"Eine sehr, sehr große Überraschung"

Maja Haderlap im Gespräch mit Susanne Führer · 11.07.2011
Die Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises, Maja Haderlap, überzeugte die Jury mit einem Auszug aus ihrem Roman "Engel des Vergessens". Darin beschäftigt sich die Österreicherin mit den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs. Die Autorin selbst hätte sich das alles "nicht träumen lassen".
Die Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises 2011, Maja Haderlap, hat mit ihrer Auszeichnung nicht gerechnet. "Ich hätte mir nicht träumen lassen, am Bachmann-Wettbewerb überhaupt teilzunehmen", so die Autorin. Der preisgekrönte Text "Im Kessel" ist Teil des Romans "Engel des Vergessens", der in wenigen Wochen erscheint und sich mit den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs beschäftigt.

Susanne Führer: Maja Haderlap ist die Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises in diesem Jahr. Die Österreicherin, die übrigens in Klagenfurt lebt, hat die Jury mit ihrem Text "Im Kessel" überzeugt.

Der Text "Im Kessel" von und mit Maja Haderlap bei ihrer Lesung in Klagenfurt, wo sie gestern den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat. Dieser Text ist Teil des Romans "Engel des Vergessens", der in wenigen Wochen erscheinen wird. Man könnte also annehmen, dass diese Veröffentlichung im Rücken dafür gesorgt hat, dass die Autorin gelassen in den Wettbewerb gehen konnte. Das wollte zumindest meine Kollegin Gabi Wuttke wissen, die gestern kurz nach der Preiskürung mit Maja Haderlap sprechen konnte.

Maja Haderlap: Was den Text betrifft, auf alle Fälle. Es ist gut zu wissen, dass der Text, den man hier vorliest, abgeschlossen ist, und dass man nicht mitten in der Arbeit ist. Denn wenn man mitten in der Arbeit Reaktionen von außen hört, und zwar in so einem Forum und viele unterschiedliche Reaktionen, ist es dann sicherlich sehr schwierig, an diesem Text weiterzuarbeiten.

Gabi Wuttke: Dass Sie nun diesen Preis bekommen haben, war das für Sie eine Überraschung oder eine große Überraschung? – Denn Sie sind ja von der Lyrik zur Prosa umgestiegen, es ist Ihr Debütroman, dieser Text, aus dem Sie gelesen haben.

Haderlap: Es ist natürlich eine sehr, sehr, sehr große Überraschung, ich hätte mir nicht träumen lassen oder nicht gedacht, am Bachmann-Wettbewerb überhaupt teilzunehmen. Aber wie das eben so ist, mit den Jahren ändert sich etwas und dann ist dieser Vorschlag an mich herangetragen worden. Und ich habe überlegt und meine Schriftstellerfreunde kontaktiert und gefragt, und dann habe ich mich entschieden, daran teilzunehmen.

Wuttke: Sie sind 1961 geboren, Sie haben in Wien Theaterwissenschaft und Germanistik studiert, haben in Triest und Ljubljana gearbeitet, die Kärntner slowenische Literaturzeitschrift mit herausgegeben, 1983 Ihren ersten Gedichtband veröffentlicht, waren Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt, wo Sie auch leben. War dieser Weg zum Ingeborg-Bachmann-Preis 2011 also weit oder nur eine neue Etappe für Sie?

Haderlap: Ich würde sagen, er war sehr weit, und es ist sicherlich auch eine neue Etappe. Ich denke, dass so ein Preis schon tiefgreifend in das Bewusstsein einer Schriftstellerin eingreift. Ich habe mich bisher so daran gewöhnt gehabt, dass ich für einen kleinen Kreis schreibe als Lyrikerin, und dass dieses Schreiben eine sehr intime Tätigkeit ist. Mit diesem Roman hat sich das natürlich verändert und mit dem Preis auch.

Wuttke: Die Geschichte, die Sie erzählen, umfasst drei Generationen. Bei dem Auszug, den Sie jetzt in Klagenfurt vorgelesen haben, sprechen Sie von den großen Wäldern als einem Zufluchtsort, aber auch als Hölle. Für die Menschen, die Sie noch nicht kennen, Frau Haderlap: Für wen waren die großen Wälder ein Zufluchtsort und eine Hölle?

Haderlap: Die großen Wälder waren ein Zufluchtsort und eine Hölle für die Kärntner Slowenen. Natürlich nicht nur für die Kärntner Slowenen, aber es hat zur Zeit des Nationalsozialismus hier auf Kärntner Boden einen bewaffneten Widerstand gegeben, im Zusammenwirken mit den slowenischen Partisanen aus Slowenien, Jugoslawien gegen das Hitler-Regime. Für diese Menschen, die an diesem Widerstand teilgenommen haben oder diesen Widerstand getragen haben, waren natürlich die Wälder der Zufluchtsort und die Hölle.

Wuttke: Drei Generationen. Wie haben Sie diese Geschichte, um es ganz salopp zu sagen, zusammengebunden? Diese schwierige Geschichte, die ja auch immer noch kein großes Thema ist in der Geschichte Österreichs?

Haderlap: Ich habe versucht, mich daran zu erinnern, wie der Krieg in den Menschen nachwirkt, welche Folgen er hinterlässt. Und ich erzähle die Geschichte dieses Krieges, vielleicht über die Folgen, die dieser Krieg in den Menschen angerichtet hat, die Verstörungen und die Zerstörungen, die sich auch über Generationen hinwegziehen. Insoweit kann man sagen, dass sich ein Krieg wie ein Schatten dann auch über den nächsten Generationen ausbreitet, und das ist das Thema meines Buches.

Wuttke: "Ich fürchte, dass sich der Tod in mir eingenistet hat wie ein kleiner, schwarzer Knopf, wie eine dunkle Spitzenflechte, die sich unsichtbar über meine Haut zieht", das sagt eine Ihrer Figuren. Sagen Sie das nicht über sich?

Haderlap: Das sagt natürlich die Autorin über die Figur, die sie beschreibt. Das Mädchen denkt sich das und die Autorin schreibt darüber.

Wuttke: Das heißt, Vergangenheit und Gegenwart, inwiefern wiegt dieses Thema, wiegt diese Vergangenheit in der Gegenwart Ihrer Geschichte?

Haderlap: Die Tatsache, dass es in Kärnten einen bewaffneten Widerstand gegen den Nationalsozialismus gegeben hat, und die Folge dieses Widerstands, ist von der Politik hier immer wieder instrumentalisiert worden. Und mein Bestreben ist es natürlich, das Nachdenken darüber aus dieser politischen Instrumentalisierung herauszubringen und sich die Dinge einmal aus der Nähe anzusehen und in Familiengeschichten. Das ist mein Wunsch.

Wuttke: Gab es für Sie ein Erlebnis, bei dem Ihnen klar wurde, das ist jetzt ein Punkt, an dem Sie einschreiten müssen, um in einem breiteren Raum diese Geschichte zu erzählen, die politisch instrumentalisiert wurde in Österreich?

Haderlap: Ein Impuls, über etwas zu schreiben, ist immer sehr persönlich. Und ich habe natürlich viel gelesen und mir auch viel dabei gedacht, und ich hatte sehr stark den Wunsch, darüber zu schreiben, um auch meine Geschichte zu schreiben. Das heißt, ich wollte über die Beschäftigung mit der Vergangenheit meiner Familie und mit der Vergangenheit meiner näheren Umgebung oder der Gräben, wo ich dort aufgewachsen bin, auch meine persönliche Geschichte neu zusammenstellen. Und ich denke, dass mir das gelungen ist. Zumindest hatte ich das Gefühl, dass ich diesen Schritt geschafft habe oder diese Arbeit geschafft habe, als ich den Text abgeschlossen habe.

Wuttke: Wenn Sie diesen Teil der österreichischen Geschichte jetzt zu einem Roman gemacht haben, wie wollen Sie den Titel "Engel des Vergessens" verstanden wissen?

Haderlap: Ich glaube, der erklärt sich nur aus dem Text. Er ist wie alles andere auch aus den Zusammenhängen und aus dem Zusammenspiel im Text erklärbar. Es gibt ja eine mythologische Figur in der Literatur, ein Engel des Vergessens, er taucht einmal, zweimal auf. Und dieser Engel kommt aus der jüdischen Tradition und er hat die Eigenschaft, dass er, wenn jemand geboren wird, ihm dabei hilft, diesem Neugeborenen oder der Neugeborenen, alles zu vergessen, was die Generationen vorher erlebt haben. Und in meinem Fall hat aber dieser Engel vergessen, dieses Vergessen auszulöschen, oder es ist etwas übrig geblieben. Und ja, mit dem habe ich mich dann beschäftigt, mit diesen Resten und mit diesen Erinnerungen, die übrig geblieben sind, und habe daraus dann eine Erzählung gemacht.

Führer: Maja Haderlap, die diesjährige Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises im Gespräch mit Gabi Wuttke.

Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.