Eine starke Gemeinschaft

Von Gerrit Stratmann · 05.08.2011
1991 gründete ein Lehrer im nordrhein-westfälischen Alfter den Chor Evergreen. Zunächst bemühte er sich um die Wiedereingliederung russischer Spätaussiedler. Später öffnete sich die Sängergemeinschaft ganz bewusst auch psychisch Kranken oder Menschen mit Behinderungen.
Vor laufendem Mikrofon sind die 20 Sängerinnen und Sänger von Evergreen sehr diszipliniert. Auf einer normalen Probe, verrät Chorleiterin Magda Bösing augenzwinkernd, geht es oft sehr viel turbulenter zu.

Magda: "Ich geb mich dann nicht so mit Halbheiten zufrieden. Das muss schon klingen, und das wissen alle von mir, dass ich streng bin. Und das hilft."

Magda Bösing, 60 Jahre alt, Lehrerin für Mathematik und Geografie, ist eine schmale, freundliche Frau, die auf den Proben im Bonner Gustav-Heinemann-Haus am liebsten barfuß läuft. Am Anfang war sie hier Sängerin im Sopran, jetzt leitet sie Evergreen seit sieben Jahren. Was als Lehrer-Eltern-Chor an einer Schule bei Bonn begann, ist heute ein gemischtes Ensemble mit insgesamt etwa 30 Mitgliedern zwischen 20 und 69 Jahren.

"Denkt mal wirklich dran: -bra-cable. Es ist nicht so schön, wenn man '-brace' schon singt. Das würde man so sprechen, aber nicht so singen: -bra-cable. Das i kommt ganz spät und das s noch viel später."

Uta: "Ich bin froh drüber, dass Magda so sehr auf die Qualität, die saubere Intonation wert legt, weil wir hinterher dadurch einfach dieses wunderbare Hörerlebnis auch haben – wenn das stimmt, was wir miteinander singen."

Uta Ölschläger unterstützt seit drei Jahren den Alt von Evergreen. So wie sie empfindet es auch Claudia Merkle, ihre Kollegin aus dem Tenor. Erst neulich auf dem letzten Chorwochenende gab es wieder so einen Moment:

"Wir haben ein paar Lieder gesungen und alles hat super funktioniert, das war ein Klang in diesem Raum, das war so perfekt - in meinen Ohren jedenfalls. Das war wirklich so ein Herzenserlebnis. Das war so toll!"

Franz: "Das merkt man dann im ganzen Chor auch, und dann auf einmal: Wow! Dann ist es da. Dann kriegen wir natürlich auch Lob von unserer Chorleiterin: Jetzt macht ihr es richtig! Und das ist das, was mich an dem Chor eben halt so glücklich macht."

Uwe Frinke, der verstorbene Gründer von Evergreen, machte den Chor in den Neunzigerjahren zu einem Förderprojekt für russische Spätaussiedler. Magda Bösing hat diesen integrativen Ansatz übernommen und erweitert. Unter ihrer Leitung ist Evergreen ganz bewusst auch auf Menschen mit Behinderungen oder psychischen Leiden zugegangen. Blinde, Rollstuhlfahrer, Menschen mit Angststörungen oder Depressionen sind oder waren schon dabei. Viele lockt vor allem der Name: Evergreen, das klingt nach Ohrwürmern, die jeder mitsummen kann. Trotzdem möchte Magda Bösing den Chor möglichst breit aufstellen.

Magda: "Ich hab versucht, ein zeitliches Spektrum reinzubringen, und dazu gehören eben auch einige sehr alte Madrigale und eben auch was aus der neueren Popmusik."

Das Miteinander von Menschen mit und ohne körperliche und seelische Beeinträchtigungen wirkt sich natürlich auch auf Proben und Auftritte aus. Nur sechs-, siebenmal im Jahr ist Evergreen in der Öffentlichkeit zu hören, meist bei Hochzeiten, in Altenheimen oder auf Weihnachtsfeiern. Lange eigene Konzerte sind für manche zu anstrengend. Aber das ist in Ordnung so, findet Monika Nogat, die Evergreen bereits seit 16 Jahren treu ist.

Monika: "Weil diese großen Veranstaltungen sind unglaublich arbeitsintensiv und es bleibt meistens an ganz wenigen hängen. Und meine Vorliebe ist es, lieber hin wieder Auftritte zu haben und da unsere Stückchen zu singen, als jetzt so eine große Veranstaltung. Das hat unsere Gemeinschaft, dadurch dass wir uns keinen Stress gemacht haben, irgendwo richtig gestärkt."

Als starke Gemeinschaft erweist sich der Chor auch, wenn er dort singt, wo er gar nicht eingeladen wurde. Auf einer Hochzeitsfeier zum Beispiel, bei der er zufällig vorbeikam. Bernd Jacobs aus dem Bass hat auch eine andere Aktion noch in guter Erinnerung, letztes Jahr in Essen im Rahmen der Kulturhauptstadt.

Bernd: "Da haben wir spontan, was ich irgendwie interessant und lustig fand, spontan in einer Kneipe angefangen zu singen, und alle haben sich gefreut, die uns gehört haben. Das war dann noch vor unserm Auftritt, wir hatten noch ein bisschen Zeit. Das hat mir gut gefallen."

Magda: "Ich denke, in den letzten Jahren hat es sich gezeigt, dass man auch mit einem Chor, wo so unterschiedliche gesangliche Voraussetzungen da sind, schöne und gute A-Cappella-Musik machen kann. Da bin ich sehr glücklich drüber, wie schön das angenommen wird, und, ja, das ist schon erstaunlich, was dabei rauskommen kann."