Einklang von Anliegen, Form und Inhalt

Von Anette Schneider · 27.10.2011
Die Fotografen des "Neuen Sehens", die mit Licht und Schatten experimentierten, mit Perspektiven und Kompositionen, waren fast alle Männer: Moholy-Nagy, Imre Kertész, Cartier-Bresson. Kaum bekannt ist dagegen die Fotografin Eva Besnyö, deren Fotos jetzt in Berlin zu sehen sind.
Sie zeigt den Alexanderplatz von oben, neigt dabei die Kamera heftig nach links, so dass Straßenbahnschienen die Bildfläche diagonal zerteilen. Auch in ihrer Serie über Berliner Kabelarbeiter sprengt sie die traditionelle Bildform durch Diagonalen: Mal zerschneiden schwere Kabelschnüre die Bildfläche, mal Holzbalken, auf denen Arbeiter über ausgehobene Gräben balancieren.

Als Eva Besnyö diese Bilder 1931 machte, war sie gerade 21 Jahre alt, und ein Jahr zuvor aus ihrer Heimat Ungarn vor den Faschisten nach Berlin geflohen. Bewusst hatte die jüdische Antifaschistin und ausgebildete Fotografin als Exil die Metropole der modernen Fotografie gewählt, das Zentrum des "Neuen Sehens". Und, so Kuratorin Marion Beckers:

"Sie ist durch die Straßen gelaufen, hat die Bilder gemacht, die sie gesehen hat, und hat da das Neue Sehen, was sie kennengelernt hat, umgesetzt. Dann hat sie die russischen Filme im Kino gesehen - Montageschnitt, die Close-Ups und auch diese unterschiedlichen Sehweisen auf das bewegte Bild - das hat sie schwer beeinflusst."

Im besten Sinne. Denn anders als die vielen, die das "Neue Sehen" allein für rein formale Experimente nutzten, wollte Eva Besnyö mehr: Sie zeigt Menschen, vor allem Kinder und Arbeiter, und verwendet immer wieder die sogenannte "russische Diagonale" – Inbegriff von Dynamik und Bewegung. Symbol für gesellschaftlichen Auf- und Umbruch. Schnell arbeitete sie für zahlreiche Zeitungen.

"Sie hat ein Herz, was links schlug, und das ihr ganzes Leben. Sie war immer für eine gerechte Umwelt. Sie hat auch den neuen Menschen in Russland begrüßt und hätte auch gerne das selber angeguckt, aber sie ist nach Moskau dann nicht gekommen. Sie hat die Fotografie nie als Kunst gesehen. Ein Teil ist: Wie sie sich ausdrückt, die Welt zu sehen, und was sie zeigen kann davon."

Schmerzlich macht die chronologisch aufgebaute Ausstellung in der Berlinischen Galerie deutlich: Die Welt zu zeigen, wie sie sie sieht, war Eva Besnyö nur für kurze Zeit möglich. Denn immer wieder verhinderten verheerende gesellschaftliche Verhältnisse, dass sie ihren eigenen Weg gehen konnte: Hatten die ungarischen Faschisten sie nach Berlin vertrieben, musste sie Ende 1932 vor den deutschen Faschisten nach Amsterdam fliehen, so Kuratorin Elisabeth Moortgart.

"Sie ist aus Berlin weggegangen schweren Herzens, weil sie hier wirklich die schönsten Jahre in jeder Hinsicht als freier Mensch, als Fotografin, die nach ihrem eigenen Gusto, nach ihrem Wunsch und Wille durch die Straßen ziehen konnte und Bilder machen konnte, weggegangen. Sie war am Beginn, ein eigenes Atelier installieren zu können."

In Amsterdam stand sie vor dem Nichts. Sie hielt sich mit Auftragsarbeiten über Wasser. Bald machte sie sich einen Namen als Architektur- und Werbefotografin. Und so folgen in der Ausstellung auf die lebendigen Berliner Bilder kalte Ansichten schicker Amsterdame Villen im Bauhausstil. Ihre eigene Sicht auf die Wirklichkeit konnte Eva Besnyö nicht zeigen. Zwar war sie Mitglied der Arbeiterfotografie, doch, so erklärt Marion Beckers:

"Sie konnte sich nicht politisch mitbewegen: Die Arbeiterfotografen demonstrierten, fotografierten auf der Straße, und sie konnte nicht mitdemonstrieren. Weil: Wenn man als Ausländer demonstrierte, konnte man sofort verhaftet werden."

Nur in wenigen Bildern blitzt auf, was sie wohl eigentlich umtrieb und sich zu zeigen sehnte: Das Alltagseben, das sie festhielt in einem Paar alter, ausgetretener Schuhe, einem Arbeitslosen, und dem in großen Buchstaben beschwörend auf eine Grachtenmauer gemalten Wort "Arbeiders".
Kurz nachdem 1940 die deutsche Wehrmacht die Niederlande überfallen hatte, erhielt Eva Besnyö Arbeitsverbot. Sie ging in die Illegalität und war mit ihrem Mann im Widerstand tätig. Nach der Befreiung vom Faschismus musste sie erneut bei Null anfangen, und als Mutter zweier Kinder Erziehung, Haushalt und Beruf zusammenbringen.

"Sie ist dann eigentlich erst 1970 wieder in die Öffentlichkeit hineingetreten, als die 'Dolle Minna-Bewegung' losging, und sie sich dort aktiv eingereiht hat. Und das waren genau ihre Themen, die ja die Frauenbewegung eingefordert hat: Dass die Frau gleichberechtigt ist. Dass man frei über sein Leben bestimmen kann."

Und sie fotografierte die Aktionen und Verhaftungen. In den 80er Jahren, als sich Fotografie endgültig als Kunstform durchgesetzt hatte, wurde Eva Besnyös Werk wiederentdeckt und gewürdigt. Zumindest in den Niederlanden, wo sie große Einzelausstellungen erhielt.

Allein dem hartnäckigen Durchhaltevermögen der Macherinnen des Verborgenen Museums ist es zu verdanken, dass jetzt auch hierzulande ein erster umfassender Überblick ihres Werks zu sehen ist. Und zwar in eben der Stadt, in der die 2003 verstorbene Fotografin dank einer vielfältigen Presselandschaft für kurze Zeit in ihren Bildern Anliegen, Form und Inhalt auf beeindruckende Weise in Einklang bringen konnte.


Weitere Infos im Web: Retrospektive Eva Besnyö