"Eine stetig wachsende Zahl von jungen Dschihadis"

Guido Steinberg im Gespräch mit Gabi Wuttke · 25.11.2010
Die erhöhte Gefahrenlage in Deutschland hängt auch mit der großen Zahl von deutschen Dschihadisten zusammen, so so die Einschätzung des Politik- und Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Al Kaida wäre ohne deutsche Rekruten wahrscheinlich gar nicht in der Lage, hier Anschläge auszuführen."
Gabi Wuttke: Der Bundesinnenminister hat informiert über die erhöhte Anschlagsgefahr in Deutschland, er hat angeordnet, dass die Sicherheitsmaßnahmen erhöht werden, er hat den Bürgern geraten, dass sie nicht in Panik verfallen sollten. Was er nicht thematisierte: warum sich die Gefahr für einen islamistischen Anschlag in Deutschland verschärft hat. Am Telefon ist jetzt der Politik- und Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen!

Guido Steinberg: Guten Morgen!

Wuttke: Welche Faktoren seit dem 11. September 2001 sind denn aus Ihrer Sicht wichtig, um zu verstehen, warum die Gefahrenlage jetzt von der Bundesregierung höher eingestuft wird?

Steinberg: Das sind vor allem zwei Entwicklungen der letzten Jahre. Wir haben auf der einen Seite terroristische Organisationen wie Al Kaida aber auch einige usbekische Organisationen, die entschieden haben, deutsche Ziele anzugreifen, und das liegt vor allem daran, dass die Ereignisse in Afghanistan für diese Dschihadisten so seit etwa 2006 an Bedeutung gewinnen, weil der Aufstand der Taliban an Kraft gewonnen hat ab 2006 und weil sie jetzt wieder die Chance sehen, in Afghanistan zu siegen. Und da sind die Deutschen – die ja vorher im Irak nicht präsent waren, in Afghanistan aber doch – in den Fokus geraten. Und die zweite Entwicklung ist, dass eben eine große Zahl von deutschen Dschihadisten seit 2006 in Pakistan präsent ist, dass sie dort trainiert werden und dass Al Kaida jetzt auch über die nötigen Rekruten für solch einen Anschlag verfügt.

Wuttke: Das heißt, das eine und das andere hängt zusammen?

Steinberg: Ja, das hängt zusammen, ohne diese beiden Entwicklungen hätten wir natürlich nicht diese Anschlagsgefahr hier. Al Kaida wäre ohne deutsche Rekruten wahrscheinlich gar nicht in der Lage, hier Anschläge auszuführen. Es ist schwer vorstellbar, dass Südasiaten beispielsweise einfach nach Deutschland einreisen, um einen Anschlag durchzuführen.

Wuttke: Sie haben das Jahr 2006 genannt, wir haben jetzt 2010. Darf man das als eine gewisse, in Anführungszeiten, Zeitverzögerung verstehen?

Steinberg: Ja, solche Entwicklungen brauchen ja eine ganze Weile, bis sie, erst mal, bis sie wirksam werden, und natürlich auch, bis man ihrer gewahr wird. Und im Jahr 2006 sind die ersten deutschen Dschihadisten in Pakistan trainiert worden, zumindest soweit man das weiß, und seitdem haben wir eine stetig wachsende Zahl von jungen Dschihadis. Im Jahr 2009 zum Beispiel sind bis zu 40 dieser jungen Leute ausgereist aus Deutschland, um dann in Pakistan zu trainieren, und so ist die Gefahr stetig gewachsen. Das hat damals auf einer ganz kleinen Grundlage begonnen, nämlich da gab es die ersten Diskussionen über die Rolle Deutschlands im Internet. Da konnte man bemerken, dass Deutschland langsam in den Fokus gerät, und das hat sich dann in den letzten vier Jahren langsam aufgebaut.

Wuttke: Sie haben das Stichwort Afghanistan genannt. Wie genau, muss man sich denn eigentlich vorstellen, beobachten islamistische Terroristen die deutsche Innenpolitik?

Steinberg: Das weiß man nicht so ganz genau, aber auch da gibt es eine Entwicklung, das Internet ist für diese Organisationen in den letzten Jahren sehr, sehr viel wichtiger geworden. Die bekommen also sehr viel mit von dem, was in der Welt los ist, und seit immer mehr Deutsche nach Pakistan gehen, sich immer mehr Deutsche diesen Organisationen anschließen, wachsen natürlich auch die Möglichkeiten, die deutsche Innenpolitik zu beobachten. Im Jahr 2005 beispielsweise wäre es für Al Kaida schwer gewesen, sie zu beobachten, weil sie nur vielleicht über ein oder zwei Leute verfügt hat, die deutsch konnten. Mittlerweile sind das vielleicht einige Dutzend, und das macht es sehr, sehr viel einfacher, also zum einen, die deutsche Innenpolitik zu beobachten, dann aber auch entsprechend propagandistisch darauf zu reagieren. Also seit 2009 wird die deutsche Innenpolitik sehr, sehr genau beobachtet.

Wuttke: Können Sie uns denn sagen, wenn diese deutschen Dschihadisten so wichtig für das islamistische Terrornetzwerk sind, werden sie dann auch von den deutschen Geheimdiensten genügend beobachtet?

Steinberg: Es wird zumindest versucht, aber das ist sehr, sehr schwierig geworden in den letzten Jahren, vor allem gab es zu Beginn das Problem, dass man nicht wusste, wie man nun vorgeht. Die deutschen Sicherheitsbehörden haben beobachtet, dass da junge Leute nach Pakistan gehen, und es hat eine Weile gedauert, bis dann die Konsequenz gezogen wurde, die Ausreisen zu verhindern. Das Problem war nämlich, dass wenn diese jungen Leute ausreisen, man auch die Kontrolle verliert, weil natürlich die deutschen Sicherheitsbehörden hier im Inland sehr viel besser aufgestellt sind als beispielsweise in Pakistan oder in der arabischen Welt, wo viele dieser jungen Leute zunächst mal Arabisch studiert haben, Ägypten beispielsweise. Und man kann jetzt feststellen, dass in Deutschland wahrscheinlich die Überwachung da doch sehr intensiv ist, dass aber beispielsweise in einem Land wie Ägypten schon eine ganze Reihe Problemfälle präsent sind, die man aber von hier aus nicht mehr beobachten kann, und es ist dann auch sehr schwer festzustellen, wer denn dann eine Gefahr darstellen könnte.

Wuttke: Das heißt aber auch, wir müssen viel genauer differenzieren und das gebräuchliche Wort Al Kaida für das islamistische Terrornetzwerk sorgfältiger benutzen. Offensichtlich gibt es ja so viel mehr Strömungen, die wir einfach nur so zusammenfassen, weil es ein Begriff ist wie Tempo für Papiertaschentuch.

Steinberg: Ja, das ist richtig, aber unsere Sicherheitsbehörden zum Beispiel machen das auch sehr exakt. Es gibt da eine Al Kaida in Pakistan, es gibt da die Al-Kaida-Filialen, die durchaus unterschiedlich operieren. In den letzten Monaten ist ja die Al Kaida im Jemen besonders prominent geworden. Dann gibt es usbekische Gruppen wie die islamische Dschihad-Union, die schon einmal versucht hat, hier einen Anschlag verüben zu lassen, es gibt islamische Bewegungen Usbekistans. Das erfordert eine ganze Menge Aufwand, allein zu verstehen, wer da operiert, aus welchen Gründen, weil natürlich auch die Ziele und Strategien sich unterscheiden, auch wenn diese Gruppen vor Ort dann mal taktisch zusammenarbeiten.

Wuttke: Warum sich die Gefahr für einen islamistischen Anschlag in Deutschland verschärft hat, dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur der Politik- und Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Vielen Dank, und schönen Tag!

Steinberg: Sehr gerne!
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