Einsichten in ein komplexes Gemeinwesen

24.07.2011
Blattschneiderameisen stimmen ihre Arbeitsteilung perfekt aufeinander ab und organisieren ihr gemeinsames Leben so vorbildlich. In ihrem Buch erklären die Insektenforscher Bert Holldöbler und Edward Wilson, wie das funktioniert.
Millionen Blattschneiderameisen bilden gemeinsam eine perfekte Zivilisation. Jedes Tier stammt von derselben Königin ab und übernimmt im Staat genau festgelegte Aufgaben. Gemeinsam bilden sie keine Gesellschaft aus einzelnen Individuen, sondern einen Superorganismus.

"Blattschneiderameisen - der perfekte Superorganismus" heißt dann auch das neue Buch der Insektenforscher Bert Hölldobler und Edward Wilson: Auf knapp 200 Seiten zeichnen sie ein detailreiches, wissenschaftlich fundiertes Bild dieser Ameisen. Das Buch ist entstanden aus einem Kapitel des reich bebilderten Vorgängers "Der Superorganismus". Während die beiden Autoren darin versuchten, einen Überblick über die Welt der staatenbildenden Insekten zu bieten, konzentrieren sie sich diesmal auf eine einzelne Art.

Überall in Südamerika, Mittelamerika und im Süden der USA bauen verschiedene Arten von Blattschneiderameisen riesige unter- und oberirdische Bauten, die die Größe eines Einfamilienhauses erreichen können. Auf "Autobahnen" so breit wie eine menschliche Hand laufen kräftige Arbeiterinnen auf mehreren Spuren in beide Richtungen. Sie tragen zurechtgeschnittene Blattstücke, die viel schwerer sind als sie selbst. Auf ihrer Last sitzen kleinere Ameisen der gleichen Art. Sie beobachten den Luftraum, um die Lastenträger vor den Angriffen fliegender Insekten zu schützen.

Noch beeindruckender ist die genau abgestimmte Arbeitsteilung innerhalb des Ameisenbaus, wie die beiden Autoren anschaulich beschreiben. Kräftige Soldatinnen schützen ein verzweigtes System aus Gängen und Räumen. Arbeiterinnen unterschiedlicher Größe sind ständig damit beschäftigt, zu konstruieren und zu reparieren.

Eine Schlüsselrolle kommt den landwirtschaftlich tätigen Ameisen zu. In speziellen Kammern züchten sie ein flaumartiges Pilzmyzel, das sie mit frischem Blattmaterial füttern. Die Pilze werden gebraucht, um die Larven zu ernähren. Kleine Pflege-Ameisen umsorgen den Nachwuchs 24 Stunden am Tag. Auch dieser Teil des Ameisenstaats funktioniert wie eine moderne Fabrik. Fütterung, Aufzucht und Reinigung müssen wie am Fließband genau koordiniert werden.

Die einzelnen, zum Teil immer noch unverstandenen Prozesse des komplexen Gemeinwesens schildern Bert Hölldobler und Edward O. Wilson mit großer Liebe zum Detail, ohne das Gesamtsystem Ameisenstaat aus dem Blick zu verlieren. Sie tauchen tief in die aktuelle Insektenforschung ein, haben aber trotz jahrzehntelanger Arbeit im Wissenschaftsbetrieb das Staunen nicht verlernt.

Wie schon das Vorgängerbuch kommt auch ihre Einführung in die Welt der Blattschneiderameisen nicht ohne Artnamen und Fachbegriffe aus. Aber durch verständliche Erklärungen und einen einfachen Sprachstil ist ein gut lesbares Buch entstanden, das nicht nur informiert, sondern auch begeistert. Das liegt zum großen Teil auch an den Grafiken und hervorragenden Farbfotografien: Schon beim ersten Blättern geben sie einen eindrucksvollen Blick ins Innere dieses Ameisenstaates und machen Lust auf mehr.

Besprochen von Michael Lange

Bert Hölldobler / Edward O. Wilson: Blattschneiderameisen – der perfekte Superorganismus
Springer, Heidelberg 2011
184 Seiten, 29,95 Euro
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