Einsame Männer in Krisen

Von Susanne Burg · 13.09.2011
Das Toronto International Film Festival ist das wichtigste Festival für den US-amerikanischen Film und gilt weltweit als das zweitwichtigste Festival nach Cannes.
Besonders am Abend verwandelt sich Toronto im Zentrum in ein einziges großes Straßenfest.

Bands spielen, in den Bars und Restaurants drängen sich die Menschen - und vor jedem Theater und Kino der Stadt stehen Fans am Roten Teppich und warten.

"No, I do not."

Sie wissen zwar nicht immer, auf wen sie warten, aber egal, dabei sein ist alles.

"There is a real energy in the city."

Das Festival bringt Energie in die Stadt. Es bringt Prestige, Geld - 100 Millionen Euro in 10 Tagen - und eine Menge Stars. Frisch aus Venedig ist Michael Fassbender eingeflogen, dort hat er gerade den besten Darstellerpreis für seine Rolle in "Shame" bekommen. Er wird seit Tagen von Termin zu Termin gereicht, in Venedig per Boot, hier im Auto.
Michael Fassbender: "I am walking around in cars instead of in boats. Otherwise it's really a bit of a whirlwind really."

"In Deutschland ist Venedig präsenter, aber in der Branche hat Toronto einen sehr guten Ruf", sagt Gerald Schaffarczyk. Er ist Programmplaner bei Pro Sieben, in der Abteilung Spielfilm.

"Toronto hat keine Angst, Mainstream zu zeigen. Du kannst vom österreichischen Avantgarde-Film bis zum nächsten Blockbuster hier alles sehen, das ist schön und gut."

Schaffarczyk sichtet Filme in Toronto, auch solche, die nicht unbedingt ins Profil von Pro Sieben passen - wie den neuen Film von Francis Ford Coppola, "Twixt". Coppola hat sich diesmal von Edgar Allen Poe inspirieren lassen und einen experimentellen Horrorfilm gedreht. Er benutzt die Ästhetik von Stumm-, genauso wie von modernen Horrorfilmen, es gibt Traumsequenzen und 3-D-Szenen.

Val Kilmer spielt in "Twixt" einen erfolglosen Schriftsteller, der durch die Provinz tingelt, um seine Bücher zu verkaufen. Ein schrulliger Sheriff verwickelt ihn in den mysteriösen Mordfall eines Mädchens. Die Untersuchungen nehmen merkwürdige Wege, und sie haben mit einem Motorbootunfall zu tun. Was als fantastische Geschichte daher kommt, hat für Coppola eine sehr persönliche Dimension. 1986 kam sein Sohn Gian-Carlo bei einem Bootsunfall ums Leben.

"Ich hatte keine Ahnung, dass mich der Film dort hin bringt", sagt Francis Ford Coppola sichtlich bewegt. "Ich wusste nicht, wie sehr ich mich verantwortlich fühlte für das, was vor 25 Jahren passiert ist. Ich hätte dort sein sollen."

Die Filmkritik war dennoch vernichtend. Das Branchenblatt "The Hollywood Reporter" sprach von einem peinlichen Jugendfilm und der wohl "dümmsten" Arbeit eines einst wichtigen Filmemachers. Das ist hart und ungerecht, aber Francis Ford Coppola ist solche Kritik gewohnt.

"'Der Pate' hat fürchterliche Kritiken bekommen, als er herauskam", sagt Coppola.

"Auch bei den darauffolgenden Filmen, bei 'Der Pate - Teil II' oder 'Apokalypse Now' sagten die Leute nicht: Oh Du machst so interessante Filme, sondern 'Das ist der schlimmste Mist, den Hollywood seit 40 Jahren hervorgebracht hat.' 30 Jahre später dann heißt es schließlich: Das sind interessante Filme. Ich muss also noch 30 Jahre warten bei den Filmen, die ich jetzt mache. Aber die Wahrheit ist ja: In 30 Jahren bin ich nicht mehr da."

Einsame Männer in Krisen, auf Sinnsuche und im Kampf mit sich selber - dieses Thema zieht sich durch viele der Filme in Toronto. Etwa in "Machine Gun Preacher" von Marc Forster, einem Film über einen Drogendealer, der sein Leben ändern will und schließlich seine Bestimmung in der Rettung von Kindern im Sudan findet - oder auch in "Rampart" von Oren Moverman. Hier haben sich bekannte Moverman-Gesichter zusammengefunden: Ben Foster und Woody Harrelson, die schon im letzten Film des israelischen Filmemachers mitgespielt haben, in "The Messenger - Die Letzte Nachricht".

Diesmal ist Woody Harrelson ein durch und durch korrupter Polizist in Los Angeles. Nun ist die Filmgeschichte nicht arm an korrupten Polizisten, großartig dargestellt etwa von Denzel Washington, Harvey Keitel oder Richard Gere, aber mit denen wollte Harrelson gar nicht erst konkurrieren, sagt er.

Woody Harrelson: "Für mich war das Wichtigste, in die Gedankenwelt eines Polizisten hineinzufinden. Mit Polizisten durch L.A. zu fahren, hat mir geholfen."

Harrelson findet sich auf unglaubliche Weise in diese Gedankenwelt. "Rampart" ist die brutale filmische Reise in das Innere eines Polizisten, der sich selber aus dem Sumpf herausziehen will, aber immer tiefer hineingerät und dem dabei vor lauter Druck fast der Kopf platzt. Die visuelle Umsetzung von Moverman tut das ihre: Der Film ist ein einziger Angriff von Farben und Klang. Das Sonnenlicht erdrückt, und auch ohne große Action schwebt ständig Spannung in der Luft.

"Rampart" ist eines der ganz großen Highlights dieses Festivals und ein definitiver Anwärter auf den Publikumspreis - dem ersten Stimmungsmacher und -baromenter für die Oscar-Nominierungen.

Link:
Toronto International Film Festival