Einige Hintergründe des Nacktseins

23.04.2013
Der Bestseller-Autor Ernst Horst hat sich mit seinem neuesten Werk einer Bewegung gewidmet, die es nicht leicht hatte in ihrer rund hundertjährigen Geschichte: die Freikörperkultur. Allerdings vermeidet er es, auf die teilweise fragwürdigen Motive und Protagonisten der Bewegung genauer einzugehen.
Dem hierzulande geförderten Glauben zufolge ist der Mensch nicht in Samt und Seide zur Welt gekommen, sondern nackt. Eben "wie Gott ihn schuf" (und sie dann auch). Dafür, dass er (und sie) sich etwas anzieht, bedurfte es eines Sündenfalls (der unbotmäßigen Lust auf Wissen von ihr). Insofern scheint es unlogisch, die Lust auf Nacktheit, also die Rückbesinnung auf "Gottes Urwerk", wiederum für sündig zu erklären und – je nach religiösem Eifergrad – dagegen anzutoben.

Zweitausend Jahre nach des Glaubensgründers (fast nacktem) Märtyrertod jedenfalls erscheint öffentliche Nacktheit kaum noch anstößig, zumal im Verbund mit Sonne, Wasser und Wohlsein. Jedenfalls kein Anlass für eine ganze Bewegung – wie noch vor gut 100 Jahren. Eine sehr deutsche Bewegung übrigens, samt Vereinen, weltanschaulichen Scharmützeln und Statuten. Warum entstand sie hier? Wie hat sie sich durch die gut siebzig Jahre jenes "Jahrhunderts der Gewalt" geschlagen? Welche aufmüpfigen, rebellischen, romantischen, reaktionären oder okkulten Triebfedern hatte sie? Was an ihr war wirkmächtig und warum? Der Untertitel "FKK - Wie der freie Körper zum deutschen Kult wurde" lässt Antworten auf solche Fragen erwarten, führt aber in die Irre.

Für Ernst Horst ist, warnt er gleich in der Einleitung, "Freikörperkultur zwischen 1893 bis circa 1970 hauptsächlich ein Pseudoereignis", das "hauptsächlich als seine mediale Inszenierung stattfindet". Er schätzt das Verhältnis von FKK-Praxis zu Konsum von FKK-Magazinen auf zehn zu neunzig Prozent und legt sein Augenmerk vor allem auf letztere und da wiederum auf die (westdeutsche) Endphase 1949–1970. Davon zeugen auch die 56 Bildseiten, zumeist Reproduktionen von Magazinfotos.

Horst schildert die Geschichte der Zeitschriften und ihrer Verleger, er skizziert die "großen Männer" der FKK-Bewegung und "die eine Alibifrau" und, an Biographischem aufgehängt, das Vereinswesen. Er streift intern tobende Dispute zwischen Asketen – viele Gründerväter waren Hardcore-Abstinenzler und Vegetarier – und Hedonisten wie auch die tobende Prüderie von außen – in Form der Gesetze gegen "Schmutz & Schund", des "Volkswartbunds" – und die notorischen Versuche der FKKler, sich als quasi asexuelle Spießer dagegen zu inszenieren.

Horst hat eine Liebeserklärung im Sinn, mit munter-mildem Spott über die mediale Biederkeit des FKK-Wesens. Auf heikle Themen lässt er sich lieber nicht ein, dafür, sagt er, hätte er mehr recherchieren müssen. Dass FKK-Akt-Ästhetik teilweise explizit in Richtung Pädophilie ausfranst, dass etliche "große Männer" erklärte Antisemiten waren – nicht sein Thema.

Der Vorkämpfer der deutschen FKK-Bewegung Richard Ungewitter ist ihm zutiefst zuwider, aber vor allem wegen seiner "humorlosen Verbissenheit"; den Bestseller des ebenso glühenden Nazis Hans Surén blättert er nur gründlich durch, "mehr von mir zu verlangen wäre Folter". So bringt "Die Nackten und die Tobenden" leider wenig Licht in einen historisch interessanten "Kult", eignet sich aber gut zum gründlichen Durchblättern, auch an Textilstränden.

Besprochen von Pieke Biermann

Ernst Horst: Die Nackten und die Tobenden, FKK – Wie der freie Körper zum deutschen Kult wurde
Blessing Verlag, München 2013, 320 Seiten mit Abb., geb. 22,90 Euro
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