Eingeübte Gedankengänge, neuer Feind

Von Eberhard Spreng · 27.06.2010
Alain Badious Formel "Idee des Kommunismus" bildete das Leitmotiv für eine dreitägige Konferenz in der Berliner Volksbühne.
"Die Idee des Kommunismus macht es möglich, dass eine konkrete Handlung, die immer in einem lokalen Kontext stattfindet, symbolisch Teil einer noch fiktiven Menschheitsgeschichte werden kann. Die Idee des Kommunismus bildet die Verknüpfung zwischen einer lokalen Realität und ihrer historischen Ortlosigkeit. Die Idee des Kommunismus macht es also einem einzelnen lebenden Individuum möglich, zum universellen Subjekt der Geschichte zu werden."

(Aus Alain Badious Plädoyer für eine Renaissance des Kommunismus.)

Die Vorträge der vier Panels, die sich über mehr als zwölf Stunden erstreckten, wurden auf hohem Abstraktionsniveau gehalten. Fast alle der referierenden Neo-Kommunisten und Neo-Marxisten machen nicht mehr, wie früher einmal, die europäische Sozialdemokratie als ihren Hauptfeind aus, sondern den globalen Liberalismus. Jan Völker hält ihm vor, das Leben der Menschen in einem einzigen großen Nihilismus zu ertränken:

"Der Liberale richtet sein Genießen an der Äußerlichkeit der Objekte aus und darum jagt sein Begehren endlos von Objekt zu Objekt. Die schlechte Unendlichkeit des getriebenen Begehrens zeigt, dass jedes Objekt gegen jedes andere austauschbar ist und damit jedes Objekt seinem Wesen nach nichts ist. Dieser immanenten Beschränkung steht eine weitere Beschränkung gegenüber, die eine unmögliche Position markiert: Sie beruht auf einer Teilung in diejenigen, die am Weltmarkt partizipieren und diejenigen, die dies nicht tun. Wie Alain Badiou mehrfach bemerkt hat, bezeichnet der Name Markt eine Welt, die keine Welt ist. Die globalisierte Welt des Kapitals ist: keine Welt."

In recht braver Gefolgschaft blieben die Referenten den eingeübten Marx'schen Gedankengängen treu und sprachen vom Fetischcharakter der Dinge, von Produktion, von Entfremdung - von all jenen Verdinglichungen einer Ökonomie also, die von Adam Smith bis zu Marx den Blick ausschließlich auf das Produktions- und Marktgeschehen gerichtet hat und dabei den grundlegenden Wirkmechanismus des Kapitalismus übersieht: die Eigendynamik eines Geldsystems, der verzinsten Kreditierung von Eigentum und der aus ihr unvermeidlich entstehenden Reichtumsumverteilung von unten nach oben.

Traditionsgemäß stark sind die neokommunistischen Ansätze allerdings in der politischen und kulturellen Beschreibung der herrschenden Verhältnisse und ihrer Ideologien, in denen nunmehr, das heißt 20 Jahre nach dem Ende der sozialistischen Länder des Ostblocks, ein historischer Endzustand erreicht und jede Hoffnung auf Veränderung unmöglich sein soll. Hier kamen, wie auch sonst bei dem Treffen, die feurigsten Beiträge vom slowenischen Improvisationsphilosophen und Turbodenker Slavoj Žižek:

"Uns wird ermöglicht, unsere physischen und psychischen Fähigkeiten zu steigern, unser Erbgut durch genetische Interventionen zu verändern bis hin zu dem Traum, Unsterblichkeit zu erlangen, indem wir unsere Identität in eine Software übertragen, die sich von einer Hardware-Plattform zur anderen kopieren lässt. Aber da gibt es auch das Spiegelbild dieser Möglichkeiten: Denn sobald man von Politik oder Ökonomie spricht, stößt man auf eine Mauer der Unmöglichkeiten. Man darf sich nicht in großen kollektiven Bewegungen engagieren, weil sie in totalitärem Terror enden; man darf nicht an dem alten Wohlfahrtsstaat festhalten, denn dann ist man nicht konkurrenzfähig und gerät in Wirtschaftskrisen und so weiter und so fort: Das ist der Schlüssel zum Verständnis unserer Situation: die Frage, wie Möglichkeiten und Unmöglichkeiten verteilt sind."

Nicht nur in theoretischen Debatten wollte die Volksbühne die Idee des Kommunismus verfolgen. Das künstlerische Beiwerk – Performance, Theater und Filme – bildete so etwas wie locker eingestreute Ornamentik, die sich gleichwohl zu einem Gesamteindruck nicht fügen will: Frank Castorf zeigte, noch als Voraufführung, sein Badener Lehrstück vom Einverständnis, mit dem Brecht dereinst, zeitgleich zu seinem Ozeanflug, eine pessimistische Prognose einer zukunfts- und technikversessenen Menschheit abgibt.

Dem Menschen wird nicht geholfen und wo doch, dann nur im Rahmen einer clownesken Persiflage. Dem Herrn Schmitt tun die Gliedmaßen weh, und nur durch Amputation ist ihm zu helfen. Während auf der Bühne eine Puppe mit dem Kopf des Intendanten zersägt wird, klagt die Stimme von Frank Castorf vom Band über heftige Schmerzen.

Ein Chor in blauer Arbeitskleidung spricht und singt zu kammermusikalischer Begleitung, bis Ruth Rosenfeld nach Bildern von Massengräbern in diesem Lehrstück vom Sterben an die Schoah als dem Höhepunkt einer pessimistisch zu wertenden Moderne erinnert. Am Ende hopsen alle zum Beatlessong von der "Yellow Submarine" von der Bühne.

Während im roten Salon der Volksbühne alte Filme, unter anderem von Dsiga Wertow mit neuen, live gemixten Soundscapes, gezeigt wurden, und im Randfoyer historische Situationen für die Videoaufnahme in arrangierten Tableaus nachgespielt und mit einem Chor zu Film-Singspielen verbunden werden, zeigt die Zagreber Performance-Gruppe BADco in einer etwa läppischen Choreografie eine Chronik utopischer Entwürfe.

In der szenischen Lesung "Schutt" erfahren wir von einem wiederum teilweise chorischen Schauspielerensemble von dem Leben der Inge Müller, die 1955 Heiner Müller heiratete und vergeblich hoffte, mit ihm eine gleichberechtigte schriftstellerische Arbeitsgemeinschaft aufbauen zu können. Eine Geschichte des Scheiterns der Ideale im realen Sozialismus. Während die Philosophen ein abstraktes Comeback des Kommunismus beschwören, erzählen die Künstler vom Scheitern der Träume.
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