Einsame Reise durch eine inhumane Welt

04.12.2009
Andrej Blatnik zählt zu den prominenten Vertretern der slowenischen Gegenwartsliteratur. In seinem Roman "Ändere mich" entwirft er einen bedrohlichen Zukunftsort. Dort kann, wer Langeweile hat, per Pay-TV die Überwachungskameras der Stadt verfolgen.
Irgendwann im Laufe einer Selbstverwirklichungsodyssee kommt Borut noch einmal im Büro seines Chefs vorbei, dem er eigentlich schon gekündigt hat. Der Generaldirektor des führenden Marketingkonzerns, kurz GD, bietet ihm eine Rückkehr an. Er solle dem Krieg endlich wieder zu einem positiven Image verhelfen. Statt den Auftrag zu übernehmen, greift Borut nach einer Sichel, Erinnerungsstück des GDs aus seiner Zeit als kommunistischer Funktionär, und pflanzt sie diesem ins Knie. Während das Blut auf den Büroteppich spritzt und Borut die Szene verlässt, überlegen Mitarbeiter des Konzerns, wie man den GD vollends fertigmachen könnte. Es ist die zentrale Szene eines Romans, in dem der slowenische Autor Andrej Blatnik eine ganz und gar vom Kommerz gesteuerte Welt entwirft. Unter dem Titel "Ändere mich" liegt dieser Roman im Folio Verlag auf Deutsch vor.

Man bewegt sich etliche, aber nicht allzu viele Jahre nach unserer Zeit durch eine Stadt, die noch ein paar Züge des beschaulichen Ljubljana aufweist. Vor allem aber ist diese Stadt ein austauschbarer Ort für Kauf, Verkauf und Konsum geworden. Wichtigster Schlüssel der Menschen zur Außenwelt ist ein ominöses Gerät, genannt: Kontakter. Wer sich bedroht fühlt, drückt auf einen nicht näher beschriebenen Neutralisator. Sozialer Unruhe begegnet der Staat mit Loyalitätsprogrammen. Wer Langeweile hat, kann per Pay-TV das Programm der Überwachungskameras in der Stadt verfolgen. In dieser schönen neuen Welt des 21. Jahrhunderts scheint immerhin der Hunger weitgehend besiegt - dank der globalen Massenproduktion von Fastfood. Vitaminreiche Kunstpflanzennahrung wird fast ohne Arbeitskräfte von einem gigantischen Unternehmen namens Synthesa auf den Markt gebracht.

Borut ist zunächst ein Teil des Systems. Er hat auf eine Universitätskarriere verzichtet, um als Werbetexter von Erfolg zu Erfolg zu eilen. Doch dann, irgendwann in den besten Jahren, hat er die auch von ihm selbst produzierte Künstlichkeit satt und bricht aus. Er kündigt nicht nur seine Arbeit, er nimmt auch eine Auszeit bei seiner Frau Monika und den beiden Söhnen. Während Monika sich jetzt endlich mehr um die Kinder kümmert, ihre Arbeit in einer Firma zur Verwaltung menschlicher Ressourcen vernachlässigt und zugleich einen jungen Liebhaber aufgabelt, begibt sich Borut auf die eher einsame Reise durch die inhumane Welt, für die er nicht mehr verantwortlich sein will. Am Ende verübt er mit einem Weinöffner einen Anschlag auf den Hauptrechner der Synthesa und kehrt zu seiner Familie zurück. Es gibt so etwas wie ein Happy End.

Andrej Blatnik wurde 1963 in Lubljana geboren, wo er heute als Verlagslektor und Lehrer für kreatives Schreiben lebt. Blatnik hat in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten Romane, Essays, Erzählungen und Hörspiele veröffentlicht. Er zählt zu den prominenten Vertretern der slowenischen Gegenwartsliteratur. Zwei Erzählbände, "Das Gesetz der Leere" sowie "Der Tag, an dem Tito starb", liegen bereits seit Längerem auf Deutsch vor.

In seinem neuen Roman spielt Blatnik souverän mit den Genres der Trivialliteratur, nutzt Elemente des Science-Fiction für sich und bedient sich auch des Kitsches, um seinen vollkommen absurden und zugleich ganz realitätsnahen Erzählkosmos auszustatten. Mit feiner Ironie versteht er es, jenes Gefühl von Fremdheit und diffuser Bedrohung herzustellen, das Menschen mitten im gut organisierten Fortschritt erfassen kann. "Ändere mich" ist ein lesenswertes Buch – komisch und beklemmend.


Besprochen von Martin Sander

Andrej Blatnik, Ändere mich,
aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof,
Folio Verlag Wien - Bozen 2009, 240 Seiten, 22,50 EUR