Öffentlichkeit gegenüber deutlich macht, wie bestimmte Abläufe waren. Die Bewertung des Ganzen ist ja dann immer noch was Zweites.

Kitzler: Die Schuldfrage ist ja das eine, die Verantwortung das andere, das haben wir schon kurz angesprochen. Werden in Ihren Augen die Menschen in Duisburg gerade alleingelassen, weil niemand so recht die Verantwortung übernehmen will?

Schneider: Das ist eine schwierige Situation, und das ist für alle Beteiligten schwierig. Ich habe auch ein gewisses Verständnis für den Oberbürgermeister, der ja auch Morddrohungen erhält und nun sehen muss, wie er sich persönlich schützt und seine Familie schützt, das ist schon eine schlimme Lage. Andererseits hilft aber nur Eins: Man muss das, was man weiß, auch deutlich öffentlich sagen, damit die Menschen das nachvollziehen können und deren berechtigte Ansprüche auf Information auch befriedigt werden.

Kitzler: Wie soll die Öffentlichkeit mit der Trauer, die jetzt herrscht, umgehen? Auf der einen Seite wird morgen wieder bei der Trauerfeier, der offiziellen, ein großer Medienrummel herrschen, es gibt ein großes öffentliches Interesse, andererseits ist Trauer ja eine sehr intime Sache. Kann man überhaupt angemessen mit so einer Situation umgehen?

Schneider: Da muss jeder seinen Weg finden. Wir haben kollektive Formen zu trauern, dazu dient ja dann auch der Gottesdienst, in dem wir gemeinsam beten, nachdenken, singen, und wir haben ganz individuelle Formen der Trauer, wo Menschen sich schreiben, anrufen, miteinander reden oder miteinander weinen.

Und dann gibt es schließlich ja doch diese beeindruckende Zahl von Kerzen und Herzen, die in der Unterführung abgelegt werden, auch das ist eine Form des Trauerns. Und ich finde es schon ganz beeindruckend, wie viele Menschen in Duisburg sagen, das ist auch unsere Sache, wir trauern mit und das ist für uns die Möglichkeit, den Opfern, den Angehörigen zu zeigen: Ihr seid da nicht allein.

Kitzler: Das heißt, so eine Situation kann die Menschen auch zusammenbringen?

Schneider: So eine Situation kann Menschen in der Tat zusammenbringen, in der gemeinsamen Trauer.

Kitzler: Sie werden am Samstag ja auch sprechen bei der Trauerfeier, was kann die Kirche tun, wie können Sie in dieser Situation helfen?

Schneider: In der Heiligen Schrift gibt es viele Situationen, in der die Trauer thematisiert wird, und wir fragen dabei, wie Menschen miteinander vernünftig und angemessen umgehen und wie Gott im Verhältnis zu den Menschen steht, wenn es um diese Fragen geht. Und darum wird es mir gehen. Und ein ganz, ganz wichtiges Wort aus der Heiligen Schrift ist ja, dass Gott nahe denen ist, die ein zerbrochenes Herz haben, und denen hilft, die ein zerschlagenes Gemüt haben – und diesen Gedanken will ich auch ganz stark machen.

Kitzler: Es gibt in so einer Situation natürlich aber auch viele Menschen, die an Gott zweifeln, die sich abwenden, die sagen, wie konnte so was überhaupt passieren. Was sagen Sie denen?

Schneider: Diese Frage will ich auch aufnehmen, sie ist ja auch berechtigt: Wie konnte Gott das zulassen, dass so 21 Menschen gestorben sind? Ich will das gerne thematisieren und dabei auch deutlich machen, der Glaube ist ja keine Lebensversicherung, und es bedeutet ja nicht, dass alles im Leben immer gut geht. Ich meine, gläubige Menschen machen die Erfahrung, ich hab sie auch persönlich immer wieder gemacht und auch ganz schrecklich gemacht.

Es gehört aber zur Kraft des Glaubens, dass wir darunter nicht zerbrechen, sondern wissen, unser Gott ist einer, der auch in der äußersten Not, ja selbst im Tod Menschen nicht verlässt und bei ihnen ist. Und die Frage des Eingreifens Gottes, über die spekuliere ich nicht so viel, weil sie auch häufig dazu benutzt wird, menschliche Verantwortlichkeiten dann zu verdrängen oder von denen abzulenken. Und das darf nicht geschehen.

Kitzler: Wir haben ja schon von Verantwortung gesprochen, die Verantwortung liegt natürlich auch bei den Medien, bei uns Berichterstattern, was erwarten Sie da von uns, haben Sie den Eindruck, da herrscht eine angemessene Fairness?

Schneider: Ich muss sagen, dass ich nicht so viel verfolgt habe, weil ich auch im Augenblick in Urlaub bin, aber die Darstellungen, die ich im Fernsehen verfolgen konnte oder doch, die ich in einigen Zeitungen gelesen habe, die fand ich vernünftig und fair.

Es gibt allerdings auch das übliche marktschreierische Auftreten, das an möglichst schreienden Bildern sich erfreut und mit knalligen Überschriften daherkommt – das ist wenig hilfreich und heizt ja eher an und sorgt dann vielleicht für bessere Verkaufszahlen. Also hier muss die Berichterstattung auch dem Ereignis und den Gefühlen der Menschen gegenüber sensibel sein und sich demgegenüber angemessen äußern.

Kitzler: Trauer, Schuld, Verantwortung und der angemessene Umgang mit der Katastrophe von Duisburg – darüber sprach ich mit Nikolaus Schneider, dem EKD-Ratsvorsitzenden und Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Vielen Dank Ihnen!

Schneider: Bitteschön!